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Weißblauer Wirtschaftsbrief

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Was im Ausland nur sehr wenige Menschen wissen und was nicht einmal in Bayern allgemein bekannt ist: Aus einem relativ armen Agrarland wurde Bayern in den letzten zwölf Jahren zum industriell zweitstärksten Bundesland der Deutschen Bundesrepublik. München ist nach Hamburg die zweitgrößte Industriestadt Deutschlands, und wenn man die große Werftindustrie Hamburgs abrechnet, steht München unangefochten an erster Stelle vor allen Industriestädten des Ruhrgebiets.

Diese stürmische Industrialisierung des letzten Jahrzehnts führte dazu, daß Bayern heute eine sehr unterschiedliche Wirtschaftsstruktur aufweist. Großen Industriezentren, wie München — wo Siemens, BMW, MAN und', andere 1 Industriegiganten ansässig sind —, Nürnberg, mit der Quelle und den größten Möbelfabriken Deutschlands, Ingolstadt, das zum deutschen Ölzentrum wird, stehen ausgesprochene Notstandsgebiete, wie zum Beispiel der Bayrische Wald oder Teile Oberbayerns, gegenüber. In anderen Teilen des Landes, wie zum Beispiel im Allgäu, ist eine reiche Landwirtschaft vorhanden.

Es gibt in der bayrischen Wirtschaft viele Parallelen mit Österreich, die sich dem wirtschaftlich geschulten Beobachter förmlich aufdrängen. Dies gilt sogar für die Frage der EWG. Auch Bayern ist, bezogen auf die Konsum- und Industriezentren der EWG, ein Grenzland, wenngleich vielleicht nicht so ausgeprägt, wie dies bei Österreich der Fall wäre. Aus diesen Gemeinsamkeiten ergeben sich zweifellos sehr interessante Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern.

Das ist auch einer der Gründe warum Österreich und seine Probleme in Bayern auf so tiefes Verständnis stoßen. „Wir haben viel Verständnis und empfinden ehrliche Freundschaft für Österreich“, sagte Bayerns Staatsminister für Wirtschaft, Dr. Otto Schedl, in einem Gespräch mit Ihrem Korrespondenten. „Und wir sind ständig bemüht, die gute wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Österreich weiter auszubauen.“ Minister Dr. Schedl ist ein wirklicher Freund Österreichs Seinen Urlaub verbringt er meist am Ossiacher oder am Millstätter See, und als Fachmann für Kunstgeschichte spricht er begeistert von den reichen kulturellen und künstlerischen Schätzen Österreichs.

,,Ich bin immer dafür eingetreten, Österreich die Möglichkeit zu engen Kontakten mit dem Westen zu geben. Es besteht aller Grund für alle Beteiligten, sich sehr nachhaltig zu überlegen, was getan werden kann, um dem Wunsch Österreichs nach Zusammenarbeit mit der EWG nachzukommen“, meint Minister Schedl zur Frage EWG Aber unabhängig von EWG und EFTA können die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden katholischen Nachbarländern wirksam weiter vertieft werden, und Bayern wird alle diese Bemühungen mit voller Kraft unterstützen.

Schon jetzt bestehen gute und enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern. Das Donaukraftwerk Jochenstein, das gemeinsam erbaut wurde und betrieben wird, das Innkraftwerk Braunau, das praktisch als „Nachbarschaftsbetrieb“ errichtet wurde, sind Beispiele für eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, die sich für beide Partner bisher sehr vorteilhaft ausgewirkt hat. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Tiroler Wasserkraftwerken und den Vorarlberger Iiiwerken auf der einen und den Bayernwerken auf der anderen Seite hat sich äußerst gut bewährt.

Und doch ist alles erst ein Anfang. Die guten Erfolge der bisherigen Zusammenarbeit bieten die Gewähr dafür, daß auch weitere wirtschaftliche Aufgaben, die im Interesse beider Länder liegen, mit Erfolg bewältigt werden können.

Zu diesen Aufgaben zählt vor allem der Ausbau guter Verkehrswege. Sowohl für Österreich als auch für Bayern ist zum Beispiel der Ausbau der Großschiffahrtsstraßen Rhein-Main-Donau von größter Bedeutung. Österreich erhält damit die Möglichkeit, sehr frachtgünstige Transporte bis in das „Konsumherz“ der EWG, das Rhein-Ruhr-Gebiet, Belgien und Holland, durchzuführen und unter anderem auch eine günstige Kohlenversorgung für die VÖESt. auf dem Wasserweg sicherzustellen. Bayern macht jetzt schon große Anstrengungen zur weiteren Schiffbarmachung der Donau auf bayrischem Gebiet.

Ein weiteres wichtiges Problem beider Länder ist die Schaffung guter Nord-Süd-Straßenverbindungen. Priorität in diesem Zusammenhang haben die Autobahnen Kufstein—Brenner und München—Venedig über das Stilfser Joch.

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