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Der schwimmende Elefant

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Viele, die das Schlagwort vom „Pulverfaß“ des Nahen Ostens verwenden, vergegenwärtigen sich kaum, daß der Explosivstoff, der diese Region so gefährlich macht, nicht auf, sondern unter den Sanddünen liegt. Zwar gibt die emotionsgeladene Atmosphäre des israelisch-arabischen Streits um operative Geländepositionen, aber auch die überproportionale Anhäufung modernsten Kriegsgerätes in diesem Raum genügend Zündstoff für örtliche Erschütterungen.

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Viele, die das Schlagwort vom „Pulverfaß“ des Nahen Ostens verwenden, vergegenwärtigen sich kaum, daß der Explosivstoff, der diese Region so gefährlich macht, nicht auf, sondern unter den Sanddünen liegt. Zwar gibt die emotionsgeladene Atmosphäre des israelisch-arabischen Streits um operative Geländepositionen, aber auch die überproportionale Anhäufung modernsten Kriegsgerätes in diesem Raum genügend Zündstoff für örtliche Erschütterungen.

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Es mag — zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt — noch etwas übertrieben erscheinen, von einer Krise im Energiebereich der westlichen Welt zu sprechen. Doch sprechen die Zahlen, vor allem die, die aus den Vereinigten Staaten bekannt werden, erste Alarmmarken an. Schon jetzt benötigen die USA bei einem Anteil von nur knapp 6 Prozent der Weltbevölkerung ein volles Drittel der gesamten Weltenergieproduktion.

Noch ist, bei der gegenwärtigen Energiepolitik, kein Ende der Steigerungsraten im Verbrauch der Bodenschätze unseres Planeten abzusehen. Während sich der Energiekonsum je Einwohner der USA in den letzten dreißig Jahren verdoppelte, mußte man allein in den letzten fünf Jahren eine Steigerung von 20 Prozent konstatieren. Unter den Primärenergieträgern nimmt dabei das Erdöl mit einem Anteil von 45 Prozent den ersten Rang ein. Wer, etwa die Bilder der Erdölfelder in Texas vor Augen, die Fiktion von unerschöpflichen Reserven Amerikas an flüssigem Gold aufrechterhalten wollte, wird von den Zahlen rasch belehrt. Bei einem Tagesverbrauch von zirka 15 Millionen Fässern und gesicherten Reserven von knapp 36 Milliarden Faß scheint der Tag nicht mehr fern, an dem die amerikanischen ölfelder erschöpft sein werden.

Schon heute importieren die USA rund ein Viertel ihres Tagesverbrauches; größtenteils aus der Karibi-rischen See und aus Kanada. Legt man der erwähnten Steigerungsrate Berechnungen zugrunde, ergeben diese, daß die Vereinigten Staaten bereits 1995 mehr als die Hälfte des täglichen Erdölverbrauches aus Einfuhren werden bestreiten müssen. Dies würde allein auf dem währungstechnischen Sektor zu einer jährlichen Belastung der Zahlungsbilanz von 27 Milliarden Dollar führen. An dieser Stelle erscheint der Hinweis notwendig, daß bloß 20 Prozent der bekannten Erdölreserven der Welt in der westlichen Hemisphäre lokalisiert werden, 75 Prozent dagegen im Nahen Osten und in Afrika.

Neben den bereits angerissenen ■wirtschaftlichen und monetären Implikationen zeigt dieser Umstand bedeutende strategisch-politische Kraftlinien auf. Wer den Erdölhahn zuzudrehen vermag, verfügt möglicherweise damit über ein stärkeres Druckmittel, als es bisher mit den nuklearen Arsenalen möglich war. Schon Preiserhöhungen überdurchschnittlichen Ausmaßes können künftig die westliche Wirtschaftswelt aus den Angeln heben, denn die Abhängigkeit Japans und des Gemeinsamen Marktes vom braunen Saft aus dem Nahen Osten ist bereits jetzt gegeben.

Es ist daher ziu erwarten, daß das Gerangel um die Gunst der Potentaten rund um die Arabische Halbinsel zunehmend stärker wird. Wie mächtig sich der Irak als Lehensneh-mer des Kreml bereits fühlt, mußte erst vor kurzem das kleine öl-scheichtum Kuweit spüren. Gegenwärtig an siebenter Stelle in der Liste der größten Erdöl produzierenden Länder liegend, verfügt Kuweit über annähernd ein Fünftel der Welterdölreserven. Grund genug um es auf friedliche oder auch andere Art in den eigenen Einflußbereich zu ziehen. Mit der Aufgabe der britischen Positionen östlich von Suez ist ein Stabilisationsfaktor bisher meist unterschätzter Größenordnung verloren gegangen.

Die amerikanische Absichtserklärung, künftig nicht mehr am asiatisehen Kuchen zu naschen, läßt die Sowjets um so ungehemmter den Aufbau der eigenen Machtpositionen vorantreiben.

„Der Elefant“, so hatte einst Win-ston Churchill den kalten Krieg zu erklären versucht, „kämpft gegen den Walfisch.'“

Inzwischen ist sehr wohl aus dem russischen Elefanten ein schwimmendes Tier geworden. Auch George Ball, langjähriger Mitkonstrukteur amerikanischer Außenpolitik und einer der kritischesten Köpfe des State Department, griff erst neulich, als die Politik der Supermächte in Asen einer Beurteilung unterzogen wurde, auf diesen Tiervergleich zurück.

Wollen die Vereinigten Staaten ihrer drohenden Versorgungslücke am Energiesektor begegnen, wird es neben Anstrengungen auf dem Sektor der eigenen Energieplanung und -Politik auch eines verstärkten Engagements in den Zonen bedürfen, die möglicherweise künftig das Abhängigkeitsverhältnis vom braunen Gold bestimmen. Visionen, wonach amerikanische Hausfrauen mit russischem Erdgas kochen werden, sind an der Realpolitik des Kreml zu messen.

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