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Moskau kann nicht beides haben: Butter und Kanonen

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FURCHE: In einem Bericht des amerikanischen Geheimdienstes CIA heißt es. daß in der Sowjetunion das Erdöl zusehends knapper werde. Um 1985 müsse die UdSSR täglich zwischen dreieinhalb und viereinhalb Barrel öl für sich und seine osteuropäischen Allierten importieren. Und daß die Sowjets in Zukunft öl importieren werden müssen, hält auch das Londoner Institut für Strategische Studien für wahrscheinlich. Glauben Sie das auch?

GOLDMAN: Der CIA ist mit seinen Schätzungen über die sowjetischen Erdölimpörte gegenüber seinem ersten Bericht von 1977 inzwischen schon etwas zurückgegangen. Das Londoner Institut für Strategische Studien nennt zwar keine Zahlen, rechnet aber ebenso wie der CIA mit Importen.

Ich meine, daß alle Voraussetzungen vorhanden sind, daß sie nicht soviel Erdöl importieren werden müssen, ja vielleicht überhaupt keines. Die osteuropäischen Staaten allerdings schon.

FURCHE: Und welches sind diese Voraussetzungen?

GOLDMAN: Die Sowjetunion ist ein riesiges Land und es dürfte dort noch immer eine große Zahl potentieller öllagerstätten geben.

Wie die Sowjets dieses öl aus dem Boden holen, ist sicher ein großes Problem für sie. Denn dazu brauchen sie bestimmte technische Voraussetzungen. Ihre Technologie aber ist sehr veraltet und zum Teil überholt.

Das zweite ist: Sogar wenn ihre Produktion fallen sollte - und sie müßte sehr stark fallen, wenn die westlichen Schätzungen zutreffen - haben die Sowjets das Potential, andere Energie-Quellen als Ersatz heranzuziehen: Erdgas, Atom- und Wasserkraft. Schließlich haben sie 40 Prozent der Erdgas-Reserven der Welt.

Sie haben auch die Möglichkeit, Energie zu sparen und zu speichern. Wenn das auch nicht einfach für sie ist, sind sie doch dazu imstande, falls sie dazu gezwungen sind. Wir vergessen ja auch manchmal, daß das Sowjetsystem - obwohl es in vielen Dingen untauglich ist - durch die zentrale Planwirtschaft die Möglichkeit hat, zu sagen: kein Benzin mehr! Oder: Kein Petroleum mehr!

Noch etwas kommt dazu: Die Sowjetunion ist nicht nur der größte Erdöl-Produzent der Welt (sie fördert mehr als Saudiarabien oder die USA), sie ist auch der drittgrößte Erdöl-Exporteur. 25 Prozent des geförderten Öls geht in den Export, insgesamt 150 Millionen Tonnen. Davon geht die Hälfte nach Osteuropa, 25 Prozent in Hartwäh . rungs-Länder, der Rest in Staaten wie Indien oder Finnland.

Diese Exporte sind für sie ein gewisser Sicherheitsfaktor: Sie kann die Ausfuhr drosseln, damit sie für sich und die osteuropäischen Allierten noch immer genügend öl hat. Aus diesen Gründen wird sie meiner Meinung nach die Notwendigkeit großer Öl-Importe auch vermeiden können.

FURCHE: Und wie wirkt sich die Energieproblematik auf die osteuropäischen Allierten aus?

GOLDMAN: Die Sowjets haben ihren Allierten schon Mitte der sechziger Jahre gesagt, sie sollen sich auch anderswo nach Erdöl umsehen. Das ist auch verständlich: Denn sie wollten ihre Exporte natürlich lieber in Hartwäh-rungs-Ländern als in Osteuropa absetzen. Die Osteuropäer importieren ja bereits auch schon einiges öl aus dem Nahen Osten.

Je mehr die Osteuropäer sich aber der sowjetischen Weisung fügen .und öl aus dem Gebiet des Persischen Golfes importieren, desto mehr Geld brauchen sie in harter Währung, es sei denn, sie können Tauschhandelsgeschäfte abschließen. Intern bedeutet das für sie, daß sie weniger für Konsumgüter zur Verfügung haben werden und nicht me.hr soviel aus dem Westen werden importieren können. Sicher wird das auch Auswirkungen auf den Lebensstandard hab.en.

FURCHE: Was für einen Zusammenhang sehen Sie zwischen der Invasion der Roten Armee in Afghanistan und den wachsenden Energie-Problemen in der Sowjetunion?

GOLDMAN: Es ist schwer, eine Erklärung für das sowjetische Vorgehen zu finden. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es die Sowjets überhaupt selber genau wissen.

Tatsache ist, daß sie mit diesem Akt die Stabilität in jenem Teil der Welt in verstärktem, Maße bedrohen. Je mehr es ihnen gelingt, die Afghanen zu befrieden, desto näher rücken sie an Pakistan, Indien ebenso wie an den Persischen Golf heran.

Ich glaube nicht, daß sie in Afghanistan der Bodenschätze wegen einmarschiert sind. Bis auf ein bißchen Erdgas ist dort nicht viel zu holen, das Land ist sehr, sehr arm. Und Erdgas haben die Sowjets selber ja genug.

Ich glaube auch nicht, daß Afghanistan für sie der richtige Weg in Richtung Persischer Golf ist. Moskau hat schon eine überaus wichtige Basis in Südjemen. Und Aden ist eine viel bessere strategische Position, als es zum Beispiel Pakistan wäre.

FURCHE: Also eine völlig unnötige Aktion . . .

GOLDMAN: Für diesen Einmarsch war überhaupt kein Grund vorhanden. Die Sowjetunion braucht das Territorium nicht, von Afghanistan ging keine Bedrohung für sie aus und die Regierung in Kabul war alles andere als antisowjetisch.

Wenn Moskau sich genötigt sieht, seine' Truppen in jedes Land zu schik-ken, das an sie angrenzt, dann wird jeder Staat über kurz oder lang von einem Einmarsch bedroht sein. Deshalb mußte man dem Kreml nach Afghanistan klar zu erkennen geben: Jetzt ist es genug! Denn wenn man es ihnen jetzt nicht sagt, wann wird man es ihnen sagen: Nachdem sie im Iran einmarschiert sind? Oder in Rumänien? Oder in Finnland? Jetzt haben wir sie gewarnt, und mit unseren Sanktionen haben wir demonstriert, daß wir nach einem solchen Aggressionsakt nichtzum „business as usual” übergehen.

Die Sowjets verstehen nun auch, daß ein solcher Akt die Aufmerksamkeit eines Großteils der Welt auf die Dinge lenkt und eine Antwort geradezu herausgefordert wird.

FURCHE: Kann sich die Sowjetunion einen solchen imperialistischen Krieg überhaupt leisten?

GOLDMAN: Bis jetzt können die Sowjets die Angelegenheit jedenfalls handhaben. Wenn sich die Aktion nicht über Jahre hinzieht, werden sie sie wahrscheinlich auch verkraften. Aber wenn sie mit 100.000 Mann dort über einen längeren Zeitraum bleiben, könnten ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten auftreten und sie möglicherweise zum Rückzug gezwungen sein.

Die Ausweitung des Imperiums, die Einsetzung von militärischen Beratern und Truppen im Ausland ist sehr, sehr teuer. Kuba zum Beispiel kostet Moskau jeden Tag über eine Million Dollar. Und es kostet sie nicht nur Geld, sondern auch Rohstoffe, vor allem Erdöl. Dasselbe gilt für Äthiopien, Vietnam oder Kambodscha.

Auch die kommunistischen Herrscher im Kreml werden die Lektion lernen müssen, daß die Aufrechterhaltung eines Imperiums viel kostet, die Ressourcen eines Landes mit der Zeit überfordert werden und damit das Imperium selbst geschwächt wird.

FURCHE: Wie wirkt sich dieses militärische Engagement auf die interne wirtschaftliche Situation aus?

GOLDMAN: Den Sowjets wird nicht erspart bleiben, was auch wir Amerikaner in Vietnam erfahren mußten. Man kann nicht beides gleichzeitig haben: Butter und Kanonen!

Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß die wirtschaftlichen Probleme immer signifikanter werden. Die Berichte über Arbeiterstreiks in Gorki und anderen Städten - teils wegen Lebensmittelknappheit, teils wegen der Anh'ebung der Arbeitsnormen - deuten ja auch schon in diese Richtung.

FURCHE: Und inwieweit treffen die von Präsident Carter verhängten wirtschaftlichen Sanktionen die sowjetische Wirtschaft wirklich?

GOLDMAN: Es gibt viele Studien, in denen Wirtschaftssanktionen als nicht allzu effektiv eingestuft werden. Und sicher können unsere Maßnahmen die Sowjets nicht zum Rückzug aus Afghanistan bewegen. Vielleicht sollte man solche Sanktionen aber auch weniger als wirtschaftliche, sondern vielmehr als psychologische Maßnahmen betrachten.

Als wir in den fünfziger Jahren Sanktionen über die Sowjetunion verhängten, hat sie das nicht von ihrer Entwicklung abgehalten. Aber sie haben die Sache für sie schwerer gemacht, wenn auch nicht so schwer, wie wir es uns in den USA erhofft hatten.

Gewiß: Sie können sich heute anderswo nach den Dingen umsehen, die wir ihnen nicht liefern. Aber jedenfalls haben unsere Sanktionen die Dinge im wirtschaftlichen Bereich für sie noch komplizierter und teurer gemacht. Wahrscheinlich hängen damit auch die aufgetretenen Versorgungsschwierigkeiten zusammen.

FURCHE: Und welches sind die psychologischen Aspekte von Wirtschaftssanktionen?

GOLDMAN: Wenn wir den Sowjets nicht demonstriert hätten, daß die westliche Welt militärische Aktionen wie jene in Afghanistan nicht einfach widerstandslos hinnimmt, hätten sie guten Grund gehabt zu glauben, daß sie vom Westen mit keinem Einspruch zu rechnen haben - was immer sie tun. Wir werden mit unseren Sanktionen jetzt zwar nicht ihre Wirtschaft lahmlegen, aber wie gesagt: Wir machen ihnen das Leben schwerer für sie.

Konkret zeigt sich das in zwei Bereichen: Erstens liefern wir ihnen keine Computer-Ersatzteile mehr, die sie für ihre Fabriken dringend benötigen würden. Zweitens bekommen sie von den USA auch keine neue Technologie für die Erdölproduktion mehr, mit der sie ihre Förderung steigern könnten.

FURCHE: Können die Westeuropäer die Sanktionen eigentlich ernsthaft unterminieren?

GOLDMAN: Natürlich können sie das. Und die Franzosen und teilweise auch die Japaner tun es ja auch.

Moskau muß auf diese Weise den Eindruck bekommen, daß die westliche Welt sich untereinander nicht einig ist. Und leider haben verschiedene Dinge das in letzter Zeit auch bestätigt.

Bei den Sowjets weckt das natürlich die Hoffnung, daß sie die westliche Welt auseinanderdividieren können und sie bei ihren expansionistischen Aktionen in Zukunft möglicherweise noch dreister vorgehen kann.

FURCHE: Wie abhängig ist die Sowjetunion überhaupt von der westlichen Technologie?

GOLDMAN: In einigen Bereichen sicher überhaupt nicht. Die Sowjetunion hat sich in den fünfziger und sechziger Jahren auch ohne westliche Technologie entwickeln können. Trotzdem: Sie benötigt heute westliche Technologie in einigen neuen Bereichen, in denen sie nicht fähig war, selbst etwas zu entwickeln. Das gilt für die chemische-, elektronische- und Computerindustrie. In diesen Bereichen braucht sie die westliche Technologie, weil ihr System Innovationen verhindert.

FURCHE: Ihre These ist es ja, daß der Westen die Sowjets zunehmend in eine Abhängigkeit bringen sollte. Warum eigentlich?

GOLDMAN: Je mehr die Sowjets von uns wollen, je abhängiger sie von uns sind, desto wahrscheinlicher ist es, daß sich ihr Benehmen zivilisiert. Als sie Weizen aus den USA, Technologie aus Westeuropa, die Meistbegünstigungsklausel und bessere Handelsbeziehungen mit der westlichen Welt haben wollten, nahmen sie in der Frage ausreisewilliger Sowjetbürger keine so harte Position mehr ein und behandelten zum Beispiel auch Sacharow mit mehr Rücksicht.

Es liegt natürlich die Gefahr in dieser Strategie, daß die vom Westen gelieferte Technologie auch in die Hände der Militärs gerät.

Meine Hoffnung war - und die ist nach Afghanistan natürlich ziemlich ramponiert -, daß sie nicht nur den militärischen, sondern auch den Konsumgütersektor ausbauen würden. Wir haben ja in der ganzen Welt erlebt, wie die Materialisierung der Gesellschaft die Leute weicher gemacht und sie zum Konsum verführt hat.

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