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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DER SITZUNGSSAAL DES EHEMALIGEN ABGEORDNETENHAUSES im Wiener Parlamentsgebäude wird in der Zeit vom 27. August bis 2. September d. J. als Tagungsort der Konferenz der Interparlamentarischen Union dienen. An einer Stätte, an der einstmals die Vertreter von 17 Kronländern der Monarchie, von 34 politischen Parteien, die Abgeordneten der deutschen, tschechischen, polnischen, serbischen, kroatischen, slowenischen, ruthenischen, italienischen und rumänischen Gebiete um die Probleme des Zusammenlebens verschiedener Nationen gerungen haben, werden aus 31 Mitgliedsstaaten der Interparlamentarischen Union Abgeordnete der verschiedensten Länder, Völker und Kontinente zusammentreten. Anmeldungen sind u. a. bereits aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Deutschland? den nordischen Staaten, Ceylon, Pakistan, Syrien, Thailand, Jugoslawien, Japan und Israel eingelangt. Von den Nationen, die einstmals im Abgeordnetenhaus-Sitzungssaal ihre Vertreter hatten, scheinen bisher nur vereinzelte Ankündigungen auf. Liegen die meisten von ihnen doch hinter dem Eisernen Vorhang, und von den sogenannten Volksdemokratien hat lediglich Polen seine Mitgliedschaft bei der Interparlamentarischen Union aufrechterhalten. Allerdings kommen immer noch Delegiertenmeldungen der nationalen Gruppen der Interparlamentarischen Union nach Wien. Die einstige Metropole eines großen Reiches, heute die dem Eisernen Vorhang nächstgelegene Stadt abendländisch-demokratischer Prägung, hat ihre Anziehungskraft bewahrt! Sollte dies vielleicht auch für Länder jenseits des Eisernen Vorhanges ein Anlaß sein, auf dem Boden der Interparlamentarischen Union zerrissene Verbindungen wieder herzustellen? Die Antwort auf diese Frage wird wahrscheinlich der erste Konferenztag geben. Wenn es so sein sollte, so hoffen wir, daß es sich um ehrliche Bemühungen und nicht um einen propagandistischen Versuch handeln wird.

DIE DURCH PRESSE UND FILM nicht nur bei uns, sondern zum Teil wohl auch im Ausland verbreiteten Bilder der militärisch adjustierten Polizei- oder Gendarmerieabteilungen, die zum Empfang unseres Bundespräsidenten bei seinen jüngsten Besuchen in > einzelnen Landeshauptstädten Westösterreichs gestellt waren, drängen neuerdings zur Frage, wie lange es noch dauern mag, ehe sich die maßgebenden Stellen zum Entschluß aufraffen, der österreichischen Exekutive endlich wieder ein österreichisches Aussehen zu geben. Man Spricht so viel von der österreichischen Tradition und von der notwendigen Pflege des österreichischen Staatsgedankens: wie ist es damit zu vereinbaren, daß der bewaffnete Arm unserer Staatsgewalt in seinem Aeußeren das Oester- reichisch-Historische und den Geschmack des österreichischen Volkes völlig vermissen läßt und dafür, von ein paar kaum merklichen Einzelheiten abgesehen, nur allzusehr an die Jahre jener Fremdherrschaft erinnert, der Oesterreich den unheilvollsten Abschnitt seiner Geschichte zu verdanken hat. Der faltige, plumpe, für unsere Terrainverhältnisse auch äußerst unpraktische Stiefel hat bei uns ebensowenig zu suchen wie die Tellerkappe. Dasselbe ist von einem anderen „Erbe" aus jener Zeit zu sagen — dem Präsentieren des Gewehrs, ob mit oder ohne Bajonett. Die altösterreichische Ehrenbezeigung mit Kopfwendung und dem schlagartigen Griff an den Gewehrschaft war schöner, eindrucksvoller und überdies mit einem geringeren Zeitaufwand zu erlernen.

„BONN REGIERT IN DÜSSELDORF." Dieses Aviso einer deutschen Zeitung ist nun in der Tat Wirklichkeit geworden: unter dem nachhaltigen Druck der Bonner Zentrale hat Ministerpräsident Karl Arnold ein Kabinett gebildet, das dem Modell der in der deutschen Bundesrepublik regierenden „kleinen Koalition’ nachgebildet jst. In dieser Spalte vgl. „Die Furche“ Nr. 23 war schon von der großen Auseinandersetzung die Rede, die in den Wochen zwischen den Wahlen in Nordrhein- Westfalen und der nun abgeschlossenen Konstituierung der neuen Landesregierung vor sich ging. Der „linke" oder .der „rechte" Weg stand für die christlichen Demokraten unter der Führung Karl Arnolds erneut zur Diskussion. Wir haben auch nicht verhehlt, daß der Ministerpräsident sich mit Nachdruck für eine Zusammenarbeit mit der SPD aussprach, während man in Bonn für ein Arbeitsabkommen mit den freien Demokraten plädierte. Wieso diese hartnäckige Weigerung? Eine Kooperation mit jener Partei, aus der schließlich auch der Bundespräsident Heuß hervorgegangen ist, müßte eigentlich für einen aufrechten Demokraten wie Karl Arnold durchaus diskutabel erscheinen. Allein man muß wissen, daß die nordrhein-westfälische FDP unter Herrn Middelhauve schwere Schlagseite nach rechts hat. Der Nationalliberalismus von Anno Tobak feiert hier mit Schellenbaum und allen anderem Zubehör fröhliche Urständ. Statt Schwarz-rot-gold flaggt man mit Vorliebe das schwarz-weiß-rote Banner. Gewisse „Wirb Schaftsführer" stehen im Hintergrund. Der christliche Gewerkschafter Arnold mit den Wortführern einer neuen Harzburger Front an einem Regierungstisch? Diese Vorstellung schien gerade den sozial betonten Elementen im deutschen Katholizismus undenkbar. Und nun ist es doch soweit gekommen. Die der „sozialen Koalition" freundliche „Süddeutsche Zeitung" spricht offen von einem „Gleichschaltungsprozeß", dem Arnold nach lang- jährigem, zähem Widerstand erlegen ist, wobei das Blatt — nicht ohne Bedauern — einen persönlichen Prestigeverlust des Minister- Präsidenten vermerken zu können meint. Der über die Meinung des Bonner Regierungschefs gewöhnlich recht .gut unterrichtete „Rheinische Merkur“ hingegen erklärt, die Verantwortung liege allein beim Vorstand der SPD. Grundsätzlich hätte Arnold freie Hand bei seinen Verhandlungen gehabt, man legte nur Wert darauf, daß eine in Düsseldorf mit- .regierertde SPD nicht über den Umweg des Bundesrates auch in Deutschland die Ländervertretung das außenpolitische Konzept der Regierung gefährde. Die Düsseldorfer Sozialisten wären einem solchen „Gentleman’s Agreement“ nicht abgeneigt gewesen, doch ein Machtwort von Ollenhauer vereitelte dieses. Also auch hier: Bonn regiert in. Düsseldorf. Inzwischen hat Arnold die Liste,. seines neuen Kabinetts veröffentlicht. Alle Schlüsselministerien sind zwar fest in der Hand der CDU, und der Regierungschef des , Landes der Zechen und Gruben bekundete . seine Entschlossenheit, „an dem bisherigen _ sozialen Kurs kompromißlos festzuhalten". Allein: als stellvertretender Ministerpräsident scheint eben Herr Middelhauve auf. Die katholischen Kumpel an der Ruhr schütteln die Köpfe: Ob das gut ausgehen wird … Für Karl Arnold und für die CDU in Nordrhein- Westfalen?

„EITERBEULEN“ nennt der indische Natio-- nalismüs jene kleinen Besitzungen, die den Rest des’einstens großen indischen Kolonialreiches Portugals bilden, dessen Geschichte- am 20. Mai 1488 mit der Landung Vasco da Gamas im Hafen von Kalikut begann. Nein, es sind bescheidene Beulen: Daman Damäo mit , 200 Quadratkilometer und 68.000 Einwohnern; , Diu, an der Halbinsel Kathiawar, mit 14.000 . und schließlich Goa, 3777 Quadratkilometer,, mit 530.000 — größtenteils katholischen —a Indern. Reste eines viel größeren Kolonialgebietes, das die Holländer und Engländer den Portugiesen abgewannen und in der Hauptsache auch verloren. Bei Dip hatte einst der berühmte Francisco d’Almeidg 1509 die ägyp- ~r tisch-indische Flotte geschlagen; in .Goa tesi-. dierte Alfonso d’Albuquerque, der, wie Almeida, in Ungnade gefallen, im Angesichte ; von Goa auf hoher See starb. Dasselbe Goa, wo der größte Dichter Portugals, Lius Vas de Camöens, im Dienste der Kolonisatoren stand, ein Auge verlor, aus einem Schiffbruche nur , eines, die Handschrift „Os Lusiades", der „Lusiaden" rettete, und gleichfalls von Haß und Undank verfolgt, während er am Helden- epos seines Volkes schrieb, nach dem fernen . chinesischen Me-Kong verbannt wurde. „Die edlen Ritter halte stets in Ehren, die unerschüttert eignen Bluts nicht. scheuen, des Glaubens Herrschaft immerdar zu mehren“ — so schrieb Camöens in der 151. Stanze des 10. Gesanges seiner Dichtung. Des Glaubens Herrschaft — bei aller nationalistischen Denkweise — in Neu-Delhi ist die religiöse Seite in Rechnung zu setzen, gerade in Goa. Zu „sanieren" wäre eher die Nachbarschaft, denn auch die Sachverständigen für Sozialfürsorge in Neu-Delhi müssen zugeben, daß der Lebensstandard in den portugiesischen Besitzungen höher liegt. Auf die Erklärung des Exekutivausschusses der Indischen Kongreßpartei unter dem Vorsitze Nehrus ist eine Entschließung angenommen worden, die eine Eingliederung der portugiesischen Plätze als Endziel indischer Einheitsbestrebungen bezeichnet. Der portugiesische Staatspräsident Lopes antwortete, daß Gewalt mit Gewalt vergolten werde. Es mutet seltsam an, daß in einem Lande, wo Gandhi einst die „Gewaltr losigkeit“ proklamierte und für sie hungerte, . eine „Befreiungsbewegung“ Gewalt anwendet — vermutlich von dritter Seite zumindest ermutigt, wenn nicht unterstützt. Wenn die „friedliche Koexistenz". von der Nehru sprach, so aussieht, muß der Eindruck eines Doppelspieles jener Macht entstehen, die bei fernöstlichen Konflikten sich die Rolle des ehrlichen Maklers auserkor.

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