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„Von Herrschaften abgelegt”

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MAN KANN ZUMINDEST fünf verschiedene Arten unterscheiden, mit Altwaren zu handeln. Die Antiquitätengeschäfte bilden die geschlossenste Gruppe: Ware und Umschlagsmodus sind klar definiert, die Ware besteht aus Gegenständen eines bestimmten Alters, die durch eine Zuordnung zu einer der historischen Stilrichtungen einen ihren Material- und Anfertigungswert weit übersteigenden Preis haben. Im eigentlichen Altwarenhandel sind die Grenzen ebenso strikt, die großen Firmen beschränken sich auf die Verwertung von Altpapier und Buntmetall, die kleinen Geschäfte spezialisieren sich etwa auf gebrauchte Kleidung oder Werkzeug und technisches Zubehör.

Die drei anderen Arten sind für unsere Untersuchungen weit interessanter. Die Ware ist hier überall die gleiche, zuweilen, wie man sehen wird, ist sie nicht einmal alt, sondern neu, und nur die Art, sie umzuschlagen, ist verschieden. Das Dorotheum versteigert Ware, die es entweder als Pfand oder zur freiwilligen Versteigerung erhalten hat. Die Kommissionsgeschäfte — es gibt deren gegenwärtig zwei in Wien mit mehreren Filialen — übernehmen die Ware zur Schaustellung und wickeln den Verkauf gegen eine feste Gebühr ab. Nur der Trödler schließlich kauft und verkauft alte Sachen auf eigenes Risiko.

In anderen Großstädten sind die Trödler längst zu einer Touristenattraktion geworden, etwa in der petticoat lane in London, oder auf dem marchė aux puces in Paris. Wien hatte zwar einst den Tandel- markt, aber davon blieb nur ein Straßenname. Die restlichen Trödler, Altwarenhändler in einem spezifischen Sinn, verteilen sich auf einige Bezirke, manche davon sind leicht zu finden, weil sie ein Telephon haben und unter der Sammelbezeichnung „Altwarenhändler” im Telephonbuch stehen, andere findet man nicht so leicht. Man bemerkt sie nur im Vorbeigehen oder Vorbeifahren ah den eigentümlich vollgestopften Fenstern ihrer Auslagen, falls sie welche haben, oder an einigen, bis auf den Gehsteig hinausreichenden Sachen, die sozusagen aus dem Haus quellen. Ihr Warensortiment ist verschieden, schließt einerseits auch gebrauchte Kleidung ein, anderseits Mobilar, und zumeist stammt es aus der Verwertung sogenannter Hinterlassenschaften, Wohnungseinrichtungen nach verstorbenen Anverwandten, die von den Hinterbliebenen dem Trödler in Bausch und Bögen verkauft werden. Ein gutes Stück, das mitgegangen ist, entschädigt ihn dann für die vielen anderen Gegenstände, die nicht mehr anzubringen sind, liegen bleiben und den Laden bis zu jenem Grad verstopfen, der ihn zu einem Trödlerladen werden läßt.

WENN ETWAS, SO IST ES die Unordnung und Fülle, die allen Trödlern gemeinsam ist, die freilich auch ihre Reiz ausmacht, die Verlockung entstehen läßt, in dem Haufen alter Sachen zu wühlen, ohne eine bestimmte Vorstellung zu haben, was man im Augenblick gerade sucht. Im allgemeinen begibt man sich zwar auf die große Trödlertour, die vom zweiten in den fünften, vom neunten in den fünfzehnten Bezirk führt, kreuz und quer durch Wien, wenn man einen Gegenstand, etwa zur Ergänzung der Einrichtung, kaufen will, der ein ganz bestimmtes Gharakteristikum haben soll und dennoch nicht zu teuer sein darf. Aber die Regel ist dann, daß man etwas anderes mitbringt, als man eigentlich gesucht hat, zuweilen ganz nutzlose Sachen, die man gekauft hat, weil sie den Reiz des Skurilen haben und billig sind.

Die unwiderstehliche Anziehungskraft nutzloser aber billiger Gegenstände, ist sicherlich mit der Sammlerwut verwandt. Inmitten eines Haufens von altem Geschirr fällt einem etwa ein grüner, täuschend ähnlich modellierter Apfel auf. Man greift nach ihm, erwartet Wachs, wenn schon nicht die tatsächliche, auf geheimnisvolle Weise konservierte Frucht, und hält einen Stein in der Hand, grünen, ganz feinkörnig strukturierten Granit. Man fragt nach dem Preis, und etwas Verlegenes haftet der Frage an, denn man ist sich bewußt, daß der Kauf des Granitapfels das einzige Ergebnis eines langen Wüh- lens sein könnte, währenddessen man die Zeit des Trödlers ungebührlich beansprucht hat. Doch auch der Trödler selbst ist verlegen, aus einigen Gründen: Er hat sich nie den Kopf zerbrochen, wieviele dieser partikuläre Gegenstand kosten soll, denn er hat ihn mit vielen anderen übernommen und achtlos beiseite gelegt; als Trödler wirft man nichts weg. Auf der einen Seite indiziert das Interesse des Kunden einen großen Wert, auf der anderen will man ihn beileibe durch eine zu hohe Summe nicht verärgern. Das Resultat ist dann eines jener freundlichen Ereignisse, die einem in der Trödlerwelt begegnen. Der Granitapfel kostet einen Schilling, und was gibt es in unserer Welt des Wohlstandes noch um einen Schilling zu kaufen? Nicht einmal ein Eis mehr. So gelangt man in Besitz dieser Frucht aus Stein, ohne sie gesucht zu haben, die einst, wer weiß welche Auslage geziert hat.

DIE ÜBERRASCHUNG FOLGT FREILICH kurz danach, wenn man eine ganze Anzahl von ähnlichen Früchten aus dem gleichen Material, eine rötlich gefärbte Orange, eine gelbliche Birne, bei einem Antiquitätenhändler in der Auslage entdeckt. Durch das erste Stück, billig erworben, ist die Sammelleidenschaft geweckt, und man will die Sammlung vergrößern. Doch der Antiquitätenhändler ist nicht in der gleichen Verlegenheit wie der Trödler; bei ihm hat alles einen Preis, und die Orange sowie die Birne, kosten je zwanzig Schilling. Per gewaltige Unterschied, gering zwar im tatsächlichen Betrag, aber groß in der Relation, dämpft die Sammlerfreude, und der Apfel bleibt allein.

Überhaupt wird die Welt der Trödler immer kleiner, auch in Wien. Proportional zum wachsenden allgemeinen Wohlstand steigt auch die Sehnsucht nach anderen als den lebensnotwendigen Gütern und damit nach Antiquitäten. Wohl keine andere Zeit hat eine solche Vorliebe für das Alte gezeigt. Das Biedermeier hat als Stil das Empire abgelöst und es gibt bereits mehr Biedermeiermöbel als im vergangenen Jahrhundert. Bauernmöbel und -truhen werden aus kaum noch richtig getrocknetem Holz angefertigt, und die Mode schließt bereits den Jugendstil ein, der noch gar nicht fern ist. Thonetsessel etwa, jene bestechend einfachen Konstruktionen aus dampfgebogenem Rundholz, die ein Corbusier gelobt hat und die heute alle Filminterieurs der nouvelle vague zieren, hat man noch vor zwei Jahren in den Höfen der Trödler stehen sehen, langsam unter den Einflüssen der Witterung verrottend. Heute klettern sie im Dorotheum auf das dreißigfache ihres Aüsrufpreises. Ein Altmöbelhändler im fünfzehnten Bezirk, der die Laufkundschaft mit kurzangebundener Nachsicht abfertigt, erzählt von Thonetschlafzimmern, die nach Amerika verschifft werden, nach New York, wo die Innenarchitektur ohne den mitteleuropäischen Bestand an Stilmöbel undenkbar wäre.

DIE PREISE DER STILGEGENSTÄNDE — Möbel, Vasen, Beleuchtungskörper — klettern, die Zahl der echten Trödler sinkt und auch die Chance, bei ihnen noch richtige Entdeckungen zu machen, Entdeckungen, deren bestes Beispiel wohl der Schaukelstuhl ist, den man um 100 Schilling kaufen konnte, die Sitze neu einflechten ließ, und der heute 1200 Schilling wert ist. In der Wirtschaft der alten Sachen regiert nicht der Goldstandard, wie in der Marktwirtschaft der neuen, sondern der Preis eines anderen gelben Metalls: an Messing kann man ebenso sicher wie an der Tafel der New Yorker Börse den augenblicklichen Zustand des Antiquitätenmarktes ablesen. Die Serviertabletts, die grünbesohirmten Lampen aus Messing, die man einst beim Trödler kaufen konnte, sind ins Antiquitätengeschäft abgewandert, man braucht sie nicht mehr selbst putzen, und muß sie teuer bezahlen. Die Schneekessel, die Mörser, die Küchenwaagen mit den Waagschalen aus dem gelben Metall sind längst zum Symbol der mit Geld, doch nicht immer mit Geschmack eingerichteten Wohnung geworden, sie stehen auf schwedischen Möbeln oder auf um teures Geld bei spezialisierten Tischlern angefertigten Stilmöbeln. Die Leute rennen nicht mehr mit ihren alten Sachen zum Trödler, der sie bewertet, sofort bezahlt und den nächsten Kunden, der sie wieder kauft, in Ruhe abwartet; sie wissen bereits, welchen Wert eine alte Truhe hat, und lassen sie entweder im Dorotheum versteigern oder stellen sie in eines der Kommissionsgeschäfte, wo sie die Gewißheit haben, daß an ihrer Ware niemand zwischenverdient. Die Kauflust nach Antiquitäten steigert sich seltsamerweise in der Umgebung der Gelegenheitskäufe, im Dorotheum klettern manche Gegenstände auf einen Preis, der höher ist als derjenige, den man im Geschäft bezahlt, und auch die Kommissionsgeschäfte gehen dazu über, eigene Ware, besonders Stilmöbel, anzubieten, um den unersättlichen Bedarf zu befriedigen.

DIE ENTRÜMPELUNGSAKTIONEN der Gemeinde Wien haben zwar noch beträchtliche Schätze zutage gefördert, aber die Hauptströmung im Handel mit alten Waren führt bereits am individualistischen Phänomen des Trödlers vorbei. In den Antiquitätengeschäften hängen Biedermeierpetroleumlampen, die elektrisch installiert am Fließband erzeugt werden, die Gemeinde Wien macht mit ausrangierten Gaslaternen ein gutes Geschäft, und was sonst ein Gebrauchsgegenstand war, ist heute eine ebenso gute Kapitalanlage wie etwa ein Bild von Picasso oder Manet. Und wären die Wiener Trödler etwa wie die Lebensmittelstände des Naschmarkts zentral und verkehrshindernd versammelt, würde ihnen die Gemeinde am Stadtrand einen Glas-Beton- Kasten bauen wollen; nur in der Anonymität, im Versteck haben sie die Möglichkeit, zu überleben.

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