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Wir verkamen unsere Vergangenheit

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Jagd nach Antiquitäten, lautet der Slogan, dem das Publikum aller Gesellschaftskreise und Brieftaschenkategorien, erliegt. Auch Wiens Antiquitätenläden, Trödler und Auktionshäuser verzeichnen Rekordumsätze. Und die erste Wiener Antiquitätenmesse vom 20. bis 28. Mai soll neue Käuferschichten erschließen und dafür sorgen, daß sich endlich wieder internationale Händler um Kontakte zu Wien bemühen. Seit dem Kongreß der CINOA, der Internatio nalen Kunsthändler.vereinigung, im Juni 1969 in Wien, sind hier Landesgremium und Kunsthändler betriebsam geworden. Ergebnis einjähriger’Arbeit ist nun diese Messe, an der sich rund 50 Kunsthändler mit Spitzenwerken beteiligen. Und daß die hier erworbenen Schätze auch ins Ausland ausgeführt werden dürfen — was für einen florierenden Handel sehr wesentlich ist —» hat das Bunüesdenkmalaiiit bereits garantiert.

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Jagd nach Antiquitäten, lautet der Slogan, dem das Publikum aller Gesellschaftskreise und Brieftaschenkategorien, erliegt. Auch Wiens Antiquitätenläden, Trödler und Auktionshäuser verzeichnen Rekordumsätze. Und die erste Wiener Antiquitätenmesse vom 20. bis 28. Mai soll neue Käuferschichten erschließen und dafür sorgen, daß sich endlich wieder internationale Händler um Kontakte zu Wien bemühen. Seit dem Kongreß der CINOA, der Internatio nalen Kunsthändler.vereinigung, im Juni 1969 in Wien, sind hier Landesgremium und Kunsthändler betriebsam geworden. Ergebnis einjähriger’Arbeit ist nun diese Messe, an der sich rund 50 Kunsthändler mit Spitzenwerken beteiligen. Und daß die hier erworbenen Schätze auch ins Ausland ausgeführt werden dürfen — was für einen florierenden Handel sehr wesentlich ist —» hat das Bunüesdenkmalaiiit bereits garantiert.

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Im kapitalkräftigen Deutschland ist es längst ein Bedürfnis aller, die „in” sein wollen: mit steigender Konjunktur wieder „stilvoll” zu leben. Das heißt, sich mit Antiquitäten und was sich da sonst noch edles so nennt, zu umgeben. In Wien kommt man da gerade auf den Geschmack: Schlanke Jugendstilvasen, hübsche alte Bucheinbände, altes Silber, Nippes, Ballkalender und Adelspatente aus Franz Josephs Tagen, da ein Biedermeiersessel und dort eine Empireuhr müssen in den grauen Alltag Atmosphäre zaubern.

Die Reaktion auf skandinavischen Möbellook und kahle Wände konnte nicht ausbleiben. Man bekennt sich zu einer neuen Romantik, die fürs Heim einzukaufen, Sammelwütige für alle Souvenirs wie für antike Kostbarkeiten generell Höchstpreise zahlen läßt.

Ein paar Stichproben in der Wiener

Innenstadt genügen: All die in den letzten Jahren zwischen Kohlmarkt und Seilerstätte aus dem Boden geschossenen kleinen Geschäfte, Art- Shops und Kunstboutiquen, und selbstverständlich die renommierten Galerien, verzeichnen Rekordumsätze. Volle Auslagen überall. Und initiative, junge Unternehmer, die weiterdenken, haben sogar schon mit den USA „Souvenirgeschäfte im großen Stil” angebahnt. Großhandelsfirmen in New York und San Franzisko decken jetzt auch in Wien ihren Bedarf an dem, was bei uns vorläufig noch meist in Rumpelkammern und auf Dachböden abgeschoben wird. Denn unsere Kommoden und Büfetts von Anno 1880, Sessel und Fauteuils aus den „guten deutschen Stuben”, Makartmobiliar, die hier viel geschmähten, reich verzierten Messingbetten, Waschtischsets, kurz: kunstgewerbliche Indu strieprodukte aller Art sind „drüben” Verkaufshit Nummer 1. Wir verkaufen unsere Vergangenheit… An die 400 Anitquitätenhändler, zahllose Trödler, denen die Ware aus den Händen gerissen wird, rapid steigendes Publikumsinteresse . . . Dennoch sind Wien und Österreich noch lange kein Paradies des eigentlichen Antiquitätenhandels Vor allem weil es bisher kaum gleichwertige Veranstaltungen zu den großen nationalen Kunstmessen und Privatauktionen in Delft, Köln, München, Berlin, Hannover und schon gar nicht zu den gesellschaftlichen Monsterereignissen der Auktionen in New York (Parke-Brnet) und London (Sotheby, Christie usw.) gibt, auch weil die gesellschaftlichen Umschichtungen in Österreich zu einer zunehmenden Verarmung der Sammler von früher führten und das heute kapitalkräf tige Publikum nur zu einem geringen Prozentsatz von alter und neuer Kunst etwas versteht.

Aber Kommerzialrat Rudolf Otto, der Chef des Landesgremiums Wien der Antiquitätenhändler, sieht auch noch andere Probleme: Vor allem wie in den kommenden Jahren attraktive Ware zu beschaffen sein wird. „Die relativ günstige Wirtschaftslage macht es schwer, auf dem inländischen Markt etwa genügend Gemälde der Spitzenklasse aufzutreiben. Bedeutende Kunstwerke wechseln hier immer seltener den Besitzer, der meist seine Schätze schon als Wertanlage behält. Das gute Gemälde ist überdies wieder ein Symbol des Reichtums geworden… Anderseits sind wir nicht kapitalkräftig genug, um in der großen Fluktuation der westeuropäischen und amerikanischen Kunsthandels mitzumischen. Und im Osten, wo teilweise noch beachtliche Reserven vorhanden wären, sind Kunstwerke nur über staatliche Stellen einzukaufen. Da gibt man besser gleich alles auf!”

Museumsdirektoren sehen die Wiener Situation freilich noch kritischer. Verglichen mit jedem kleineren deutschen Museum, dem es eine Selbstverständlichkeit ist, kostbare alte Kunstwerke zu erwerben, ist in jedem Wiener Museum ein Aufstand, wenn der Direktor ein Objekt um eine halbe Million Schilling erwirbt. Das Denken vollzieht sich hier in Kleinstkategorien.

Dr. Wilhelm Mrazek, Direktor des Museums für angewandte Kunst, be- zeichnete zum Beispiel noch vor einem Jahr Wien „‘als Endstation des Kunsthandels”: „Täuschen wir uns nicht darüber hinweg, in Wien ist das Angebot an Spitzenwerken viel zu gering, und obendrein sind die Ausfuhrbestimmungen des Denkmalamts viel zu streng. Wir sind fürs Ausland uninteressant! Und überhaupt, was kann das Publikum hier schon sammeln? Doch meist nur Lokales, österreichische Gotik, wenn’s hoch hergeht, Barock, Biedermeier, ein bißchen Jahrhundertwende. Anderes trauen sich Händler heute in Wien kaum anzubieten, zeigt sich die Wiener Uninformiertheit, an der auch die viel zu wenig aktiven Museen schuld sind!”

Von der kommenden Antiquitätenmesse, bei der auf rund 1600 Quadratmeter Schauraum in über 40 Kojeri „das Beste ausgestellt wird, was Österreichs Antiquitätenhändler aufzutreiben imstande waren”, versprechen sich nun Gremium und Händler enorm viel: „Vielleicht kommt auch die Jugend drauf, daß alte Kunst eine sichere Kapitalanlage ist und obendrein viel Freude bereitet”, sagen die Händler. „Und vielleicht beginnen sich endlich breitere Publikumskreise über Kunst zu informieren. Die Antiquitätenmesse soll vor allem einmal die alte Kunst in Wien ins Gespräch bringen, das Publikum soll wieder Preise diskutieren und Qualitäten erkennen lernen!”

Hauptaufgabe der Zukunft ist freilich eine gesetzliche Regelung des Antiquitätenhandels: Heutzutage kann jeder seinen Laden eröffnen, Experten wie Laien, wenn er nur eine vierjährige Tätigkeit in der Branche nachweisen kann. „Es ist Wahnsinn, solche Geschäftemacher auf die Leute loszulassen, Kleinkrämer, die oft nicht die leiseste Ahnung und natürlich nie Prüfungen abgelegt haben. Die bringen einfach alles, wie es ihnen in die Hände kommt, an den Mann.” Gerade wegen des Altwarenhandels drängten Rudolf Otto und das Gremium auf einen Konzesisonszwang: „Wir Kunsthändler wollen nicht, daß unsere Kunden .’angeschmiert* werden, daß ihnen fachlich Unqualifizierte etwas aufschwätzen. Nur ein Kunsthändler kann im Rahmen des Handelsgesetzes für erfolgte Angaben bürgen und zur Verantwortung gezogen werden. Was will man mehr? Weder bei einem Trödler noch im Dorotheum können Sie ein gekauftes Objekt retournieren. Nicht einmal wenn’s eine Fälschung ist!”

Das heißt: Der Kampf um eine gesetzliche Regelung, wer sich Antiquitätenhändler nennen darf, steht erst bevor. Daß der Wiener Altwarenladen aber dennoch für viele ein aufregendes Erlebnis und eine attraktive Fundgrube bleiben wird, werden alle bestätigen, die ihn als letzten Rest vom einst vielgerühmten Tandlmarkt schätzen. Gleichgültig ob man dort übers Ohr gehauen werden kann oder nicht.

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