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Kontakt mit dem Westen!

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Dem sachlichen Gehalt nach ist in dieser bisher unseres Wissens nach nicht wiederrufenen oder auch nur modifizierten Erklärung des Präsidiums dieses Kulturbundes von folgendem die Rede: Die Fehlentwicklung, die darin lag, den Marxismus, also wissenschaftlich gesehen den dialektischen Materialismus, zu dogmatisieren, wird ausdrücklich als solche erkannt und in klaren Worten abgelehnt. Zugleich wird betont, daß die schöpferische und wissenschaftlich ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit dem „Westen“ (als welcher hier subsummarisch alles nichtmarxistisch-leninistische Denken zusammengefaßt wird), nur geführt werden kann, wenn dessen geistige Lebensäußerungen erkannt und durch einen entsprechenden Austausch von gedruckten Publikationen, ja — wie ausdrücklich hinzugefügt wird — auch durch einen persönlichen Reise- und Gesprächskontakt mit denen der kommunistischen Welt in Berührung gebracht werden.

Wer miterlebt hat und weiß, wie auch nur die Andeutung der hier unverblümt ausgesprochenen Grundsätze als Erzketzerei des sogenannten Objektivismus, den Stalin einst höchstpersönlich „Krankheit der Idioten“ nannte, geahndet wurden, der muß dies als geradezu sensationell empfinden. Nun mag dies bei allen anderen, rein parteimäßig gesteuerten Institutionen Ostdeutschlands immerhin als Taktik oder als zu nichts verpflichtende Phrase angesehen werden. Beim Kulturbund scheint uns zumindest theoretisch die Möglichkeit zu bestehen, daß diese Grundsätze nicht nur das Täuschungsmanöver eines . Propagandisten sein können, sondern daß in dieser Institution tatsächlich noch eine Schicht besteht, die ein solches Programm wenigstens dem Sinne nach, wenn auch nicht verwirk: liehen, so doch zumindest angehen könnte. Es scheint uns nicht ausgeschlossen zu sein, daß gerade in Kreisen des Kulturbundes, dessen prominenteste Vertreter ja bis zum „Neuen Kurs“ am heftigsten der „linken Abweichung“ geziehen wurden, sogar Kräfte vorhanden sind, die diesen in offiziellen ostdeutschen Organen publizierten Aufruf veranlaßt, besser gesagt in einem entschlossenen Vorstoß durchgesetzt haben. Dazu muß man aber wissen, welche Schicht damit gemeint ist und wie diese, ihrer Art und Zusammensetzung nach, aussieht.

Als der Kulturbund 1945 gegründet wurde, wies seine Führungsspitze, vor allem aber die leitenden Persönlichkeiten in den einzelnen Provinzstädten, eine Zusammensetzung und einen Charakter auf, die es zahlreichen über-

zeugt nichtkommunistischen und nichtmaterialistischen Menschen — nicht zuletzt auch dem Verfasser dieser Zeilen — erlaubt und geraten erscheinen ließ, hier mitzuarbeiten. Die Namen des bewährten liberalen Schulmanns Dr. Mencke-Glückert (Landespräsident, Sachsen), des linksdemokratischen (nichtkommunistischen) Schriftstellers Theodor Plivier (Thüringen) seien hier für viele von ähnlichem Klang genannt. Das, worauf es den denkenden Intellektuellen ankam, nach dem Zusammenbruch der Hitler-Herrschaft endlich wieder zu einem freien Gespräch der Klärung und des Neubeginns zu kommen, schien dadurch gewährleistet. Mehr .wollte man ja durchaus nicht. Die selbstverständlich anwesenden und

als solche deutlich deklarierten kommunistischen Intellektuellen waren auf einem geistigen Diskussionsforum ja nicht unwillkommen. Es war ohnedies klargeworden, daß auch die nichtkommunistischen Standpunkte, deren Namensgebung aus der Zeit der Weimarer Republik ja kaum mehr daseinsmächtig war, einer weitgehenden Klärung und Erprobung im auseinandersetzenden Gespräch bedurften. Es waren nicht die Schlechtesten, auch aus den Reihen beider Konfessionen, die dieses Gespräch geradezu suchten und sich in der arroganten Atmosphäre selbstzufriedener Vergangenheitssicherheit durchaus nicht wohl fühlten. Und es schien, daß die Kommunisten, zumindest ihre ernst zu nehmenden intellektuellen Spitzenreiter, diese ritterliche Kampfberührung mit dem Gegner im abgesteckten Rahmen auch nicht scheuten. Es gab in diesen ersten Jahren des Kulturbundes öffentliche Vorträge, bei denen ein bekannter rheinischer Theologe absolut klarer Gesinnung über christlichen Humanismus dozierte (ein persönlicher Freund nebenbei, der über jeden Verdacht, eine Feigenblattrolle zu spielen, charakterlich und intelligenzmäßig turmhoch erhaben ist). Es gab Rezitationsabende über die Friedensidee, deren Schlußwort dem Staretz Sosima und Immanuel Kant gehörte, und in denen der Name Lenin oder Stalin nicht einmal genannt wurde, es gab eine Gesamtdeutsche Kunstausstellung, in der Bilder von Klee und anderen heute in Grund und Boden Verpönten öffentlich diskutiert und 'verteidigt werden konnten. Dies alles — wohlgemerkt — im Rahmen des Kulturbundes und unter der Präsidentenschaft des nach Moskau emigrierten kommunistischen Dichters Johannes R. Becher und zu einer Zeit, da es noch keine ostdeutsche Regierung, sondern die Militärgesetzlichkeit der Sowjetunion gab. Das verzweifelte Wort Sartres „Wir Franzosen waren nie so frei wie unter der deutschen Besetzung“ wird in diesem Zusammenhang vielleicht von manchem Deutschen wiederholt werden können.

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