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Der Kegelverein

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Alles, was die Welt seit dem Ausbruch des Nahost-Krieges erlebte, war nichts anderes als eine Generalprobe der Sowjets für den Fall X. Hinter allem steht die Angst des Kremls vor einem Zweifrontenkrieg. Steht die Angst, bei einer Auseinandersetzung mit China sich plötzlich im Westen ebenfalls einem Gegner gegen-überzusehen^ Rjnkret gesagt: den Truppen der NATO.

Das Konzept der Sowjets war von ihrem Standpunkt aus genial. Sie benützten den schwelenden Konflikt zwischen den arabischen Staaten und Israel, um die Generalprobe starten zu lassen. Sie rüsteten Ägypten und Syrien mit modernsten Waffen aus. Der Geheimdienst des Kremls mußte längst herausbekommen haben, daß der Generalstab Israels in den gleichen Fehler verfiel, in den einst der preußische Generalstab vor 1914 verfallen war: Auf Grund der gewonnenen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 glaubte der preußische Generalstab bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, daß keine Macht der Welt Preußen-Deutschland besiegen könne. Ähnliche Gefühle muß der israelische Generalstab nach dem Sechstagekrieg von 1967 gehabt haben. Das Erwachen Israels war ebenso böse wie das Erwachen des preußischen Generalstabs nach dem Wunder an der Marne.

Die Frage, die die Sowjets durch den Ausbruch eines neuen Nahostkrieges beantwortet wissen wollten, war sehr einfach: Würden sich die USA einmischen, und wenn ja, würde sich dann auch die NATO einmischen? Wenn nein, dann war die Frage eigentlich schon beantwortet. Es war klar, daß Israel dann den Krieg verlieren mußte. Dann wäre der Suez-Kanal wieder befahrbar geworden und für die russische Flotte wäre es viel schneller möglich gewesen, nach den Stützpunkten auf Ceylon und in Bangladesh zu gelangen.

Die USA mischten sich sofort in den Krieg ein und belieferten die Israelis mit Waffen. Als gute Schachspieler machten die Russen sofort remis und zwangen Israel und die Ägypter zur Waffenruhe.

Jetzt spielte der Kreml die zweite Karte aus: Er ließ durch seine arabischen Freunde einen ölboykott über die freie Welt verhängen.

Dieser Ölboykott traf die USA nur sehr gering. Denn nur 8 Prozent der benötigten Erdölmengen beziehen die USA aus den arabischen Län-

dern. Er traf Europa. Und hier wiederum insbesondere Holland. Angeblich, weil die Niederlande besonders Israel-freundlich sind. Der Hintergrund dieser Maßnahme war ein ganz anderer: Rotterdam ist der größte Hafen Europas. Wenn Holland kein öl hat, dann ist der Überseeverkehr nahezu lahmgelegt. Holland besitzt auch die größten Ölraffinerien Europas. Es ist faktisch der ölverteiler der freien Welt. 38 Prozent allen Öls der Bundesrepublik gehen über Holland. Die Frage, die die Sowjets durch ihren ölboykott beantwortet wissen wollten, war, wie die Länder der EWG auf einen ölboykott reagieren würden. Erklärten sie sich solidarisch, wenn eines ihrer Mitglieder dieser Boykott besonders heftig traf* Die Antwort, die die Sowjets erhielten, hatten sie sicherlich nicht zu erhoffen gewagt. Die EWG erwies sich als ein Kegelverein. Sie fiel vor dem ölboykott glatt um. Statt den arabischen Staaten zu sagen, daß der ölboykott es natürlich den EWG-Staaten unmöglich mache, nun ihrerseits die so notwendigen Waren in die arabischen Staaten zu liefern, daß es in Hinkunft nicht mehr möglich sein werde, Tausende von arabischen Studenten in Europa auszubilden, fielen sie vor dem Boykott glatt um und gaben eine proarabische Erklärung ab, wobei sie in dieser Erklärung den ölboykott überhaupt nicht erwähnten. Einige Mitgliedstaaten der EWG gaben außerdem unverhohlen ihr Mißfallen gegenüber der USA-Hilfe an Israel bekannt und unterstützten diese Hilfe in keiner Weise.

Der ölboykott ist tatsächlich eine sehr harte Waffe. Er trifft viele Schlüsselindustrien, wie die Automobilindustrie, er trifft die Eisenbahnen und die Schiffahrt, die Tankstellen und schließlich den Fremdenverkehr. Dauert er an, kann Europa möglicherweise einem sehr kalten Winter entgegengehen. Und es ist durchaus möglich, daß dieser Boykott das verweichlichte Europa hysterisch macht.

Aber dieser Boykott trifft auch Indien und Japan, zwei Länder, die sich überhaupt nicht in den Nahostkonflikt eingemengt haben. Und der Boykott gegen diese Länder ist ein Beweis dafür, daß die Sowjets mit allen ihren Maßnahmen eine Generalprobe für den Tag X, für den Tag, an dem die Auseinandersetzung mit China beginnen wird, probten. Ein durch einen ölboykott gelähmtes Indien kann weder Ceylon noch Bangladesh, den beiden Stützpunkten der Sowjets, in den Rücken fallen. Ein durch den ölboykott gelähmtes Japan kann China nicht helfen.

Die Sowjets könnten mit der Generalprobe zufrieden sein, wenn... Wenn nicht jetzt sicherlich die Menschen der freien Welt rascher, als es sonst geschehen wäre, Verbindungen schaffen, die die Welt vom öl weitgehend unabhängig machen können. Wenn nicht am Ende doch die Länder der EWG eine festere Haltung annehmen werden — und es gibt Anzeichen, wie zum Beispiel die Tagung der Sozialistischen Internationale in London — und so vom Status eines Kegelvereins zu einer echten wirtschaftlichen Gemeinschaft

schreiten wenden.

Denn die Bewohner der EWG-Staaten, die der ölboykott hart trifft, werden eines Tages von ihren Ländern eine festere Haltung verlangen. Diese gefestigte EWG kann den arabischen Staaten dann erklären, daß ihre Drohung ins Leere geht. Daß sie lieber sich bemühen sollten, sieh nicht zu Hilfstruppen des Kremls degradieren zu lassen. Daß sie, die arabischen Länder, die Güter der freien Welt ebenso benötigen wie Europa die Güter der arabischen Staaten. Im Königreich Toledo lebten einst friedlich Christen, Juden und Moslems nebeneinander und schufen ein blühendes Gemeinwesen. Warum sollte sich dieses Beispiel nicht wiederholen? Das kann allerdings nur geschehen, wenn Europa sich seiner Stärke bewußt ist. Und nicht vor jeder Drohung zurückschreckt, wie es einst vor den Drohungen Hitlers zurückwich. Die Folge war ein nur um so ärgerer Krieg. Das Beispiel sollte warnen.

Der 27. November rückt näher.

Es ist jener Tag, an dem die Abgeordneten zum Nationalrat darüber bestimmen werden, ob ungeborenes Leben in Hinkunft straffrei getötet werden darf.

Die Frage ist eine Gewissensfrage. Über sie soll — so meint die Regierungspartei — daher geheim abgestimmt werden. Das ist wohl richtig und legitim, wären nicht zu viele Zweifel an der Lauterkeit dieser Argumentation aufgetaucht. Sollte nämlich die geheime Abstimmung nicht so ausgehen, wie die Parteiführung der SPÖ es erhofft, soll offen abgestimmt werden.

Zum anderen aber gehört es wohl zur politischen Strategie, in manchen Gegenden und gegenüber einzelnen Wählergruppen später sagen zu können, der oder die Abgeordnete der Regierungspartei habe sowieso gegen die Fristenlösung gestimmt.

Am 27. November stimmen Abgeordnete im Nationalrat über das Leben anderer Menschen ab — nicht über das eigene. Vieles spricht dafür, dies nun endlich vor den Augen der Wählerschaft zu tun.

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