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Pessimismus in Bonn

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In Bonn breitet sich eine sehr pessimistische Auffassung in bezug auf die Deutschlandpolitik Sowjet- rußlands aus. Die Beurteilung war nie zuversichtlich, zumindest nicht in führenden Kreisen der CDU CSU, die in allen Phasen der letzten zwanzig Jiahre der Meinung waren, die Sicherheit dürfe nicht durch unangebrachte Schritte in Richtung Moskau und Pankow gefährdet werden. Aber man hatte vor einiger Zeit geglaubt, bei dieser zweifellos richtigen Einsicht nicht stehenbleiben zu dürfen, sondern zur Offensive übergehen zu müssen. Mit der Friedensnote der Bundesregierung wurde hierzu der Anfang gemacht.

Dabei ging diie amtliche Politik davon aus, daß der Schlüssel zur Wiedervereinigung in Moskau liege. Deshalb die wiederholte öffentliche Erklärung des Bundeskanzlers, die Bereitschaft zu einem Zusammentreffen mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten bestehe nach wie vor. Obwohl Moskau mehr oder weniger deutlich abwinkte, ließ sich Bonn nicht entmutigen. Der Kreml erklärt zwar einmal ums andere, die Wiedervereinigung müsse durch eine Verständigung zwischen Bonn und Pankow auf dem Wege über eine Konföderation herheigeführt werden. Aber dn Bonn ist man davon überzeugt, daß Pankow keinen Schritt tut, den Moskau nicht gutgeheißen hat.

Dabei mag vielleicht hier und da die Erinnerung mitschwingen, daß Bundeskanzler Adenauer im Jahre 1955 in Moskau auch keine Gesamt- lösung der deutschen Frage erreichte, wohl aber eine Teilfrage lösen konnte. Es gelang ihm, eine Vereinbarung über die Heimführung aller deutschen Kriegsgefangenen abzu- sohldeßen. Außerdem stellte er die diplomatischen Beziehungen zu Sowjetrußland her. Auch heute stellt sich für die deutsche Politik immer wieder die Frage, ob in Moskau wenigstens Teillösungen zu erzielen wären, nicht nur in Gestalt einer Politik der „kleinen Schritte“, die

Vizekanzler Mende empfiehlt, sondern unter einem wesentlich weiteren Gesichtswinkel.

Diplomatie in Bewegung

Die Bonner Diplomatie entfaltet infolgedessen zur Zeit an vielen Fronten eine zähe, unauffällige Tätigkeit, um überall das Gelände für die Politik der Wiedervereinigung aufzulockern. Dabei hat sie an einigen Stellen schwere Abwehrkämpfe zu führen. So in den Vereinten Nationen, wo noch immer der Antrag, Pankow in die UNO aufzunehmen, gleichsam im Briefkasten liegt. So in Genf, wo die amerikanische und die sowjetische Abrüstungspolitik natürlich ebenfalls einen engen Zusammenhang mit der deutschen Frage aufweisen. So in den zahlreichen internationalen Organisationen, wo Pankow sich mit der Unterstützung . Sowjetrußlands und der anderen kommunistischen Staaten zäh bemüht, mehr und mehr Fuß au fassen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß man sich in Bonn immer ernster die’ Frage voriagte, was vom Kreml in der deutschen Frage überhaupt in absehharer Zeit zu erwarten sei. Die Antwort lautet, daß so gut wie keine Hoffnung bestehe. Diese Auffassung hat sicfh nach und nach gebildet aus einer gründlichen Analyse der sowjetischen Politik nach dem Sturz Chruschtschows. In den Vorgängen der letzten Zeit, bei denen Moskau seine Hand im Spiel hatte, glaubt man nun die Bestätigung dieser pessimistischen Analyse erhalten zu haben. Im nachhinein gewinnt man in Bonn immer mehr die Überzeugung, daß Chruschtschow nicht zuletzt deshalb gestürzt wurde, weil er zu einem Besuch in Bonn bereit war. Die derzeitigen Machthaber im Kreml hielten augenscheinlich eine gewisse Aufgeschlossenheit Chruschtschows, sei es auch nur in kleinen Teilfragen, für denkbar, und schon dies paßte offensichtlich nicht in ihr Konzept

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