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Gegen Ende des Marshall-Plans

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Die Mitteilung, daß die Marshall-Plan-Hilfe für Österreich im laufenden Wirtschaftsjahr wesentlich niedriger sein werde, als die hiefür zuständigen österreichischen Stellen erwartet und erhofft hatten, enthüllte den vollen Ernst der wirtschaftlichen Lage unseres Landes. Diese Enthüllung kam nicht unerwartet. Im Wirtschaftsjahr 1950/51 konnte Österreich nur etwa zwei Drittel seiner Einfuhr mit eigenen Ausfuhren bezahlen. Das Fehlende, rund 200 Millionen Dollar, wurde durch die Marshall-Plan-Hilfe ergänzt. Das stete Ansteigen der Weltmarktpreise hatte zur Folge, daß für denselben Dollarbetrag immer geringere Mengen an Rohstoffen und Nahrungsmitteln gekauft werden konnten. Selbst unter der unrealistischen Annahme, daß die Marshall-Plan-Behörden Österreich im laufenden Wirtschaftsjahr 1951/52 einen annähernd gleich großen Dollarbetrag bewilligen würden wie im Vorjahre, stand deshalb fest, daß Österreich zum Ausgleich seiner Zahlungsbilanz beträchtlich mehr durch eigene Ausfuhren würde beitragen müssen. Tatsächlich war für das laufende letzte Marshall-Plan-Jahr mit Sicherheit anzunehmen, daß die Zuweisungen weitere Kürzungen erfahren würden. (Bekanntlich ist für Österreich eine Quote von nur 105 Millionen Dollar in Aussicht genommen.) Österreich stand deshalb bereits seit Monaten vor der zwingenden Notwendigkeit, einen weitgehenden Ausgleich seiner Zahlungsbilanz aus eigenen Kräften, das ist durch eigene Ausfuhren, anzustreben.

Dieser Notwendigkeit stehen folgende Tatsachen gegenüber: In den Monaten Jänner bis August 1951 betrug die Einfuhr insgesamt 9,2 Milliarden Schilling, die Ausfuhr 6,1 Milliarden Schilling. Das ergibt für acht Monate ein Außenhandelsdefizit in Höhe von 3,1 Milliarden Schilling, und auf das Jahr umgerechnet von 4,6 Milliarden Schilling. Diesem Defizit der Handelsbilanz stehen in der Zahlungsbilanz an Aktiven die Deviseneingänge aus dem Fremdenverkehr und den Dienstleistungen gegenüber. Dennoch ist für das Jahr 1951 mit einem Defizit der

Zahlungsbilanz in einer Höhe zu rechnen, deren Gegenwert nicht weit unter 200 Millionen Dollar liegen dürfte.

Diese bedenkliche Entwicklung hat, wie allgemein bekannt, im wesentlichen zwei Ursachen. Die eine ist die bürokratische Behinderung unseres Außenhandels, die zweite der seit Jahren anhaltende inflationistische Zug unserer Wirtschaft. Die bald gleitend, bald stufenweise fortschreitende Verdünnung der Kaufkraft unserer Währung nährt sich teils aus rein wirtschaftlichen, teils aus politisch-psychologischen Impulsen. Zu ersteren zählen die ungeheuren Kosten unserer Verwaltung und die expansive Wirkung der umfangreichen Investitionen, die die österreichische Wirtschaft im Laufe der letzten Jahre aus eigenen Kräften und mit Hilfe der Marshall-Plan-Gegenfonds vornehmen konnte. Als politisch-psychologische Triebkraft der Inflation müssen wir die Tatsache ansehen, daß der Kampf um die Verteilung des Sozialprodukts eine ständige Bewegung der Löhne und Preise nach oben auslöste. Diese Bewegung hielt auch in den letzten Monaten an, obwohl der Zwang, die Sicherung unserer Existenzgrundlage durch Steigerung des Exports zunehmend aus eigenen Kräften zu suchen, zwingend forderte, diese Bewegung zu stoppen.

Diesen Stopp haben nun vor kurzem die Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit ihrer Erklärung ausgesprochen, von weiteren Erhöhungen der Preise und Löhne bis auf weiteres Abstand nehmen zu wollen. Es ist dies so etwas wie ein sechstes Lohri-Preis-Abkommen mit negativem Vorzeichen. Wie bei allen seinen Vorgängern lag die Initiative für diesen wirtschaftspolitisch außerordentlich bedeutsamen Akt nicht bei der Regierung, sondern bei den Interessenverbänden. Was bedeutet das?

Die Entscheidung über das allgemeine Niveau der Preise und Löhne sowie über Verschiebungen im Verhältnis der Einkommensgruppen zueinander ist von erstrangiger wirtschaftlicher, politischer und sozialer Bedeutung. Sie ist erstens Entscheidung über die Verteilung des Sozialprodukts, zweitens Entscheidung über die Kaufkraft der eigenen Währung und damit über deren Verhältnis zu anderen Währungen. In beiderlei Hinsicht berührt sie ausnahmslos jeden. Auch jene Bevölkerungsgruppen, die, wie etwa die Ärzte und Künstler, am Abschluß der Lohn-Preis-Pakte nicht beteiligt waren. Die allgemeine Erhöhung der Preise und der Budgetziffern traf auch sie.

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