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„Und sie bewegt sich doch“

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Die ungefüge Masse, die bisher dem Frieden den Weg versperrte, ist in Bewegung geraten. Vielleicht wird sie noch einmal dem Stillstand verfallen, aber zweifellos hat die erste Woche der Berliner Konferenz Besseres erbracht als nur diplomatische Wortgefechte.

Die Propheten, die gewohnt sind, den Pessimismus für den sichersten Teil ihrer Kunst zu halten, sahen schon am ersten Tage in dem Antrag des sowjetischen Außenministers, Maßnahmen zur Entspannung der internationalen Lage und für die Abhaltung einer Fünfmächtekonferenz mit Teilnahme Chinas als ersten Punkt der Tagesordnung zu behandeln, eine Zündschnur, mit der die Berliner Konferenz in die Luft gesprengt würde. Ihnen schien recht zu geben, daß der amerikanische Außenminister dem Sowjetischen Antrag mit grimmiger Abweisung begegnete.

Doch dieser rätselhafte, von Mißtrauen umlagerte Molotow machte eine auffallende Bemerkung, die in ganz andere Richtung deutete und doch eine veränderte Stellung zu umschreiben schien: Wie, dem Potsdamer Uebereinkommen sage man die gewalttätigen Eigenschaften des Versailler Vertrages nach? Es sei zugegeben, daß „gewisse Potsdamer Bestimmungen heute hinfällig sin d“. Das ging auch die österreichischen Beobachter an. Sie notierten gerne das scheinbar leicht hingeworfene Wort.

Und dann griff am dritten Verhandlungstage mitten hinein in die aufgehäuften Probleme die kluge Rede B i d a u 11 s, die den Tagesordnungsantrag Molotows nicht ablehnte und riet, Abrüstung und Fünferkonferenz in einem anderen Rahmen zu behandeln. Während Dulles und Eden noch gegen die Beiziehung des kommunistischen China diskutierten, ging Molotow auf den Gedanken ein, den Bidault in die Debatte geworfen: nicht in dem Plenum der Konferenz, sondern in einem besonderen Kreise, einem Ausschuß, sollte die Einberufung der Fünferkonferenz beraten und die UNO zur Einleitung einer Weltkonferenz für die allgemeine Abrüstung veranlaßt werden. An diesem Punkte gelingt es der Regie Bidaults, Vorgespräche einzuleiten, welche die Annahme gastlicher Einladungen vorbereiten, die Dulles und Molotow zu intimen Aussprachen zusammenführen.

So beginnen in Berlin sehr ernste Arbeiten auf diesem ersten persönlichen Einzeltreffen zwischen Dulles Molotow, Aussprachen über den Abrüstungsplan des Präsidenten Eisenhower, die bis zu dem innersten Kern jedes Abrüstungsplanes, dem Atomproblem, vorstoßen, gefolgt von den ersten Geheimsitzungen der Viermächtevertreter, einem Gedankenaustausch — unter dem notwendigen Ausschluß der Oeffentlichkeit — über die heiklen Fragen eines tatsächlichen Machtausgleiches. Nun reift die Situation zu dem Vorschlag Bidaults, sich auf eine Entschließung zu einigen, in der die vier Mächte sich verpflichten, ihre Bemühungen mit denen der Abrüstungskommission der UNO zu vereinigen, damit dies«- „über die allgemeinen Grundsätze der Abrüstung zu weitgehenden Uebereinkommen gelangen kann, die erlauben, unter günstigen Umsünden eine allgemeine Abrüstungskonferenz entsprechend der Resolution der UNO vom 11. Jänner 1952 einzuberufen“.

So ist dem Wesen nach die Uebereinstim- mung mit dem Verlangen Molotow erreicht,die Debatte über den ersten Punkt der Tagesordnung kann als beendigt erklärt und die Beratung der deutschen Frage, der Wiederherstellung Deutschlands, eröffnet werden, für die Eden ein konstruktives Fünfpunkteprogramm vorbereitet hat.

Wichtig für den Westen erweisen sich bisher zwei Tatsachen. Die feste Haltung des von Molotow viel umworbenen Bidaults und die für Uneingeweihte überraschende Bereitwilligkeit des amerikanischen Außenministers, mit dem China Mao’s, des heutigen überragenden Traditionsträgers des Weltkommunismus, sich zwar nicht zu einer Fünferkonferenz, wohl aber zur Absprache über einzelne Fragen zusammenzusetzen. Vermutlich wollen j ie USA irgendwie mit China ins Gespräch kommen, wenn dies auch nicht über den Stahldraht Moskaus geschehen soll. Die in Berlin anwesende sehr zahlreiche Delegation Chinas hält sich für alle Fälle bereit…

Da und dort also Hoffnungszeichen. Zwar gibt es in der Deutschlanddebatte Stockungen. Aber so manche Schlagbäume sind in den letzten Tagen hochgezogen worden. Noch spricht nichts gegen die Erwart- tung, daß es gelingen wird, auch den Zwiespalt der Meinungen zu überwinden, ob und wie das zweigeteilte Deutschland den weiteren Beratungen zugezogen werden soll.

Indessen hat Oesterreich die Erklärung Molotows vernommen, er sei mit den Westmächten darin einig, daß den Beratungen eine österreichische Delegation zugezogen werde, wenn die Außenminister das Oesterreich-Pröblem behandeln. Das ist das erste offizielle Einverständnis Rußlands zu einer Mitsprache Oesterreichs in der Behandlung seiner Zukunft im Verhandlungsraum der Großmächte.

Oeffnet sich uns eine Tür in die Freiheit? Das heiße Verlangen aller Oesterreicher hängt an dieser Hoffnung. Es ist möglich, daß die Debatte über Oesterreich, das heißt über den Staatsvertrag, früher eröffnet wird, als nach den ersftn Tagen der Berliner Konferenz zu erwarten war. Noch bedrückt uns die Sorge um die Stimmung, in der die vier Gesprächspartner das Thema Deutschland verlassen werden, die Sorge, der Schatten dieses gigantischen Fragenkomplexes könne, so weit getrennt die politischen Probleme sind, auf die Behandlung des „Falles Oesterreich“ hinüberwirken. Da ist die brüsk einsetzende ostdeutsche kommunistische Propaganda, die auch von einer anderen Seite her zu sehen ist: sie dokumentiert die Unsicherheit der ostdeutschen Machthaber in ihrer Stellung, ihre Furcht, in Berlin könnte etwas geschehen zur Auflok- kerung der starren Fronten. Das Ringen um Deutschland wird einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen der beiden Weltgruppen darstellen. Die Gegensätze werden sich hier in ihrer nüchternen Reäliüt stellen, aber den guten Willen und die Staatskunst der Verhandlungspartner offenbaren — Hier darf ein Wort Molotows zitiert werden: „Es hat keinen Sinn, die Gegensätze zu verschweigen. Alle Welt weiß, wie groß sie sind, wir sind ja alle nach Berlin gekommen, eben um sie offen darzustellen.“ Die Gesprächswilligkeit aller Partner wird also durch dieses Thema auf die Probe ihres Ernstes gestellt. Dazu sind sie ja doch nach Berlin gekommen und keiner von ihnen kann sich davon ausnehmen, ohne an der ganzen Welt schuldig zu werden.

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