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Zum Teufel mit dem Pathos!

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Wer immer auch Dr. Franz Hörburgers Stellungnahme zu meinem Beitrag „Oester- rcichisch und national“ gelesen hat, wird ganz entschieden den Eindruck haben, daß da eine echte Gegenmeinung vorgetragen wurde, mit der ich mich nun auseinandersetzen müßte. Indessen beruht dieser Eindruck wohl nur auf der Form seiner Ausführungen. Eine gewisse Gereiztheit, die durch die Zeilen hindurchschimmert, ist so diplomatisch verkleidet, daß man erst zum Schluß vielleicht die wirkliche Gegenstellung erkennt. Es geht gar nicht um die Frage „Oesterreichisch oder Nichtösterreichisch’’, denn ich glaube kaum, ein Wort gesagt zu haben, das mit den Ausführungen meines Kritikers nicht vereinbart werden könnte und umgekehrt. Es geht hier nur um eine Verschiedenheit der Form, die aber in ihrer Auswirkung grundlegende Bedeutung haben kann, nämlich hie „Ueberzeugung und frisches Pathos", da nüchterne Betrachtung und wissenschaftliche Skepsis. Skepsis ist eine ausgezeichnete und fast unmeßbare Voraussetzung, um sich eine feste Grundlage für einen Aufbau zu sichern. Und man braucht gar kein großer Skeptiker zu sein, sondern nur ein bißchen Erfahrung zu haben, um zu wissen, wie leicht man sich mit einer Ueberzeugung tut, wenn man sie zur richtigen Zeit und am richtigen Ort hat. Es ist gar kein Kunststück, im Kreml ein überzeugter Kommunist und in der Vatikanstadt ein überzeugter Katholik zu sein. Meistens ist eine solche Ueberzeugung irgendwie einträglich, und da wir ja augenblicklich in einem freibesetzten Oesterreich sind, das geradezu kontraktlich verpflichtet ist, in Oesterreichischkeit zu schwelgen, ist eine österreichische Ueberzeugung derzeit ausgesprochen wohlfeil, und das frische Pathos — nun ja, nach den heutigen Begriffen enthält Pathos in sich schon den Beigeschmack der Hohlheit. Wenn also die Gegenüberstellung Dr. Zimmermann—Dr. Hörburger auf diesen Nenner zu bringen ist, stehe ich ganz auf Seiten des letzteren!

Was Herr Dr. Hörburger ganz diplomatisch angedeutet hat, will ich hier unverblümt aussprechen: Zum Teufel mit dem Pathos! Es Wächst uns schon beim Hals heraus. Aber unser Ausdrucksmittel ist nun einmal die Sprache, und wer sie wirklich versteht, der weiß, daß Wort und Gefüge in gleichem Maße den Wert der Aussage bestimmen. Wer sich eines Edelsteines rühmen will, darf ihn nicht schmutzig und bekleckert in einer zerknüllten Zeitung auf die Budel hauen, und wer Achtung für sein Vaterland heischt, muß ihm zu gegebenem Zeitpunkt die Ehre einer gehobenen Sprache zuteil werden lassen.

Es schien mir schon längst nötig, einmal solche Worte zu sprechen. Und ich glaube, sie haben ihren Zweck erfüllt. Vielleicht aber hatte die ganze Geschichte einen Schönheitsfehler. Ausgelöst wurde meine Stellungnahme ja durch die Erklärung eines Abgeordneten im Nationalrat anläßlich einer Parlamentssitzung, in der sich Oesterreich auf Grund von Vorhaltungen einer Besatzungsmacht feierlich gegen den Verdacht neuer Anschlußbestrebungen verwahrte. Es spricht nicht gerade für staatsmännisches Fingerspitzengefühl des betreffenden Abgeordneten, daß er dies als die richtige Gelegenheit betrachtete, um aufzuzeigen, wofür in Wirklichkeit sein Herz schlägt. Auf der anderen Seite aber ist es zweifellos eine Entwürdigung, wenn das österreichische Parla-ment sich durch die Rücksicht auf die vier Besatzungsmächte gezwungen sieht, seinen Willen nach voller Unabhängigkeit Oesterreichs zu bekunden.

Ich wiederhole: Diese Kundgebung war nützlich und mehr oder weniger unumgänglich notwendig. Jede Begeisterung aber in diesem Zusammen hang wäre hohles Pathos gewesen. Und gerade deshalb, weil in Wahrheit jeden aufrechten und wirklichen Oesterreicher die .Wut packen mußte über diese patriotische Kundgebung vor der hohen Besatzungsobrigkeit, schien es mir angebracht, ein Bekenntnis zu Oesterreich abzulegen, das aus freiem Willen kam und keiner Nützlichkeitserwägung entsprang.

Die feierliche Kundgebung des Parlaments ist nun vorbei und meine Worte haben keinen Bezug mehr darauf. Wenn nun ein aufrechter Oesterreicher das Pathos meiner Bekenntnisworte berührt, so glaubte ich, in der ..Furche" als Oesterreicher zu Oesterreichern zu sprechen. Es ist aber wohl nötig, daß gelegentlich auch einmal ein Oesterreicher ohne Rang und Namen, der nichts ist als eben ein Oesterreicher, zum Fenster hinausspricht. Und zwar in klarer, unmißverständlicher Sprache.

Ob wir uns an Deutschland anschließen wollen oder nicht, ist unsere Sache. Wir können als vierfach besetzter Kleinstaat nicht verhindern, daß die Großen feierlich das Selbstbestimmungsrecht der Völker verkünden und dann nach ganz anderen Grundsätzen handeln. Immer wieder aber zeigt es sich, daß in diesem weltweiten Spiel gewal-tiger Kräfte zum Schluß auch die „Gartenzwerge der Weltgeschichte“ noch etwas mitzureden haben. Vielleicht sind nicht wir selber es, deren Verhalten irgendwann irgendwie in die Waagschale fällt. Aber die Art und Weise, wie man uns mitspielt, wird irgendeinem anderen Volk oder Staat Richtschnur für sein Verhalten gegenüber dem Liebeswerben der Großen sein. Man täusche sich nicht darüber, daß trotz aller Vormacht der Giganten heute irgendwer auf dieser Welt diktieren könne oder daß im Zeitalter von Rundfunk und Television nicht morgen oder übermorgen im Dschungel Afrikas oder Indonesiens oder irgendwo in der östlichen Welt das zur Wirkung käme, was heute in Oesterreich geschieht.

Wir haben es bisher für richtig befunden, schön geduldig alles zu tun, um nur ja als brave Mitteleuropäer recht bald zu einem Staatsvertrag und damit zur Freiheit zu kommen. Es ist höchste Zeit, einmal klarzustellen, daß wir einen Friedensvertrag, wie sie ihn meinen, im Grunde gar nicht brauchen. Entweder war der deutsche Einmarsch im Jahre 1938 ein völkerrechtlich zulässiger Akt, dann war es eigentlich unzulässig, ihn als Anklagepunkt in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen geltend zu machen, oder es war ein Friedensbruch, dann genügt die Beseitigung des Eindringlings, um den alten Rechtszustand wiederherzustellen, und es besteht keine Rechtfertigung, daß die Polizei dann doppelt so lang im Hause weilt als der Eindringling und dem Hausherrn Vorschriften macht.

Schon im Friedensvertrag nach dem ersten Weltkrieg hat man uns — natürlich im Zeichen des Selbstbestimmungsrechtes der Völker — verboten, uns an Deutschland anzuschließen. Aber bei aller Macht und Weisheit haben die hohen alliierten und assoziierten Mächte nicht verhindert, daß das kleine Oesterreich gegen seinen Willen von Deutschland aufgefressen wurde. Es fragt sich nur, ob sie es nicht verhindern konnten oder nicht verhindern wollten.

Wenn die hohen Besatzungsmächte glauben, sie hätten uns noch nicht klar genug gemacht, daß wir den Willen zur Unabhängigkeit haben müßten, so ist das ein schlechter Witz. Wenn Deutschland der böse Wolf war, so kann man dem Rotkäppchen mit allen Prügeln und Drohungen nicht verbieten, sich von dem Wolf fressen

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