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Das Geld von gestern

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EIN MANN stöbert auf dem Dachboden herum, oder er kramt in den Schachteln einer verstorbenen Großtante, sichtet Liebesbriefe, die nach Moder riechen, und Rechnungen aus dem vorigen Jahrhundert — plötzlich fallen ihm ein paar alte Münzen in die Hand. In diesem Augenblick kann sich ein Schicksal entscheiden. Wird er sie liegenlassen, wo sie sind? Wird er sie um ein paar Schilling dem nächsten Münzenhändler verkaufen? Oder verfällt er der seltsamen Anziehungskraft, die Münzen, und vor allem schöne alte Münzen, auf die Elster in uns ausüben?

Dann ist’s um ihn geschehen. Es genügt nämlich nicht, sich einfach an ihrem Glanz zu erfreuen, sie in der Hand zu wiegen, und vielleicht noch einige mehr zu beschaffen, weil ein Haufen Münzen noch schöner glänzt als eine allein. Man muß wohl oder übel System in die Sache bringen.

Man muß sich Münzenladen basteln. Man muß Karteiblätter anlegen. Man muß sich für ein Sammelgebiet entscheiden, für griechische Drachmen, für mittelalterliche Ausbeutemünzen, für Taler oder für die Denare und Antoniane des dritten Jahrhunder …

Denn die Numismatik ist eine ernste Angelegenheit. Wie so vieles, was der Mensch nicht zum Gelderwerb, sondern aus reiner Lust und Liebe betreibt, ist sie sogar eine ganz besonders ernste Angelegenheit. Eine Wissenschaft.

„ER SASS UF SEINEM SCHLOSSE und besagh den Tag über die fremde und seltsame Münze, die er hatte; denn man sagte von ym, dass er sich vorhin beflissen hette, dass er aller Lande Münzen hette. Dys tat ėr mer aus Dumheit denn anders warumb, wenn er war seer ein alter Man …” Grunau schreibt dies in seiner Preußischen Chronik über Bischof Stephan von Kulm, der im fünfzehnten Jahr hundert lebte. Wie man sieht, war das Sammeln fremder Münzen damals durchaus noch nicht als ernst zu nehmende Sache sanktioniert. Als wert, gesammelt zu werden, galten damals ausschließlich die Gepräge des Altertums. Freilich waren die ersten Sammlungen kaum mehr als ein bescheidenes Anhängsel der Raritätenkabinette, in denen hochmögende Herren Gemälde und ausgestopfte Tiere, Alraunwurzeln, Faserklumpen aus Rindermägen und noch so manches andere in buntem Durcheinander unterzu- bringen pflegten.

Doch dann nahm das Münzensammeln schnell einen großen Aufschwung, und Hubert Goltz, der um 1560 vier Jahre seines Lebens einer großen „numismatischen Studienreise” kreuz und quer durch Europa widmet, registriert bereits 950 Münzkabinette, davon 200 in Deutschland. Einige davon enthielten bereits sehr ansehnliche Sammlungen.

Dabei stand die Zeit der großen Ausgrabungen, welche auch die Münzensammlungen unerhört bereichern sollte, noch bevor. Jahrhunderte später erliegt auch ein deutscher Geheimrat namens Goethe der Faszination und bringt’ auf eine Sammlung von

Trotzdem scheint die Numismatik keine Erfindung des Abendlandes zu sein. Wir haben zwar keine Berichte aus der Antike, in denen von Münzensammlern erzählt wird, aber die Archäologen machten eine Anzahl von größeren Funden, in denen seltsamerweise jedes Gepräge nur in einem einzigen Stück vertreten war. Und auch die antiken Neuauflagen älterer Münzen Sind ein Beweis dafür, daß die Menschen schon damals durchaus nicht nur den Kaufwert der Münzen schätzten.

2000 Münzen, ein Drittel davon antiker Herkunft.

EIN JUNGER MANN betritt das winzige Geschäft auf dem Franziskanerplatz, in dem außer dem Inhaber vielleicht noch zwei, drei Leute Platz finden. Er zieht eine kleine Münze aus der Tasche; ..Wieviel ist die wert, bitte?”

Der Münzenhändler betrachtet das kleine, runde Ding einige Sekunden unter der Lupe und legt es wieder auf die Tischplatte: „Keine sehr seltene Münze, notiert mit etwa 40 Schilling. Es handelt sich um eine Münze des dritten Jahrhunderts, das Bildnis zeigt den Kai…”

Er hält plötzlich inne. Beim Stichwort 40 Schilling hat der junge Mann die Münze genommen und ist gegangen.

Dabei ist es durchaus möglich, daß irgendwo in Wien ein Münzensammler gerade dieses Stück verzweifelt sucht, weil es ihm gerade in seiner Sammlung fehlt — daß eine Münze „verhältnismäßig häufig” ist, heißt nicht, daß man sie jederzeit bekommt. Der Handel mit alten Münzen leidet heute nämlich an einer argen Warenknappheit. Die Numismatik, einst Vorrecht besonders reicher Leute, findet immer mehr Freunde. Doch das Angebot läßt sich nicht willkürlich vergrößern, und die „staatliche Konkurrenz” in der Doro- theergasse zieht immer mehr Umsatz an sich und baut ihre Position immer mehr aus. Wer trägt eine wirklich wertvolle Münze zum Münzenhändler, wenn er die mehr oder weniger berechtigte Hoffnung hegen darf, die öffentliche Versteigerung werde ihm mehr einbringen?

DABEI SCHEINT WIEN ein besonders guter Boden für die Numismatik zu sein. Das Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums ist alles andere als ein „Kabinett”; Gleichrangig mit Paris, London, Berlin und Petersburg gehört es mit seinen 500.000 Münzen zu den größten Sammlungen der Welt.

Wie in der Medizin, gab es einst auch in der Numismatik eine „Wiener Schule”, und die Sammler Trau, Mis- song, Kolb, Marki und Rohde zählten zu ihren Leuchten. Sie hatten darauf verzichtet, einander Konkurrenz zu machen und die besten Stücke dem anderen vor der Nase wegzuschnappen, wie’s fanatische Sammler oft so gerne tun. Sie hatten sich vielmehr auf die Gepräge des alten Rom spezialisiert und dieses umfangreiche Spezialgebiet so untereinander aufgeteilt, daß jeder nur die Münzen von einigen wenigen Kaisern sammelte und wissenschaftlich bearbeitete

Aber auch das krasse Gegenteil dieser Superspezialisten, nämlich jener Mann, der, ohne sich auf ein bestimmtes Gebiet festzulegen, mehr Münzen aufgehäuft hat als irgendein Mensch vor ihm, war ein Wiener. Er hieß Holl- schek, und als Sohn eines Industriellen hatte er die Möglichkeit, seiner Leidenschaft vom elften Lebensjahr an zu frönen. „Numismatik erhält jung”, war sein Wahlspruch — aber die Numismatik hat Hollschek umgebracht. Er war fest entschlossen, 100 Jahre alt zu werden. Doch im Alter von 81 Jahren, man schrieb 1940, bekam er Wind von einer besonders günstig zu erwerbenden Münze, die er gerne haben wollte — obwohl ihm der Arzt auf einige Tage strenge Bettruhe verordnet hatte, stand er auf und machte seinen Kauf. Wenige Tage später war er tot. Er ließ eine Sammlung von schätzungsweise 220.000 Münzen zurück.

Sie teilte das Schicksal der anderen großen Privatsammlungen. Sie kam unter den Hammer und wurde in alle Winde zerstreut. Eine große Münzensammlung repräsentiert einen allzu hohen Wert, um sie einfach liegenzulassen, wenn sie verwaist ist und wenn sich niemand mehr für sie interessiert. In den großen Sammlungen, die vor allem vor dem ersten Weltkrieg entstanden, waren schließlich Millionenwerte investiert.

Manchmal widerfährt übrigens einer nichtprivaten Sammlung das gleiche Schicksal. Die Auktion der Sammlung „Apostolo Zeno” lockte vor Jahren Sammler aus aller Welt nach Wien. Hinter der Bezeichnung „Apostolo Zeno” verbarg sich nämlich eines der schönsten und größten klösterlichen Münzkabinette; das Stift, dem sie durch Jahrhunderte gehört hat, sah sich gezwungen, sich von ihr zu trennen.

Höhepunkt jener Auktion war’s, als der „Goldene Maxentius” unter den Hammer kam, eine kleine Goldmünze — doch das Kaiserporträt auf der Vorderseite zählte zu den bedeutendsten Werken antiker Kleinkunst. Höchstes Angebot und Zuschlag; 80.000 Schilling.

WANN WURDE DIE MÜNZE ERFUNDEN? Sie wurde nicht „erfunden”. Der Reiz ihrer Geschichte liegt in der strengen Logik. Einst waren die Körner von Elektron, einer natürlichen Legierung aus 72 Teilen Gold und 28 Teilen Silber, die man im Sand der kleinasiatischen Flüsse fand, im ursprünglichen Zustand Zahlungsmittel. Doch um sie leichter handhaben zu können, goß man sie zu Barren. Nun war damals der Umlauf an Elektron so gering, daß die Barren immer wieder zu den gleichen Kaufleuten zurückkehrten. Um sich das wiederholte Prüfen und Wiegen eines Barrens zu ersparen, feilten die Kaufleute einfach an einem Bronze- oder Eisenstift herum, so daß ein kaum nachzuahmendes Muster entstand, brachen den Stift dann auch noch ab und schlugen ihn dann, als Kennzeichen, ein- oder zweimal in das weiche Metall des Barrens. So konnten sie ihn jederzeit wieder erkennen.

So hatte jeder Kaufmann seine private Punze. Dann gingen die Herrscher dazu über, die Goldstücke in eigener Regie zu kennzeichnen und die Verantwortung für Goldgehalt und Gewicht zu übernehmen. In Lydien, einem besonders reichen Land, dessen Fluß Paktolos große Mengen von Gold und Elektron mit sich führte, dürfte König Gyges zwischen 685 und 652 begonnen haben, den Löwenkopf als Symbol der königlichen Macht in die Barren einzuschlagen.

Vom Barren zum praktischen, runden Goldstück war’s dann nur noch ein kurzer, logischer Weg.

Übrigens — wenn wir in einem Bericht aus dem Altertum lesen, einer hätte drei Talente Goldes besessen, dann war er ein reicher Mann, denn ein Talent, das waren genau 30 Kilogramm und 24 Gramm Edelmetall. Das Talent wurde in 60 Minen, die Mine in 60 Schekel unterteilt, und ein Schekel hatte etwa das Gewicht von 180 (damaligen, kleineren) Weizenkörnern. Die meisten kleineren Münzen der Frühzeit, soweit sie aus Kleinasien kommen, haben dieses Gewicht. In Griechenland hingegen teilte man die Mine in 50 Stater, den Stater in zwei Drachmen und die Drachme in sechs Obole.

Der Name des Obolus übrigens blieb bis heute lebendig …

GUTE ZEITEN, GUTES GELD - schlechte Zeiten, schlechtes Geld. Ein unerfahrener Sammler, der einen Denar oder Antonian aus dem dritten Jahrhundert erwirbt und dann entdeckt, daß die Münze statt aus Silber aus Kupfer besteht und nur ganz dünn mit Silber überzogen wurde, sollte sie für keine spätere Fälschung halten — sie legt Zeugnis ab, daß auch die Antike schon das „Münzelend” kannte.

Besonders arg war’s im Dreißigjährigen Krieg: Viele Münzstätten zogen vollgewichtiges, vollwertiges fremde Geld ein, warfen es in den Schmelzkessel, gaben einen guten Schuß

Kupfer dazu und machten neue, und vor allem mehr Münzen „gleichen Wertes” Selbst Kaiser Ferdinand beteiligte sich munter an diesem Spiel.

In besonderen Notlagen, zum Beispiel in belagerten Städten, machte man aus Kirchengeräten behelfsmäßig viereckige Münzen, die sogenannten Klippen. Eine Klippe aus dem Jahr 1529 trägt beispielsweise die Inschrift „Turk belegert Wien”.

In Leyden und Middelburg wurde im Kampf gegen Spanien sogar aus den ledernen Rücken alter Kirchenbücher Notgeld angefertigt, das später gegen gutes Geld umgetauscht werden sollte. Diese ledernen Münzen zählen zu den größten Raritäten — angeblich nicht zuletzt deshalb, weil eine Anzahl davon aufgegessen wurde.

MAN KANN SICH, wie man sieht, in der- Numismatik nach vielen Richtungen spezialisieren. Und man kann beim Münzensammeln auch manches lernen. Es wird daher mit vollem Recht als eine Tätigkeit betrachtet, die man ernst nehmen sollte.

Was keinen Grund bedeutet, die heimliche Elster in uns, die sich am Glanz der alten Münzen erfreut und uns einflüstert, sie unter manch ernstem Vorwand zu sammeln, zu leugnen. Die Elster ist ein oberflächliches Tier? Ja, doch schätzen wir an den alten Münzen etwas anderes als die Oberfläche?

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