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Österreich und die Konferenz in Berlin

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Spät ist an den hohen Pforten der Weltpolitik die Erkenntnis der unglücklichen Tatsachen gereift. Durch eine unverbindliche Reuter-Meldung konnte die Oeffentlichkeit erfahren, daß die Mächte „ebenso wie Oesterreich“ der Ansicht sind, daß „heute, nach fast neun Jahren ungerechtfertigter Besatzung, die wirtschaftlichen Bestimmungen des ursprünglichen Abkommens zu hart sind“ und „zu großzügig“ gegenüber den russischen Forderungen gewährt wurden: 150 Millionen Dollar in bar, Ueberweisung von 60 Prozent der österreichischen Erdölschätze und der gesamten Einrichtungen der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, ihrer Fahrzeuge, Häfenf Werften, Ufergebiete; sie seien „heute, nach viereinhalb Jahren, überholt“. Als ob diese Vertragsbestimmungen, die 1949 in Aussicht genommen wurden, damals für Oesterreich leichter tragbar, gerechter, sittlicher, damals gegenüber einem von fremder Macht überwältigten, ausgebeuteten, wehrlosen Staat, der nicht Kombattant gewesen war, mit dem Völkerrecht vereinbarlicher gewesen wären als heute! Man sollte es doch offen aussprechen, daß dieses Vertragsinstrument — das einen „Friedensvertrag“ zu nennen man denn doch Bedenken gehabt hatte — Dokument einer Massenkollektivschuld gegen das Menschenrecht wurde.

Die Londoner Meldung, die mit so schmerzlicher Verspätung einen folgenschweren Irrtum einbekennt, der begangen wurde, als sich die Großmächte ans Werk setzten, eine friedliche Neuordnung Europas herzustellen, kennzeichnet aber nicht den ganzen T atbestand, wenn sie die Härte des für

Oesterreich ausersehenen Schicksals auf die wirtschaftlichen Stipulationen des „Staatsvertrages“ beschränkt. Der Text dieses Aktenstückes ist durchwirkt von dem Geist der Diktatur, der Leugnung des einst feierlich gepriesenen, nun freilich seither wenig geübten Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Der Artikel 6 schreibt vor, daß deutschen Staatsbürgern ganz allgemein, ohne Rücksicht auf ihre politische Einstellung, ein dauernder Aufenthalt in Oesterreich zu verweigern sei, außer wenn dies „durch legitime Interessen“ — der Begriff wird nicht definiert — gerechtfertigt erscheine. Der Artikel 10, Abs. 2, hinwiederum konfisziert für das österreichische Volk die Freiheit, seine Verfassung zu bestimmen, indes der Artikel 13 ein heiteres Kuriosum enthält: die Verpflichtung Oesterreichs zur Anerkennung von „Regelungen der Mächte zur Wiederherstellung des Friedens, zum Beispiel mit Deutschland“, „die erst künftig herbeigeführt werde n“. Aber das sind nur Beispiele einer großen Menge; sie können bis in die Annexe des Vertragstextes von 1949 fortgesetzt werden.

Ist es den vier Großmächten jetzt darum zu tun, die internationale Rechtsstellung Oesterreichs nach den Gesetzen der Gerechtigkeit zu verbriefen, so wird dies eine Arbeit sein, die von allen redlichen Anwälten des Rechtes und der Freiheit Wachsamkeit und Vorsicht von Schritt zu Schritt verlangt, und nicht bloß in bezug auf die „wirtschaftlichen Bestimmungen“. Doch dieses Bemühen wird von allen verständigen Menschen der höchsten Ehre sicher sein.

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