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Barzels Alleingang

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Die Anlässe, die den Pessimismus in Bonn so wachsen ließen, liegen zum Teil zutage, zum Teil sind sie hinter den Kulissen zu suchen. Am spektakulärsten war der Alleingang des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der CDU CSU, Barzel. In seiner New Yorker Rede hat er versucht, das Tor nach Moskau weit aufzustoßen. Sein Angebot, auch nach einer Wiedervereinigung könnten Truppen der Sowjetarmee in Deutschland bleiben, meinte eindeutig, daß Bonn sozusagen zu einer militärischen Selbstentmannung bereit sei. Barzel dachte natürlich nacht an Besatzungs-, sondern an Kon- troHtruppen. Aber Moskau hat auch diesen Vorschlag sofort zurückgewiesen. Bemerkenswert war dabei die Begründung. Die sowjetische Propaganda behauptete nämlich, Barzel sei von der alten Linie der Bundesrepublik nicht im geringsten abgegangen, er habe sie vielmehr erneut ange- boten, allerdings in einer raffinierten Verkleidung.

Die Argumentation bestätigte allen, deren Pessimismus im Zunehmen begriffen war, ihre Analyse. Moskau will, so sagt diese Analyse, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesrepublik zur Gewaltverzichtserklärung bereit ist, daß sie dem’ Alleinbesitz von Atomwaffen abschwört und daß sie selbst die Sowjetarmee im wiedervereinigten Deutschland hinzunehmen bereit ist. Würde nämlich Moskau auf diese Versicherungen der Bundesregierung eingehen — so die Bonner Analyse —, dann würde Moskau stillschweigend anerkennen, daß die Bundesrepublik entgegen seiner bisherigen Propaganda doCh ein friedliebender Staat sei.

Das Schicksal des Redneraustausches

Der abermals schwierige Gang der Passierscheinverhandlungen und der Zusammenbruch des Redneraustau- sches zwischen SPD und SED haben diese Bonner Eindrücke ebenfalls bekräftigt. Bei den Verhandlungen mit der SPD ist einwandfrei zutage getreten, daß Pankow auf einen Einbruch in die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik abzielte. Sehr leicht möglich, daß sich Ulbricht und seine Leute ge ragt haben, in dieser Be ziehung werde Bonn unnachgiebig bleiben, und folglich sei hier der Punkt, an dem man die Verhandlungen zum Scheitern bringen könnte. Wie immer dies sein mag, die hintergründigen Absichten Moskaus und Pankows sind in den Passierscheinverhandlungen noch klarer zum Vorschein gekommen. Pankow forderte unter anderem, der Bundespräsident dürfe in Berlin nicht mehr Aufenthalt nehmen — wie er das planmäßig des öfteren tut —, und Her bert Wehner dürfe nicht mehr in Berlin reden. Auch hier der deutliche Versuch, in die Bonner Rechtsauffassung über Deutschland und seinen Status eine Bresche zu schlagen. Dazu das weitere Verlangen zu politischen Gesprächen zwischen SPD und SED noch vor dem Redneraustausch. Was bezweckte es? Die gleiche Umarmung, an der die SPD in der Zone in den Jahren 1945 und 1946 zugrunde gegangen ist. Mit anderen Worten: Fühlungnahmen Pankows mit Bonn, nicht um eine Annäherung herbeizuführen, sondern um der Entwicklung in der Bundesrepublik und der Politik Bonns den Willen Ost-Beriins aufzuzwingen.

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