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Sichere Aktien an der Wand?

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Seit Jahren leben wir mit der Krise: schleichende Inflation, eine beängstigende Ausweitung der im Umlauf befindlichen Geldmenge; 1972 gerade noch aufgefangene dramatische Krachs in den Nervenzentren europäischer und amerikanischer Wirtschaft, an den Börsen in Frankfurt, London, New York ... Die Erschütterung der Weltwirtschaft ist Tagesgespräch geworden. Das Risiko der Aktienspekulation stieg und stieg. Europas Rentenordnungen waren längst unter die Räder gekommen. Selbst der Immobilienmarkt steckte voll von Überraschungen und Rückschlägen. Und nun noch eine Ö1-. ja eine Energieversorgungskrise, eine Erpressung Europas und der USA, die die letzten stabilen Grundfesten der Wirtschaft zu erschüttern droht. Wen wundert es, daß da jeder, der über Kapital verfügt, dafür nach Rettungsmöglichkeiten Ausschau hielt und hält; und daß sich viele dem Kunsthandel zuwandten, der, gegen solche Erschütterungen weniger empfindlich, zum todsicheren Supergeschäft mit riesigen Zuwachsraten wurde.

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Seit Jahren leben wir mit der Krise: schleichende Inflation, eine beängstigende Ausweitung der im Umlauf befindlichen Geldmenge; 1972 gerade noch aufgefangene dramatische Krachs in den Nervenzentren europäischer und amerikanischer Wirtschaft, an den Börsen in Frankfurt, London, New York ... Die Erschütterung der Weltwirtschaft ist Tagesgespräch geworden. Das Risiko der Aktienspekulation stieg und stieg. Europas Rentenordnungen waren längst unter die Räder gekommen. Selbst der Immobilienmarkt steckte voll von Überraschungen und Rückschlägen. Und nun noch eine Ö1-. ja eine Energieversorgungskrise, eine Erpressung Europas und der USA, die die letzten stabilen Grundfesten der Wirtschaft zu erschüttern droht. Wen wundert es, daß da jeder, der über Kapital verfügt, dafür nach Rettungsmöglichkeiten Ausschau hielt und hält; und daß sich viele dem Kunsthandel zuwandten, der, gegen solche Erschütterungen weniger empfindlich, zum todsicheren Supergeschäft mit riesigen Zuwachsraten wurde.

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Kunsthandel: ein Geschält der Milliardenurnsätze, in dem mitzu-spekulieren sich gerade während Wirtschaftskrisen alle beedlen: vom millionenschweren internationalen Sammler, der in den weltberühmten Auktionshäusem, bei Sotheby's, Parke-Bernet, Christie's, in antike Gemälde -zig Millionen investiert, bis zum „kleinen Mann von der Straße“, der seine Variante entdeckt hat, auch mitzuspielen: im „Papiergeschäft“ der Druckgraphik. Die Angst vieler, zuschauen zu müssen, wie ihnen ihr Geld in der Hand zerrinnt oder in der Bank schrumpft, hat Anfang 1973 zu hysterischen Angebot- und Nachfragesteigerungen geführt, zu einem Boom im internationalen Kunsthandel, wie man ihn seit den dreißiger Jahren nicht mehr kannte. Unternehmer,die bis dahin nie mit Kunst zu tun hatten, trieb es in die Kunstanliage-spekulation. Die Frühjahrsauktionen in London, Genf, München, ja sogar im Wiener Dorotheum, prunkten mit Rekordsteigerungen.

Wurde etwa 1962 bei acht großen Auktionen im Wiener Dorotheum eine Meistbotsumme von 10,8 Millionen Schilling notiert, so kletterte sie 1971 auf 31 Millionen, 1972 bereits auf 35 Millionen. Also eine Steigerung in einem Jahr um rund 50 Prozent, gegenüber 1962 sogar um 240 Prozent.

Den Kunsthändlern wurde die Ware aus den Händen gerissen: „In 18 Monaten haben sich allein die Preise für Klimt und Schiele verdoppelt“, gibt George McGuire, „Ariadne“<Talerdechef des Wiener Unternehmens mit Zweigstellen in Köln und New York, Auskunft. Allerdings, schon seit Jahren ist das Geschäft nicht mehr allein auf die traditionellen Sammlernationen, USA, England, Frankreich und Deutschland, beschränkt geblieben. Seit der Festigung des Yen überrennen zum Beispiel japanische Kunsthändler und Sammler Amerikas und Europas Kunstauktionen. Sie kaufen in den kapitalknappen USA die besten französischen Impressionistengemälde zusammen, in Europa altchinesisches Porzellan, antike französische Uhren und vor allem kostbare Möbel, deren Preise allmählich in die Region hoher sechsstelliger, ja siebenstelliger Zahlen hinaufgeschnellt sind.

Und während Spitzenwerke und große Namen immer rarer wurden und astronomische Preise erzielten, versuchte der Kunsthandel zum Ausgleich auf Novitäten umzusteigen, neue Gebiete zu erschließen: Jugendstil, Tantrakunst, japanische Holzschnitte, Art deco... Weit unterbewertete, gute alte Kleinmeister wurden groß herausgebracht, aber auch bescheidene Staffeleiartisten und harmlose Pinsler erlebten Rekordaufwertungen, weil der Markt nach immer neuen Attraktionen sucnte, um die Kaufkapazität seiner Kunden zu befriedigen und die kostbaren alten Werke schon längst rar geworden waren.

„Der Run auf alte Kunst ist eine Reaktion des unter der Technisierung leidenden modernen Menschen auf die Fließbandproduktion der Massengesellschaft“, erklärte etwa der Chefexperte des Wiener Doro-theumis, Dr. Hans Herbst, diese Entwicklung. Unter normalen wirtschaftlichen Umständen ist seiner Meinung nach eine Mischung aus Anlagebedürfnis und einem „gesteigerten Verlangen nach bleibenden geistigen und ästhetischen Werten“ die Triebfeder für Sammeltätigkeit; in dieser besonderen Lage kommt freilich die Erkenntnis dazu, daß es bald „kaum noch Antiquitäten geben wird“ und daß, so umgesetzt, das Geld immer noch sicherer liegt als anderswo.

Der sogenannte „Kunstwert“ beruht freilich immer auf Konventionen, auf Angebot und Nachfrage, vor allem darauf, ob ein Wirtschaftssystem Kunst als Spekulationsobjekt anerkennt.

Daß all die recht behalten haben, die schon vor Jahren als Sammler antiker Kunst wie gewisser „sicherer Bereiche“ der Moderne, eingestiegen sind, zeigte sich gerade in den dramatischen Krisentagen des Jahres 1973: Der Wiener Arzt Dr. Rudolf Leopold etwa brauchte für seine legendäre Egon-Schiele-Sammlung, an die 40 Ölbilder und zirka 200 Zeichnungen, die er größtenteils in den Nachkriegsjahren, oft für ein paar tausend Schilling, eingekauft hatte, nicht zu zittern. Schiele kletterte rapid. „Sotheby's“ brachte schon vor drei Jahren Schieies Ölgemälde „Die Freunde“ („Tafelrunde“) um 2,3 Millionen Schilling unter den Hammer. Und „Ariadne“-Chef McGuire versichert nun, daß die Preise für Spitzenaquarelle des Malers allmählich der Millionengrenze entgegenschwanken.

Aber auch Sammler anderer Kunstgebiete konnten sich sicher fühlen: Starregisseur Otto Schenk zum Beispiel, der seit Jahren gläserne Jugendstilkostbarkeiten hortet. Sie verschlingen zwar den Großteil seiner Inszenierungsgagen, aber dafür hat er an den Wänden Seltenheiten von Galle, Argy-Rousseau, Daum, Lalique, Tiffany, der Wiener Werkstätte, die auf jeden Fall „steigen“, auch wenn längst viele Aktien kaum noch notieren...

Oder auoh die berühmte Sammlung von Zeichnungen der prominentesten Modernen aus dem Besitz des vor kurzem verstorbenen Mon-signore Otto Mauer, des Leiters der Galerie nächst Sankt Stephan, ist in den letzten Jahren gewaltig gestiegen: von ein paar Tausend Sehilling zu einer — wie man hört — sogar achtstelligen Zahl...

Hatte man bisher Kunstwerke der oberen Preis- und Qualitätskategorie, vor allem Gemälde, diese Symbole des Reichtums und der Kultur, stets als „Aktien an der Wand“ gerühmt, so zeigten diese Bilder vor allem in den Krisensituationen, welche Vorteile sie gerade gegenüber den echten Aktien hatten: Gemälde aller Stile und Preislagen erwiesen sich als stabiler als jedes Wertpapier. Steigerungen um 20 bis 30 Prozent konnte jeder Sammler im Minimum registrieren, während der Effektenmarkt total verunsichert wurde, die Geldentwertungsquote rapid hochschnellte und so manche „sichere“ Vermögensanlage kräftig gezaust wurde. Voraussetzung für die „sichere Anlage“ war allerdings, daß man schon vor dem Boom zu sammeln begonnen und in den kritischen Monaten kaum gekauft hatte. Mancher Kunstmarktkenner hat da sogar rasch Teile seiner Sammlung, die Ware „zweiter Qualität“, mit enormem Gewinn verkauft, Händler wurden ihre Ladenhüter los... Die zweite Voraussetzung: daß man stets nach internationalem Standard eingekauft hatte; was auch der frühere Vizepräsident der Internationalen Kunsthändlervereinigung, der Amsterdamer Hans Craraer, als Garantie für Wertsteigerung angibt.

„Zehn Prozent pro Jahr“ scheinen Cramer in Normalsituationen realistisch. Man darf sich nur als Sammler nicht den Modetorheiten der Kunstsnobs anschließen und den „heiligen Kühen nationalen Kunsthandels“ nachlaufen. Wie dies allerdings in Wien nur allzuoft der Fall ist. Man braucht sich nur der Überbewertung mancher Kunstwerke bei Dorotheumsauktionen erinnern: der Lizitation verschiedener mittelmäßiger Alt-Wiener Bilder oder der übertriebenen Steigerungen mancher schwachen „Phantasten“-Ge-mälde der zweiten Garnitur, die zwar im Dorotheum einen „Binnen-kunstmarkt des biedermeierlich-phantastischen Nationalismus“ aufpäppelten, der aber international keine Bestätigung gefunden hat (auch wenn nun allerdings eine Wiener Galerie damit in New York „herauszukommen“ versucht).

Nun, die Devisenmärkte und der Dollar haben sich seit Herbst wieder erholt, die Goldhausse klingt etwas ab. Auch der Kunstmarkt wirkt wieder etwas ruhiger, ausgeglichener.Die stürmischen Angstkäufe „um jeden Preis“ bleiben aus, die Käufer reagieren wieder kritischer, ein wenig skeptischer, orientieren sich mehr an der Qualität. McGuire weiß da Auskunft: „Man wartet wieder, was passieren wird, in Wien wie auf den großen Kunstmärkten; was jetzt selbstverständlich ist, wäre noch vor ein paar Monaten undenkbar gewesen. Zum Beispiel, daß ich ein kleines qualitätvolles Arik-Brauer-Bild von 1962 leicht um 270.000 Schilling verkaufen konnte, daß Sammler aber bei einem großen, mittelmäßigen Brauer von 1968 zögern, und ich ihn gerade noch um knapp 200.000 Schilling anbringe, oder daß ich im Tausch für ein hervorragendes kleines Lehmden-Aquarell von 1958 ein 50 zu 60 cm großes Hutter-Ölbild hergeben mußte!“

Die internationalen Beispiele sehen übrigens ähnlich aus: So wurden bei Parke-Bernet in New York für ein besonders schönes Picasso-Aquarell 12 Millionen Schilling ausgelegt, für sohlechtere große Ölbilder Picassos zahlt man in Paris zwischen sechs und acht Millionen, was vor ein paar Jahren völlig undenkbar gewesen wäre... Gründe für diese Entwicklung? Die dollarknappen Amerikaner haben sich von der Londoner Weltkunstbörse und überhaupt zurückgezogen. Gierige Sammelwut wie noch zu Zeiten des US-Pressezaren William Randolph Hearst, der nach 1900 ganze Klöster in Europa aufkaufte und nach Amerika abtransportierte, gibt es nicht mehr. Zu den letzten großen Ankäufen zählten 1961 Rembrandts „Aristoteles“ für fast 70 Millionen Schilling, 1968 Renoirs „Pont des Arte“ für 43 Millionen, 1970 van Goghs „Zypressen und der Baum in Blüte“ für 34 Millionen, alle bei Parke-Bernet versteigert, sowie das 1966 für rund 150 Millionen vom Fürsten von Liechtenstein nach den USA verkaufte Leonardo-Porträt der „Ginev-ra dei Benci“. Wohl werden in New York noch immer Millionen für das eine oder andere international „gesuchte“ Meistergemälde gezahlt, aber Sensationen wie noch 1971 die 100 Millionen für Tizians „Tod des Aetaeon“ gibt's kaum noch.

Auch die kleineren Unternehmen, die Münchner Antiquitätenmesse und die Weihnachtsauktionen, zeigten jetzt, daß 1974 den Händlern Preiskorrekturen nicht erspart bleiben werden, um manches abzubauen, was während der Krise gehortet wurde. Was aber dennoch nicht zu pessimistischen Prognosen für den Kunstmarkt verleiten sollte. Denn wer planvoll gesammelt hat, hat in den vergangenen Jahren die besten „Aktien an der Wand“ gehortet; wer freilich nur aus Angst vor Geldschwund mitten in der Krise wahllos investierte, ist natürlich übervorteilt worden. Aber: „Der Boom hat zwar dem Markt indirekt, durch die Folgeerscheinungen, geschadet“, finden die Händler selbst, „aber er hatte eine reinigende Wirkung.“ Und damit besteht immerhin Hoffnung, daß sowohl beim Kunsthandel (wo sich zu viele Pseudohändler und Geschäftemacher etabliert haben) als auch bei den Käufern die Spreu vom Weizen sondert. Der Kunstmarkt wird jedenfalls nach dieser Bereinigung besser dastehen denn je.

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