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Mein Freund Buch!

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Das Wort „Bibliophile“ bedeutet soviel wie „Bücherfreund“, aber man versteht darunter doch nicht den Intellektuellen, der das Buch im Wissensdrange, zum Studium, zur Vermehrung seiner Kenntnisse und somit vielfach nur als Handwerkzeug dauernd benützt, man versteht darunter auch nicht den Schöngeist, der ein belletristisches Buch liest, um sich zu amüsieren und um es dann rasch gegen ein anderes zu vertauschen, sondern jenen, der es verständnisvoll, — ich möchte sagen —, gefühlsmäßig ins Herz geschlossen und damit diese Bücher als seine erlesene Lieblinge sammelt und betreut, nicht anders wie zum Beispiel die gebildeten Sammler von seltenen Münzen, tadellosen Krästallstücken und von wertvollen Autographen.

Der richtige Bibliophile muß demnach ein Bücherherz besitzen; er muß das inhaltsschwere Buch, das ihm imponiert, achten und lieben, er muß zur Erkenntnis gelangt sein, daß zum wahren Genuß eines Buches nicht bloß die Lektüre, sondern auch der Besitz gehört und daß es darum seine Pflicht ist, das Buch zu pflegen und tadellos zu erhalten.

Freilich, gehört aber zu einem solchen Bibliophilen eine Art Berufung. Ich erinnere mich, daß in mir durch den Anblick der 100. Jubiläumsausgabe des .Trompeters von Säckingen“, die übrigens im Buchhandel damals bereits vergriffen war, diese Begeisterung für das Buch und seine Schönheit geweckt wurde, und dabei war es gleichzeitig ein ganz elementares Empfinden, das sich nicht einseitig auswirkte, sondern Ehrfurcht zeigte vor allen Büchern, deren Inhalt erzieherisch die Seelen der Menschen befruchtet. Ich war in diesem Augenblick tatsächlich der berufene Bibliophile geworden und bin ein solcher geblieben, bis zur heutigen Stunde.

Aber nach dem Tode meines Vaters, eines Ministerialbeamten, der meiner Mutter eine kleine Witwenpension hinterließ, vermochte der bücherfreudige Jüngling nicht viel mehr zu kaufen. Da wollte es ein freundliches Geschick, daß ich mich einem mir sehr wohlgesinnten Antiquar befreunden durfte. Er hatte Wohlgefallen gefunden an dem jungen wißbegierigen Bibliophilen in mir; so durfte ich in sein Geschäft eintreten, so oft ich nur wollte, und er gestattete mir bei meinen Besuchen stets Einblick in seine ständig wachsenden und wechselnden, reichlichen Lagerbestähde. Ich will den Namen dieses gütigen Mannes nicht verschweigen: es war. der heute schon längst heimgegangene, angesehene und kenntnisreiche Antiquar Josef Deibler, der in der Wiener Herrengasse sein Geschäft hatte, dort, wo das heutige Wiener Hochhaus steht. —

Hier also ging der Blick des jungen, begeisterten Literaturfreundes gar bald von den goldglitzernden Gewändern der modernen Autoren in immer größerer Reife zu den Bänden der früheren deutschen Dichter, zu den Originalausausgaben ihrer Einzelwerke wie zu den verschiedenen Gesamteditionen älteren und neueren Datums. Wundervolle Geschichtswerke glitten durch meine Hände, die seltsamsten Viennensia und Austriaca, die rarsten Occulta, Philosophica und Theologica.

Bei Betrachtung so vieler Bände schärfte sich auch gleichzeitig das Auge des angehenden Bibliophilen immer mehr für das Buchkleid. Ich sah neben den Originaleinbäden der Verleger die herrlichsten Privateinbände, hervorgegangen aus den besten Buchbinderwerkstätten des In- und Auslandes, ich sah einfachere Privateinbände, aber auch sie sehr solid und gediegen hergestellt, ich sah daneben aber auch Privateinbände ganz trostloser Art, schlecht gefalzt und beschnitten bis knapp an den Text, ja oft noch bis hinein in ihn, bei gedankenlosester, geschmacklosester Schablonenarbeit in be-zug auf verwendetes Material, Prägung und Schnitt, und schon damals wurde mir klar, daß es unter solchen Umständen weit vernünftiger sei, ein Buch unbeschnitten und im Originalumschlage zu belassen, als es vielleicht solchen Ein-bandverderbern auszuliefern. Diese Erkenntnis ließ mich damals schon den Wert des Originalumschlages eines Buches einschätzen, der — wie mich richtig dünkt — als integrierender, mitunter sogar künstlerischer Bestandteil der Buchaufmachung stets mitgebunden werden solle!

Ich wurde dabei vor allem ein Sammler deutscher Literatur (einschließlich Ubersetzungen), als solcher Sammler von maßgebenden Gesamtausgaben wie von Originaleinzelausgaben (unter diesen immer mehr d i e Ausgabe suchend, in der ein hervorragendes Werk unseres Schrifttums erstmalig das Licht erblickte); weiter zog ich in meinen Interessenkreis gewisse Gebiete der Geschichte und Kulturgeschichte, vorab Viennensia und Austriaca, ferner Okkultismus, mit dem ich mich wissenschaftlich-forschend durch viele Jahre beschäftige, sowie besonders katholische Theologie. Zu diesen Disziplinen fand dann hie und da auch ein oder das andere besonders ins Auge springende „Kuriosum“ Sammlergnade.

Aber auch bei allem Sammeln im Laufe der Jahre leitete mich bis zum heutigen Tage in meiner großen Ehrfurcht vor dem Buche immer der Ästhet: so wie ich kein Buch erwarb, das mir nicht „lag“, so erwarb ich auch keines, das nicht tadellos erhalten war. Auch die seltenste Erstausgabe existierte und existiert auch heute noch nicht für mich als Sammler, wenn sie nicht tadellos erhalten ist.

Ein freundlicher Zufall, der dem jungen Doktor der Philosophie eine glänzend dotierte Instruktorstelle eintrug, bot die Möglichkeit zu unentwegtem Sammeln, und die bibliophilen Kenntnisse, die ich mir bei Herrn Deibler erworben, bestanden jetzt ihre Feuerprobe. Was habe ich in diesen Jahren nicht alles heimgeschleppt, denn das war eine Zeit, wo man auch die größten Seltenheiten um weniges Geld kaufen konnte, Erstausgaben, Viennensia buchstäblich um wenige Kreuzer. Lade auf Lade und Kasten auf Kasten füllten sich in meinem Zimmer und in unserer ganzen Wohnung. Dabei konnte man auch bei Auktionen damals buchstäblich kreuzerweise ersteigern.

Da aber bot jäh und plötzlich die Versteigerung der Sammlungen Joseph Kürschners (30. Mai bis 4. Juni 1904) für uns Sammler die große Wende. Zum ersten Male erreichten in dieser Auktion Erstausgaben und Seltenheiten ungeahnt hohe Preise und diese Preise machten sofort Schule. Zunächst hatte in den allerersten Monaten in Wien diese Preissteigerung keinen wesentlichen Eindruck hervorgerufen; aber bald war es ganz anders und für uns wenigbemittelte

Sammler kam jetzt die Stunde, In der wir uns resigniert abfinden und zufrieden sein mußten mit dem, was wir bis dahin so billig erworben hatten. Nur hie und da kam es vor, daß wir ein oder das andere ergänzende Stück um einen mitunter recht hohen Preis hinzuerwarben.

Das große Vertrauen meiner bibliophilen Freunde berief mich schließlich zum Präsidenten der Wiener Bibliophilen-Gesellschaft, in welcher Eigenschaft ich meine Feder, die bisher nur der Geschichte und der Literaurgeschichte gedient, auch der Bibliophilie zur Verfügung stellte. Ich denke da zunächst an mein bibliophiles Hauptwerk „Streifzüge eines Bibliophilen durch die deutsche Dichtung Österreichs der letzten hundertfünfzig Jahre“.

Wenn ich nun aber — ein heute Zwei-undachtzigjähriger — gegenwärtig meine Bücherkonvolute betrachte, so kann ich mich freilich ernsten Besinnens nicht erwehren, und es erfaßt mich dann immer einige Wehmut bei der Frage, was wohl einmal mit diesen etlichen tausend Bänden geschehen wird, die ich viele Jahrzehnte hindurch mit nur wenigen Mitteln, aber mit um so größerer Mühe aufgestöbert, gesammelt und in ihrer Tadellosigkeit ängstlich gehütet: „Alles fließt“, sagt hellenische Weltweisheit... Mögen aber dann gegenwärtige oder künftige Bibliophilen, so wie ich einer war, aus meinen Schätzen das erwerben, wonach sie vielleicht schon lange suchen und das ihnen wahre Freude bereitet.

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