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„Rotes“ Erdöl für den Westen

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Wenn auch Paris ein Abkommen mit Moskau unterzeichnet, was anzunehmen ist, werden nach 1978 jährlich nicht weniger als 12,5 Milliarden cbm Sowjetgas Westeuropa, das heißt Italien, Österreich, Frankreich und die Bundesrepublik, überfluten. Dafür wird die Sowjetunion in Kompensation jährlich Maschinen-industrieprodukte im Wert von 375 Millionen Dollar erhalten.

Mit Rom hat Moskau bereits die größte Außenhandelsabmachung aller Zeiten getroffen, deren Gesamtwert in zwanzig Jahren drei bis vier Milliarden Dollar betragen wird. Die staatseigene ölgesellschaft Ente Nazionale Idrocarburi, ENI, hat sich verpflichtet, von 1973 an in zwanzig Jahren 120 Milliarden cbm Sowjetgas zu importieren. Dies ist mehr als das Doppelte des westdeutschen Projekts. Von Preßburg wird eine Leitung über Österreich in der Länge von ungefähr 200 Meilen nach Tarvis gelegt: Österreich übernimmt jährlich kontraktmäßig 1 Milliarde cbm. Später sollen dazu noch weitere 500 Millionen cbm jährlich kommen.

Die Pipeline soll später bis zur fran-zösisch-'italienischen Grenze verlängert werden, da auch Frankreich beabsichtigt, von 1975 jährlich 2,5 Milliarden cbm Sowjetgas anzukaufen.

Der Gesamtwert des sowjetischitalienischen Abkommens liegt zwischen drei und vier Milliarden Dollar. Dies ist der größte sowjetische

Handelsvertrag, der jemals mit einem westlichen, „kapitalistischen“ Staat geschlossen wurde.

Der Basispreis des Sowjetgases für Italien macht 11 Lire pro Kubikmeter aus, ist also ungefähr um 10 bis 15 Prozent billiger als das Hollandgas. Ein Vorteil für Rom, außer der Billigkeit, ist, daß das „rote“ Gas mit italienischen Exporterzeugnissen bezahlt wird. Ein erster Vertrag wurde bereits unterzeichnet, wonach im Wert von 200 Millionen Dollar italienische Stahlrohre, Kompressoren, Pumpanlagen und andere Maschinen an die UdSSR geliefert werden müssen.

Militärpolitische Konsequenzen

Eine günstige Bestimmung ist für Rom, daß sich während der zwanzig Jahre der Preis ändern kann und nie höher als das günstigste alternative Angebot sein kann. Nach dieser Zeit kann der Vertrag immer wieder auf fünf Jahre verlängert werden. Die erwähnte italienische Ausfuhr im Wert von 200 Millionen Dollar bezieht sich nur auf die ersten fünf Jahre. Kommende neue Fünfjahresabkommen werden die Exporte erheblich vergrößern.

Die zwei Hauptleidtragenden sind Algerien und Libyen. Algier hatte ebenfalls große Zukunftsgaspläne mit Italien gehabt, die Preisangebote lagen jedoch zirka 10 Prozent höhet als die Russenpreise. Da die Algerier von den Russen trotz ihrer

ideologisch-politischen Kooperation in dieser Hinsicht kein Opfer zu erwarten hatten, schloß die algerische nationale ölgesellschaft SONA-TRACH plötzlich, verärgert, Mitte Dezember 1969 ihr Büro in der italienischen Hauptstadt... Auch das libysche Gas des Standard Oil von New Jersey ist teurer als das russische Gas. Voraussichtlich wird auch der Esso-Kontrakt mit Italien auf die Lieferung von 33 Milliarden Kubikmeter pro Jahr aus Libyen nicht mehr erneuert.

Moskau wird von 1975 an 33 Prozent des italienischen Gasbedarfs decken. Wenn man öl und Gas zusammennimmt, dann nur 8 Prozent, was unter der NATO-Sicherheits-grenze von 10 Prozent liegt. Gewisses militärpolitisches Risiko kann jedoch nicht ganz ausgeschlossen werden. Die drei wichtigsten NATO-Staaten in Europa wollen beträchtliche Mengen von Sowjetgas und öl beziehen, die zweifellos billigere Energiequellen darstellen als die vorhandenen, traditionellen westlichen.

Die Befürworter der roten Gas- und ölkooperation argumentieren damit, daß seitens der Sowjetunion keine unangenehmen, eventuell militärpolitisch erpresserischen Uber-raschungen zu erwarten seien, da Moskau bestrebt sei, in Italien für die kommenden 20 Jahre eine dominierende Wirtschaftsrolle zu übernehmen, die ihr große Gewinne an Auslandswährungen verspricht.

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