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Wege und Umwege der Diplomatie
In vorschauender Sorge um die Stellung ihres Vaterlandes bei den kommenden Friedensverhandlungen versuchte nach Kriegsausbruch 1939 eine Gruppe österreichischer Patrioten im Exil die Anerkennung Oesterreichs als eines Gliedes der mit dem „Dritten Reich“ im Kriegszustand befindlichen Allianz zu erwirken. Ein diesbezügliches Memorandum, in dem die völkerrechtliche Begründung des Begehrens eingehend dargelegt war, fand in Whitehall ebenso wie am Quai d'Orsay eine durchaus nicht ungünstige Aufnahme. Allerdings, der damalige britische Premier hieß Neville Chamberlain, und daher ist es mehr als fraglich, ob die Aktion zum Ziel geführt hätte, selbst wenn das Memorandum nicht einen als schwerwiegend zu bezeichnenden Mangel aufgewiesen hätte: es trug keine sozialistische Unterschrift. Die zumeist schon seit 1934 in der Emigration lebenden österreichischen Sozialisten waren trotz ihrer betonten Ablehnung Hitlers und des nationalsozialistischen Regimes für eine gegen Deutschland gerichtete Erklärung nicht zu haben. Eine so eigenartige Gedanken- und Gefühlsverwirrung machte sich freilich nicht nur bei ihnen bemerkbar. Während Churchill bald nach Uebernahme der Regierung eider bei ihm erschienenen österreichischen Delegation versicherte, auch Oesterreich sei eines der Länder, für deren Befreiung die Briten das Schwert ergriffen hätten, weigerte sich sein Außenminister Anthony Eden, entgegen dem Drängen einer Anzahl Abgeordneter seiner eigenen Partei, eine analoge Erklärung im Parlament abzugeben. Bei Oesterreich, so meinte er, lägen die Dinge anders, denn dieses Land sei „ein integrierender Bestandteil der deutschen Kriegsmaschinerie“. Durch wessen Schuld es dazu gekommen war und daß das gleiche auch von anderen deutsch-okkupierten Gebieten, dem „Reichsprotektorat“ zum Beispiel, gesagt werden konnte, schien dem Chef des Foreign Office entgangen zu sein. Bis Kriegsende konnten oder wollten sich die alliierten Staatsmänner, wie das ja auch in der Moskauer Deklaration zutage trat, über die an sich so klare Rechtslage Oesterreichs nicht ins reine kommen; ein Umstand, der dem befreiten Oesterreich nicht nur ein neuerliches, zehnjähriges Besatzungsregime und, statt der ihm gebührenden Wiedergutmachung, eine drückende Reparationslast bescherte, -sondern auch die Wiederanbahnung seiner auswärtigen Beziehungen auf vertrauensvoller und freundschaftlicher Basis ungemein schwierig gestaltete.
Es war ein Glück, daß der neugebildeten österreichischen Regierung noch einige erfahrene Diplomaten der alten Schule zur Verfügung standen: Männer, die nebst dem sozusagen Handwerklichen der Diplomatie die Kunst des Umgangs mit Menschen beherrschten und durch ihre Erziehung, ihre Welt- und Sprachenkenntnis, ihre persönliche Kultur, ihre gesellschaftlichen Formen den Namen Oesterreich zu neuer Geltung zu bringen wußten.
Zu ihnen gehörte, und mit in erster Reihe, der Autor des vorliegenden Erinnerungsbuches. Schon aus diesem Grund müßte Lothar Wimmers Bericht, der uns vom Gesandtschaftspalais in Belgrad, vor der Katastrophe von 1938, über die Schweiz der Kriegsjahre nach Brüssel und schließlich an den Hof von St. James führt, lebhaftem Interesse begegnen. Aber das Buch bietet uns noch mehr als die Bekanntschaft oder, für vielleicht manchen Leser, ein Wiedersehen mit den zahlreichen Persönlichkeiten des politischen, kulturellen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Lebens, denen der Autor auf seinem Weg begegnet ist, oder auch als eine Sammlung von Skizzen der politisch bedeutsamen Ereignisse, an denen er unmittelbar oder \s aufmerksamer Beobachter beteiligt war. Diese Memoiren, die übrigens mit beispielhafter Diskretion und einer ungemein liebenswürdigen Feder geschrieben sind, regen dazu an, die Erfolge, die der österreichischen Diplomatie in diesen schicksalsschweren Jahren beschieden waren, Revue passieren zu lassen; die Erfolge, aber auch die Bemühungen, die in der gegebenen Lage unter allen Umständen fruchtlos bleiben mußten sowie jene, die vielleicht doch, von anderen Händen gelenkt, zu einem guten Teilergebnis hätten führen können. Wie Wimmer richtig bemerkt, stellte Washingtons Rücksichtnahme auf die italo-amerika-nischen Wahlerstimmen der von Recht und Vernunft geforderten Wiedervereinigung Südtirols mit Oesterreich ein Hindernis entgegen, das einfach nicht zu überwinden war. Daß es aber unmöglich gewesen wäre, im Pariser Abkommen der Koppelung Südtirols mit der Provinz Trient vorzubeugen und die Einsetzung eines übernationalen, für Südtiroler Streitfragen zuständigen Schiedsgerichtes zu stipulieren, wird schwerlich bewiesen werden können. Jedenfalls bildet das uns hier gebotene Memoirenwerk einen wertvollen Behelf zum Verständnis der zeitgenössischen Geschichte.
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