6629358-1956_28_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

DIE VERGESSENEN) Die Regierungsbildung ist in oller Form abgeschlossen. Der Koalifionspakt wurde veröffentlicht, und in diesen Tagen gibt der Bundeskanzler das Programm seiner neuen Regierung dem Parlament bekannt. In vielen Kommentaren wurde die Herauslösung der verstaatlichten Betriebe aus dem Machtbereich eines bestimmten sozialistischen Ministers als unabdingbare Erfüllung der Versprechungen der Oesterreichischen Volkspartei an ihre Wähler bezeichnet. Mit Recht. In manchen Stimmen zur Regierungsbildung wurde auch die Berufung eines bekannten Universitätsprofessors in die Bundesregierung gleichsam als Honorierung für die Unterstützung liberaler Kreise dargestellt — womit man übrigens dem neuen Staatssekretär, dessen besonderes Wirkungsgebiet weit über das Interesse von Gruppen und Erak-tionen hinaus geht, keinen guten Dienst erwiesen hat. Vollkommenes Schweigen aber herrscht darüber, ob und wie man gedenkt, verschiedene und nicht unbekannte Anliegen der österreichischen Katholiken durch die neue Regierung einer Lösung zuzuführen. Im Koalitionspakf finden wir keine Silbe, die uns darüber Auskunft gibt, ob man vom Partner in der Regierung feste Zusagen am Beginn der neuen Arbeit eingehandelt hat. Jawohl: eingehandelt! Wir scheuen dieses Wort keineswegs, wollen wir doch “auf dem Boden der Realpolitik bleiben. Und ein Blick auf die neue Zusammensetzung des Unterrichtsausschusses im Parlament, in dem zum Unterschied zum Handels-, Aurjen-, Justiz-, Landwirtschaff-, Verfeidigungs-, Verfassungsund (ach so bedeutsamen!) Zollausschuß keine Mehrheit für die Volkspartei gesichert wurde (13 OeVP, 12 SPOe, 1 FPOe), läßt pessimistische Deutungen laut werden. Hat man die Katholiken wiederum „vergessen“, glaubt man die Gefühle dieser hundertfausenden Wähler abermals nach dem Motto: „Wen wollen sie denn sonst wählen?“ vernachlässigen zu können? Die Kirche wünscht in Oesterreich, wie es der neue Erzbischof von Wien unmißverständlich ausgesprochen hat, keine Privilegien. Die Katholiken in ihrer Mehrheit ebenfalls nicht. Aber eines dürfen sie verlangen: dafj man über ihre wiederholt vorgetragenen Anliegen nicht ruhig zur Tagesordnung übergeht.

WÄHREND DIE DRAHTSCHEREN im Verhau entlang der österreichisch-ungarischen Grenze bedachtsam arbeiten und vorsichtig Mine um Mine entfernt wird, haben sich Kommissionen beider Länder ebenso bedachtsam den heiklen Minen der Vermögensfragen zugewendet, die zwischen beiden “Ländern ein Niemandsland zogen. Der erste Schönheitsfehler dieser Besprechungen ist, dafj von keiner Seite irgendwelche Ziffern genannt wurden. Im wesentlichen brachte Oesterreich vor kurzer Zeit in Budapest zur Sprache: die Entschädigung für in Ungarn sozialisierte Vermögen; die Einlösung von Wertpapieren; Bankenangelegenheifen; Mobiljen. Unser Standpunkt betreffend nationalisierter Werte (Güter, Häuser und Industrieanlagen) sowie hinsichtlich der Werlpapiere wurde anerkannt; dagegen wurde eine Entschädigung in Bankdingen mit der Begründung abgelehnt, dafj Barlken und Versicherungen in Ungarn Staafs-monopol wären: das bedeutet, dafj es in Zukunft keine Niederlassungen unserer Versicherungsanstalten und Banken in Ungarn geben wird. Was die Mobilien angeht, wurde die Behandlung der Angelegenheit einer Subkommis-sion übergeben, desgleichen die Festsetzung einer Werfgrenze. Ausständig bleibt die Nominierung des Stichtages für das Anspruchsrecht und die Staatsbürgerschaft. Den Standpunkt Ungarns, den 31. Jänner 1931 zu wählen, konnte Oesterreich nicht annehmen. Der zweite Schönheitsfehler: die Regelung des Grenzbesitzes. Bei der verwickelten Grenzführung — die Pinka beispielsweise wird an sieben Stellen von der Staatsgrenze geschnitten — handelt es sich ge-wifj um ein heikles Problem, es ist aber ein maßgebliches für das Burgenland und damit für Oesterreich. Die Lage der Landwirtschaff ist keineswegs rosig im Osten. Alljährlich sind fünf-fausend Landarbeiter gezwungen, außerhalb der engeren Heimat nach Verdienst zu suchen. Die Grenzbauern, welche zur Zeit der politischen Spannung off unter erheblichen Gefahren ihre durch die Grenze gefeilten Liegenschaffen nur teilweise bestellen konnten, haben auch von den Marshallplan-Geldern wenig gesehen; es galt als bedenklich, irrt Osten zu investieren. Nun, mehr als ein Jahr nach der Unterzeichnung des Sfaatsverfrages, mühte eine umfassende Planung aller Grenzbesitze und Veröffentlichung effektiver Ziffern erfolgen. Mit der Tschechoslowakei und Jugoslawien wurde schon verhandelt. Indes, die Zeit vergeht, die Kommissionen tagten, und ein bestimmtes Datum für die Fortführung der Verhandlungen ist nicht genannt worden — möglich, dafj es zum Jahresende so weit ist. Dann mufj Oesterreich einen konkreten und befristeten Vorschlag machen.

NUR EINE HÖFLICHKEITSVISITE! Dem Besuch des italienischen Ministerpräsidenten Segni und des Außenministers Martino im frosfstarrenden Winter in Bonn folgte nun der Gegenbesuch des deutschen Bundeskanzlers und seines Außenministers von Brentano im sommerheißen Rom.

Das Kommunique des italienischen Außenministeriums spricht vom „offiziellen Gegenbesuch“ und von der „Fortsetzung der Bonner Besprechungen“, welche die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern noch intensiver gestalten werde. Adenauer gilt in Rom als der „große alte Mann. Churchill hat ihm nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik dieses Prädikat abgetreten. Als „großer alfer Mann“ gilt Adenauer nicht nur im Blickfeld der sogenannten „Gebildeten“, die sich dank regelmäßiger Zeifungslekfüre über all Vorgänge in Deutschland zu unterrichten suchen, sondern auch bei der Masse der unzureichend Orientierten, der kleinen Leute also, die in ihm geradezu den Retter des nun wieder mächtig erblühten Landes sehen. Fern vom Streit der deutschen Parteien, unbeschwert durch die scharfen innerpolilischen Spannungen, die in erster Linie vom unabdingbaren Sonderproblem der Außenpolitik gefördert werden, sehen die meisten Italiener in Adenauer den Mann, der von Anfang an weitgesfeckfe Ziele unbeirrt verfolgte und sie, in oft über die Massen beschwerlichem Kärrnerdienst, verwirklichte: Aussöhnung mit Frankreich, Vertrauenserweckung in der übrigen Welt; Wiedererlangung der Souveränität, und mehr, viel mehr: Sicherung des Aufbaues von Staat und Wirfschaff, Rückgewinnung deutscher Würde und deutschen Ansehens in der Weif. Der Bundeskanzler findet also in Rom eine herzliche Atmosphäre vor. Die verantwortlichen Männer in Italien haben es daher leicht, die längst gelegte Basis politischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zu erweitern. Auch innerhalb der Pakfsfaafen gibt es warme und kalte Freundschaften. Gerade Italien kann künftig, angesichts auch seiner wiederhergestellten vertrauensvollen Beziehungen zu Frankreich, als wohlwollender Mittler zwischen Deutschland und Frankreich werfvolle Diensfe leisten. Für die deutsch-italienischen Besprechungen in Rom, die sich zwischen Segni und Adenauer und gleichzeitig, aber getrennt, zwischen Martino und von Brentano in den Tagen vom 2. bis 4. Juli abwickeln, wurde keine besondere Tagesordnung festgelegt. Mit dem Wort: „Vertiefung der beiderseitigen Beziehungen“, die genug Gesprächsstoff liefern, ist das Thema“ vorab erschöpft. Nachher wird sich dann zeigen, ob spezielle Vereinbarungen getroffen wurden. Es ist bekannt, daß den Italienern u. a. die seif einiger Zeit ins Auge gefaßte engere wirtschaftliche Zusammenarbeit, zumal im Sinne kapifalmäßiger und technischer Hilfe für den unterentwickelten italienischen Süden, sehr am Herzen liegt. Die ausländische Kapitalunterstützung ist zudem die unerläßliche Voraussetzung für die Ingangsetzung des sich auf zwölf Jahre erstreckenden Vanoni-Plans, der nicht weniger anstrebt als die wirtschaftlich und sozial/auseinanderklaffenden Gebiete Nord- und Südifaliens einander anzugleichen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung