6784521-1970_07_07.jpg
Digital In Arbeit

DDR-Schüsse gegen die Olympiade

Werbung
Werbung
Werbung

Das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hat angeordnet, daß jede zweite Woche seine Abteilung Sport mit dem Nationalen Olympischen Komitee der DDR die jeweils neue Situation in Hinsicht auf die Olympiade 1972 in München berät. Erklärter Wille der SED ist es, einen gemeinsamen Boykott aller Ostblockstaaten gegen eine Teilnahme an den olympischen Spielen in der Bundesrepublik zustandezubringen. Ost-Berlin kann sich in dieser Form betätigen, weil die UdSSR zu dieser Frage noch keinen Entschluß gefaßt hat. Da Moskau Sport als Politikum definiert und da die Beurteilung der politischen Lage für die Zeit von 1972 im jetzigen Zeitpunkt sehr schwer ist, konnte man sich zu keiner Entscheidung durchringen.

Die DDR hingegen hat zunächst diesen Standpunkt bezogen: Nichtteil-nahme. Um sich in dieser Frage nicht

zu isolieren und womöglich als einziges kommunistisches Regime neben Rotchina in München zu fehlen, hat die SED eine Kampagne zur Uberzeugung der Bundesgenossen und des Kremls begonnen. Im eigenen Lager muß die SED dabei gegen die Sportler kämpfen, die natürlich darauf brennen, 1972 in München dabei zu sein. Auch viele Sportfunktionäre der SED plädierten bislang für eine Beteiligung in München. Um diese Interessenfront zu durchbrechen, haben Agitatoren des Zentralkomitees eine Reihe von Argumenten zusammengestellt, die den Boykott der Spiele aus politischen Überlegungen zu begründen versuchen. Offen ausgesprochen werden folgende Argumente: das wegen der Fluchtgefahr notwendige Reiseverbot für die Bevölkerung wirke sich schädlich aus. Die Bundesrepublik werde aufgewertet. Sie verfälsche und mißbrauche den olympischen Gedanken. Außerdem sei München Sitz vieler anti-kommunistischer Organisatio-

nen, Zeitungen, Verlage und Rundfunksender.

Nicht ausgesprochen wird, daß sich die SED in einer Zwangslage befindet. Nimmt die DDR an der Olympiade teil, so muß sie der Jugend erläutern, weshalb es für die Nicht-Aktiven, die „Schlachtenbummler“ keine Reisegenehmigung gibt. Außerdem besteht die Gefahr, daß angesichts der Weltpresse eigene Spitzensportler im Westen bleiben. Der Staatssicherheitsdienst schätzte, daß bei Reisegenehmigungen für die nichtverheiratete Jugend etwa 30 Prozent nicht zurückkehren. Fünf von Hundert der teilnehmenden Sportler hält die Geheimpolizei für fluchtverdächtig.

An diesem Punkt setzt die Argumentation der SED innerhalb des Ostblocks ein. Auch Polen, die CSSR, Bulgarien, Ungarn und die UdSSR sehen Risiken, wenn sie interessierten Teilen ihrer Bevölkerung Reise-

genehmigungen erteilen. Die Übereinstimmung in diesem Punkt mit der SED wird von Seiten Ostberlins jetzt ständig verstärkt. Der Bundesrepublik wird fälschlich nachgesagt, sie treffe bereits jetzt Vorbereitungen, um bei Teilnahme von Zuschauern aus dem Ostblock diese zur Flucht abzuwerben. Westdeutschland wolle auf diese Weise die Olympiade für sich politisch ausbeuten und Stimmung gegen die „sozialistischen Länder“ machen. Die SED hat sogar als Möglichkeit einen allerletzten Ausweg ausgetüftelt: offizielle Teilnahme-Zusage aller Ostblockländer — dann auf Grund eines Vorwandes Absage in allerletzter Minute. Dies alles bleibt im Bereich der Spekulation. Sollte freilich Bonn mit seinem beharrlichen Angebot zu gegenseitigem Sportverkehr auch nur einige kleine Erfolge erzielen, dann wird die Propaganda des SED-Regimes gegen die Olympiade in München empfindliche Einbuße erleiden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung