6680605-1961_42_06.jpg
Digital In Arbeit

Comecon und EWG

Werbung
Werbung
Werbung

Die Haltung des Ostblocks zur wirtschaftlichen Integration Europas wird in erster Linie von politischen Erwägungen bestimmt, auf die die zunehmenden Spannungen zwischen Ost und West nicht ohne Einfluß bleiben. Die sowjetische Anfrage über Österreichs Integrationspläne entspringt dieser politischen Stimmung. Bemerkenswert ist dabei, daß die östlichen Theoretiker in der Bildung von zwei westlichen Integrationsblöcken eine Bestätigung ihrer These der sich verschärfenden Widersprüche und Konkurrenzkämpfe innerhalb der westlichen Welt sahen, was nun nach der Hinwendung Englands zur EWG einer Revision bedarf.

In der wirtschaftlichen Beurteilung der westlichen Integration besteht dagegen keine solche Einheitsfront, da hier die Interessen der einzelnen Länder je nach ihren Außenhandelsverflechtungen und ihren handelspolitischen Voraussetzungen verschieden sind.

Wenn auch meist zwei Drittel des Außenhandels der Oststaaten und mehr (UdSSR rund drei Viertel) ostblockintern abgewickelt werden, so hat der dann noch verbleibende Außenhandel, von dem wieder meist mehr als die Hälfte auf Westeuropa entfällt, für diese Staaten ein weit größeres Gewicht als der Osthandel für die europäischen Weststaaten, bei denen der O s t b a n d e 1 s an t eil,’,s el ten 3 bis 4 Prozent überschreitet (Durchschnitt der OĖEC-Staaten 3,6 Prozent, mit Jugoslawien 4,4 Prozent). Nur Österreich macht mit seinem hohen Osthandelsanteil eine Ausnahme (13,7 Prozent des Exports, mit Jugoslawien 17,2 Prozent). Nach Überführung der Ablöselieferungen in den kommerziellen Verkehr wird Österreichs Osthandel fast 20 Prozent erreichen und damit Finnland (Osthandelsexportanteil 16,5 Prozent) übertreffen.

Daher ist es verständlich, daß Öster reich bei seinen Assoziierungsverhandlungen mit der EWG neben der selbstverständlichen Rücksicht auf seine Neutralitätsverpflichtungen auch seine Osthandelsinteressen gewahrt wissen will. Wie dies erfolgen soll, ist freilich noch nicht recht abzusehen, da Österreich voraussichtlich nur bei einer vollen Zollunion das Recht auf selbständige Gestaltung seiner HandelsAße, Drittstaaten waren diskriminiert

Die Zollpolitik der EWG ist kein grundsätzliches Hindernis für die Fortsetzung des Osthandels, weil der gemeinsame Außenzoll der EWG, ebenso wie der österreichische Zolltarif, Zollfreiheit für die meisten und wichtigsten der von den Oststaaten angebotenen Rohstoffe und Halbfabrikate vorsieht. Anderseits war Österreich bisher nicht bereit, den Import von industriellen Fertigwaren aus den Oststaaten zu begünstigen, und seine Aufnahmsfähigkeit für östliche Agrarprodukte ist ohnedies durch den erzielten hohen Selbstversorgungsgrad der österreichischen Landwirtschaft (etwa 88 Prozent) beschränkt. Nicht geregelt ist allerdings von der EWG die Frage der Öleinfuhr, an der Österreich besonderes Interesse hat.

Lediglich die stärker industriell ausgerichteten Oststaaten, wie die CSSR oder die DDR, könnten daher von einer drohenden Diskriminierung durch die EWG sprechen, die sich aber nicht gegen die Oststaaten allein, sondern genau so gegen alle Drittstaaten richtet und eine natürliche Folge von Zollunionen ist. Die übrigen Oststaaten mögen zwar auf lange Sicht ebenfalls eine Beeinträchtigung ihrer kommenden Fertigwarenexporte durch die europäische Integration erwarten, gegenwärtig stehen aber meist noch Agrarprodukte und Rohstoffe im Mittelpunkt ihrer Westexporte (1959: 25 bzw. 55 Prozent der Ostexporte nach Westeuropa). Die straffe protektionistische Agrarpolitik der EWG erweckt bei den Oststaaten die Befürchtung, daß ihre Agrarexporte in die EWG erschwert werden, weshalb sie die EFTA-Lösung vorzogen. Anderseits dürfte ihnen aber klar sein, daß ein gesteigerter Wohlstand Westeuropas auch seine Aufnahmsfähigkeit für agrarische Veredlungsprodukte, denen die östlichen Entwicklungspläne besondere Aufmerksamkeit widmen, eher fördern wird.

Bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung können daher die Oststaaten, vor allem die industriell noch weniger fortgeschrittenen Donaustaaten, in der westeuropäischen Integration keine Beeinträchtigung ihrer legitimen Handelsinteressen sehen. Jugoslawien freilich, das nur ein Drittel seines Außenhandels mit dem Ostblock abwickelt, hat in dieser Hinsicht ernstere Bedenken, und versucht daher auch bereits, den neuen Verhältnissen in seiner Handelspolitik Rechnung zu tragen.

Um die Zollvorteile des GATT

Jugoslawien bemüht sich nämlich um Aufnahme in das GATT, was übrigens auch von Polen angestrebt wird, und hat, um den GATT-Grund- sätzen zu entsprechen, sein Außenhandelsregime etwas liberaler gestaltet und einen Zolltarif eingeführt, um so ein den weltwirtschaftlichen Anforderungen genügendes Instrument seiner Handelspolitik zu besitzen. Die Erfahrungen mit dem neuen jugoslawischen Zolltarif sind noch zu kurz, um schon heute ein Urteil über das neue Belgrader Außenhandelsregime abgeben zu können, das im übrigen noch immer genug dirigistische Züge aufweist.

Bedenklich ist es aber, daß auch Ungarn, obwohl es nicht Mitglied des GATT werden will und keine GATT- konformen Erleichterungen in seinem Außenhandels- und Devisenregime in Aussicht stellt, mit 1. September 1961 ebenfalls einen neuen Handelszolltarif eingeführt hat. Dieser Tarif dient, ebenso wie der jugoslawische, dem Ziel, faktisch die Meistbegünstigung für ungarische Exporte auch bei jenen Staaten zu erreichen, die dazu vertraglich nicht verpflichtet sind. Durch die starke Differenzierung zwischen den autonomen Zollsätzen und den höheren für Länder mit Meistbegünstigung will Ungarn offensichtlich mindestens jene Vorteile erreichen, die sich GATT-Länder wechselseitig einräumen, ohne daß Ungarn aber selbst die in den GATT-Regeln vorgesehenen Verpflichtungen zu einer liberalen Außenhandels- und Devisenpolitik übernehmen will. Ja, Ungarn scheint durch diesen Tarif auch die Zollvorteile der EFTA anzustreben, wie dies die Sowjetunion Finnland gegenüber bereits erreicht hat. Die Handelspolitik der westlichen Länder wird daher dürch diesen Zolltarif vor eine neue Lage und vor eine Reihe grundsätzlicher Entscheidungen gestellt, die aber nicht überstürzt werden müssen. Denn durch eine Sonderbestimmung ist die Anwendung des höheren-’’hh tisėHėii’ Zolltarifs gegenüber den Staaten der EFTS W 3er

Finnland noch bis auf weiteres ebenso wie im jugoslawischen Zolltarif suspendiert.

Fast gleichzeitig mit Ungarn hat auch die Sowjetunion mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 1961 einen neuen Zolltarif ausgegeben, bei dem ebenfalls ein Unterschied je nach dem Vorliegen der Meistbegünstigungsklausel gemacht wird. Deshalb werden seine Sätze als Minimal- und Maximaltarife bezeichnet. Da Österreich der Sowjetunion die Meistbegünstigungsklausel vertragsmäßig zugesagt hat, wird es in den Genuß der niedrigeren Sätze kommen. Beim Vergleich mit dem ungarischen Tarif fällt auf, daß der sowjetische Tarif nach der „Einheitlichen Außenhandelsnomenklatur” des Jahres 1954 erstellt wurde, die auch als Grundlage der Außenhandelsstatistiken der Ostblockstaaten dienen soll, der ungarische aber nach einer anderen Klassifikation, die weit vielseitiger als der sowjetische Tarif ist. Beide sind daher nur schwer vergleichbar, es scheint aber, daß der sowjetische Tarif durchweg niedrigere Sätze als der ungarische aufweist. Lederschuhe werden zum Beispiel in der Sowjetunion mit 3 bis 20 Prozent (je nach Anwendung der Meistbegünstigungsklausel) verzollt, in Ungarn aber je nach Art mit 25 bis 60 Prozent bzw. ohne Meistbegünstigungsklausel mit 35 bis 70 Prozent,

Kaffee in Ungarn mit 200 bzw. 300 Prozent, in der Sowjetunion dagegen mit 5 bzw. ohne Meistbegünstigung 20 Prozent. So zeigt sich also auch bei der Aufstellung der Zolltarife, daß das Vorbild der Sowjetunion durchaus nicht maßgebend für alle Oststaaten ist, woraus auch eine abweichende Zollpolitik folgt.

Die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verschiedener Integrationsbereiche erschöpft sich aber nicht in der Handelspolitik. Sie stellt sich auch in der Verkehrspolitik und in vielen über die Staatsgrenzen hinausreichenden wirtschaftlichen Beziehungen, die zwischen Österreich und dem übrigen Donauraum stets besonders eng waren. Dies kam auch bei einem unlängst in Vancouver für UNO- Experten abgehaltenen Seminar über Entwicklungsfragen internationaler Flußsysteme zum Ausdruck, bei dem auch die Rechtsordnung an der Donau behandelt wurde.

Es wäre verfehlt, von notwendigen komplementären Beziehungen zu sprechen oder auf ihre sensationelle Verstärkung zu rechnen, aber der Wunsch nach einer Fortsetzung der bestehenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist so sinnvoll und wirtschaftlich begründet, daß er sich auch gegenüber schweren politischen Belastungen durchzusetzen vermag. Das wirtschaftliche Integrationsdenken hüben und drüben läßt sich aber mit ihm erst recht ohne allzu große Schwierigkeiten vereinen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung