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Die Auktionsbesichtigung schärft den Kunstverstand

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Alte Meister in bisher im Wiener Dorotheum noch nicht gehabter Zahl, darunter auch qualitativ manches Spektakuläre, kamen dort am Dienstag dieser Woche, am 15. Oktober, unter den Hammer. Vieles ist von durchaus musealer Qualität. Menschen ohne großes Rankkonto können die mehrtägige Besichtigung der Werke vor solchen Auktionen, die im Wiener Dorotheum dreimal pro Jahr stattfinden, als Gelegenheit zu einem kostenlosen Ausstellungsbesuch der besonderen Art nutzen.

Besonderer, nämlich besonders lehrreicher Art vor allem aus zwei Gründen Erstens, weil gerade das Zufällige und Unsystematische der Zusammenstellung zu einer Zusammenschau geradezu provoziert. Weil sie zu einer Fülle von Assoziationen und Vergleichen anregt. Einen Rubens neben einer Angelica Kauff-mann sieht man in keinem Museum der Welt.

Der Rubens, ein kleiner „Vulkan in der Schmiede”, Öl auf Holz, entstand 1634 und war eine Skizze für den Triumphbogen, durch den der neue spanische Statthalter der Niederlande, Kardinal-infant Ferdinand, in Antwerpen einziehen sollte. Ein Parallelstück dazu, ein „Vulkan”, wurde 1993 im Dorotheum für drei Millionen versteigert.

Kaum ein Kunsthistoriker wird es riskieren, zur direkt darunter schaugestellten „Cleone” von Angelica Kauffmann aus dem 18. Jahrhundert einen Rezug herzustellen. Trotzdem entsteht zwischen dem Triumphbogen-Vulkan und der zugleich überaus zurückhaltend und doch so ergreifend gemalten trauernden Mutter neben der Leiche ihres Kindes eine unerhörte Spannung. Weiter auseinander sind (zumindest scheinbar!) nur noch die Alten Meister und die Maler der Moderne. Die „Cleone” war zweifellos eines der Rilder, die den Ruf Angelica Kauffmanns als größte Malerin Österreichs von Anbeginn bis Tina Blau festigten.

Zweitens aber ist ein solcher Ausstellungsbesuch für den Kunstfreund hervorragend geeignet, sein Urteilsvermögen laufend zu überprüfen und zu schärfen. Es bedeutet schon eine gewisse Befriedigung, wenn man schon lang nicht mehr im Museum war und das Bild, von dem der Blick magnetisch angezogen wird und an dem er bewundernd hängenbleibt, zwar keinem Maler zuordnen kann, aber spontan sagt: Mein Gott, das ist eine Malerei! Und wenn man dann liest: Salomon van Buysdael, Schätzwert zwei bis zweieinhalb Millionen Schilling.

Pfui, wird da jetzt der hochmütig auf alles Finanzielle herabblickende Schöngeist murmeln. Aber er hat unrecht. Es ist schon so, daß sich die Qualität eines Kunstwerkes, sobald es der aktuellen Auseinandersetzung enthoben ist, also spätestens ein, zwei Generationen nach dem Tod des Künstlers, sehr wohl in seinem Preis ausdrückt. Oder zumindest die Qualität des Schöpfers. Denn daß ein schwaches Werk eines großen Meisters einen Preis erzielt, den ein möglicherweise besseres Bild eines weniger Berühmten niemals erzielen kann, ist natürlich nicht zu leugnen. Auch nicht, daß mitunter die Spekulation den Preis in eine Höhe katapultiert' den dann selbst ein van Gogh auf Dauer nicht halten kann. Gelegenheit zur Gegenprobe für das Urteilsvermögen bieten in einer solchen Auktioons-ausstellung die schwachen Sachen, die zwar neben den Highlights nicht bestehen können, ja geradezu ins Nichts abstürzen, auch nie in ein Museum kämen, hier aber sehr wohl ihren Platz haben. Die große Nachbarschaft ist sozusagen der unbarmherzige Gradmesser. Wer seinem Urteil nicht ganz vertraut, dem hilft der Zettel mit dem Schätzwert. Ob dem Kunsthistorischen Museum der Erwerb der großen, hervorragend erhaltenen Prunktapisserie aus Wolle und Seide, an der es interessiert war, geglückt ist, war bei Bedaktions-schluß noch nicht bekannt. „König Priamos erbittet von Achill die Herausgabe des Leichnams seines Sohnes Hector”, von Jan van Orley und Frans van der Borght, bildete unbedingt eines der Highlights der Auktion. Kaiser Karl VI. ließ sechs zusammengehörige Tapisserien als Hochzeitsgeschenk für seine Tochter Maria Theresia anfertigen. Vier davon sind im Besitz des Kunsthistorischen Museums, zwei gelangten schon vor langer Zeit in Privatbesitz, die nun versteigerte stammt aus einer Schweizer Privatsammlung.

Ein anderer Höhepunkt der Auktion war, neben einer klassischen Szene von Jacob Jordaens (17. Jahrhundert, „Jupiter, Venus, Juno und Amor in einer Landschaft”), die mir in der Ausstellung überhaupt nicht auffiel, vom selben Maler das herrlich gemalte, und dementsprechend mit 700.000 bis 900.000 Schilling auch zehnmal so hoch geschätzte, mutmaßliche Bildnis des Äntwerpener Patriziers Judge Steengracht an einem Tisch.

Manchmal muß man in einer solchen Ausstellung, ebenso wie ja auch im Museum, schon sagen: Großartig gemalt, auch wenn es mir nicht gefällt. Das gilt zum Beispiel für die pardon: nach heutigem Geschmack -ein wenig feisten, einander umarmenden Fast-noch-Babies Jesus und Johannes von Veronese (1,2 bis 1,4 Millionen Schilling). Mich faszinierte der herrliche Benaissancerahmen dieses Bildes mehr. (Wahrscheinlich bin ich jetzt für die Veronese-Kenner erledigt.)

Wer die nicht nur in Museen, sondern zum Beispiel auch im Palais Harrach hängenden Canalettos liebt, konnte sich in der Auktion, so er eine Viertel- bis halbe Million flüssig hatte, um eines von zwei Bildern - bemühen, die nur der Kenner auf den ersten Blick als Nicht-Canaletto entlarven dürfte: Zwei Ansichten des Ca-nale Grande von William James, der immerhin zehn Jahre lang Canalettos Schüler und Assistent war.

Menschen mit schwächerer Brieftasche können jeweils auch bei vielen, vielen billigeren, „fünfstelligen” Bildern schwach werden. Nur wären dabei halt Scheuklappen angesagt. Damit einem die ganz meisterlichen alten Meister nicht die etwas weniger meisterlichen Alten vermiesen. Aber natürlich ist auch in diesem Bereich manches sehr respektabel.

Im Frühjahr ist die nächste Gelegenheit, im Wiener Dorotheum sein Urteilsvermögen zu überprüfen und seinen Blick zu schärfen, auch ohne dickes Bankkonto.

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