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Die Zölle fallen, wer fällt mit?

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Am 1. Juli 1977 sind die letzten Zollschranken zwischen Österreich und der Europäischen Gemeinschaft im industriell-gewerblichen Sektor gefallen. Auf Grund des Freihandelsabkommens zwischen den Staaten der EG und der EFTA wird zwischen 16 europäischen Staaten mit insgesamt 300 Millionen Einwohnern die Zollfreiheit in diesem Sektor verwirklicht. Handelsminister Staribacher erwartet sich spürbare Verbilligungen bei Haushaltsartikeln und Autos.

Wer jetzt als Wochenendurlauber in einen der EG-Staaten einkaufen fährt, kann für seinen persönlichen Gebrauch Waren im Wert von insgesamt 7500 Schilling zollfrei einführen. Nur die Einfuhrumsatzsteuer von 18 Prozent, identisch mit dem Satz der Mehrwertsteuer, ist zu bezahlen. Da aber im EG-Einkaufsland die dort bezahlte Mehrwertsteuer rückvergütet wird, ist de facto nur die Differenz zwischen der ausländischen Mehrwertsteuer und der österreichischen Mehrwertsteuer zu bezahlen. Zwischen der BRD (Mehrwertsteuersatz 11 Prozent) und Österreich beträgt diese Differenz nur 7 Prozent.

Noch weiß niemand, wie sich diese letzte Zollsenkung langfristig auswirken wird, ob Österreich bpi den Exporten soviel gewinnen kann, wie es durch zusätzliche Importe verliert.

Die Entwicklung der österreichischen Handelsbilanz in den letzten Monaten läßt das Ärgste befürchten.1 Allein im Mai 1977 stieg das Außen- handelspassivum gegenüber Mai 1976 um 1,3 Milliarden oder 35,3 Prozent auf 5,1 Milliarden. Sollte sich diese Entwicklung im Juni fortsetzen, würde das Handelsbilanzdefizit des ersten Halbjahres 1977 fast so hoch sein wie das Handelsbilanzdefizit des ganzen Jahres 1975 (30,6 Milliarden).

Durch den Zollabbau vom 1. Juli dürfte es vor allem bei Autoimporten zu einer zeitlichen Verschiebung vom Monat Juni äuf den Monat Juli gekommen sein, außerdem bringt der Juni immer größere Fremdenverkehrseinnahmen.

Die Entwicklung der Zahlungsbilanz stand auch bei der neuen Juni- Prognose des WIFO- und des Ford-Institutes im Mittelpunkt. Die Prognosen beider Institute sagen eine deutliche Verschlechterung voraus. Das Außenhandelsdefizit soll auf 62 Mil liarden ansteigen, das Defizit der bereinigten Bilanz der laufenden Transaktionen wird 1977 auf 24,2 Milliarden steigen (1976: 16,3) und trotz massiver Kapitalimporte (12 Milliarden) werden die Devisenreserven um 12,2 Milliarden zurückgehen und damit auf das Niveau Anfang der sechziger Jahre sinken.

Das Ford-Institut testete mit seinem ökonometrischen Modell drei Alternativen zur Wiederherstellung des Zahlungsbilanzgleichgewichts; eine Abwertung des Schillings um 5 Prozent, eine stark restriktive Lohnpolitik zur Verbesserung der Kostenentwicklung der österreichischen Exportwirtschaft sowie die Importdrosselung mittels kreditpolitischer Maßnahmen.

Das Ford-Institut kam zu dem Schluß, daß von keiner der drei Maßnahmen eine entscheidende kurzfristige Verbesserung in der Zahlungsbilanzsituation erwartet werden darf. Die vom Kreditlimes ausgehenden restriktiven Impulse sind zu schwach, die Reallohneinbußen müßten so groß sein, daß sie zu einem Reallohnrückgang von etwa 2 Prozent führen. Damit überfordere man aber die Gewerkschaft.

Eine Abwertung hätte zwar positive Wachstumsimpulse, aber problematische Preiseffekte. Die Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz wären kurzfristig gering, denn eine Abwertung, durch die die Importpreise um rund 5 Prozent steigen, würde erst im zweiten Jahr eine Verbesserung der Handelsbilanz um 3 Milliarden und der Leistungsbilanz um 3,5 Milliarden erbringen. Im ersten Jahr käme es sogar zu einer Verschlechterung beider Bilanzen.

Das Ford-Institut empfahl die Förderung kapitalintensiverer Finalproduktion und innovativer Unternehmungen durch die Bereitstellung von Risikokapital, wobei man hoffentlich nicht an den Austro-Porsche dachte.

Sollte die augenblickliche Stärke der D-Mark über den Sommer hinaus anhalten, so könnte dies, zusammen mit dem Fallen der letzten Zollschranken zwischen Österreich und den EG-Staaten, im Herbst die einseitige Ausrichtung des Schillings an der D-Mark zu Fall bringen.

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