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Großes Spiel in kleiner Welt

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Es fängt mit einem kleinen Madchen in Wien an, das vor rund 50 Jahren alle Puppen und sonstiges Spielzeug aufhob. Als sie ein paar Jahre älter war, lernte sie an der Wiener Kunstgewerbeschule, wie man Spielzeug fachmännisch restauriert. Nun war nichts mehr vor Gabrieles Sammlerleidenschaft sicher, konnte sie doch die kompliziertesten Puppengliederbrüche heilen.

Sie klebte, nähte - mit dem Löten hatte sie eine Weile Schwierigkeiten. Doch dann lernte sie Hugo Folk kennen, der von Beruf Bankbeamter und privat Bastler war. Was Gabriele nicht konnte, das konnte er! Es wurde eine sehr glückliche Ehe, die Wohnung füllte sich mit Spielsachen, die Jahre vergingen. Bei den Folks sah es auch wie in einem wunderschönen Privatmuseum...

In den 60er Jahren fragten sich Gabriele und Hugo, der indessen Prokurist geworden war, ob ihre Spielzeugsammlung nicht auch anderen Leuten zugänglich gemacht werden sollte. Sie wandten sich an den damaligen Wiener Bürgermeister Felix Slavik. Der zeigte sich begeistert von der Idee, die kostbaren Sachen in einem zu begründenden Spielzeugmuseum der Öffentlichkeit zu präsentieren. Geplante'örtlichkeit: das Josefstädter Rathaus.

Die in Aussicht genommenen Räumlichkeiten ließen aber zu wünschen übrig. „Wir werden's herrichten“, meinte der Bürgermeister gemütlich, „es wird nur ein bisserl dauern.“ Wie recht er hatte: am Josefstädter Rathaus ist bis heute nichts hergerichtet worden. „Derweil“, vertröstete der Bürgermeister die Folks, „magazinieren wir halt die Spielereien.“

Magazinieren bedeutete: in Kisten aufbewahren, ein bisserl verstauben, ein bisserl versterben. Die Folks verdroß es, daß ihr nobles Angebot solche Resonanz fand. Sie traten in Verhandlungen mit Nürnbergs Spielzeugmuseum, das das umfangreichste und bedeutendste Europas ist. Die Nürnberger freuten sich auf den wertvollen Zuwachs aus Wien. Doch dann ergaben sich Ausfuhrschwierigkeiten. „Glücklicherweise“, meinte Dr. Volker Kutschera, Kustos des Salzburger Museums Carolino-Au-gusteum, „und da haben eben wir Salzburger zugepackt!“

30.000 Einzelexponate der Folk-schen Sammlung gingen in den Besitz des Carolino Augusteum über. Sie lieferten den Grundstock für das Spielzeugmuseum, das 1978 im alten „Bürgerspital“ in der Getreidegasse eröffnet wurde.

• Diese neue Abteilung des „C. A.“, das in punkto Qualität und Besuchsfrequenz zu den Spitzen der österreichischen Landesmuseen zählt, registrierte zu Ostern 1979 den 120.000. Besucher. Der glückliche Museumsbesucher bekam eine Elektro-Eisenbahnanlage geschenkt, allerdings eine neue.

Zur Folksammlung kamen - außer den wertvollen Eigenbeständen des „C. A.“ - weitere Schenkungen. Ein Unikat ist die riesige Ankersteinbaukasten-Sammlung mit einer Ankersteinburg im Zentrum. Eine ExtraVitrine mit Besuchergeschenken beweist hebevolles Publikumsinter-esse.

Denn In- und Ausländer kommen gerne ins Spielzeugmuseum, das ein eigenes Spielzimmer zusätzlich anbietet: mit Spielzeug und Büchern für Kinder, die mitunter gar nicht mehr so klein sind, sondern bereits im Erwachsenen-Alter (Mittwoch und Freitag gibt es um 15 Uhr Ka-sperltheater).

Die rührigen Salzburger haben noch viel vor: eine Schaustellung „bürgerlicher (historischer) Wohnkultur“, eine weitere, „Optisches Spielzeug“. Letztere wird mit ihren 60 spielbereiten Bühnen die größte Sammlung von Kinder- und Papiertheater - Schwerpunkt natürlich die „Trentsensky-Bühnen“ sein. Der neue Direktor des Carolino Augusteum, Dr. Albin Rohrmoser, setzt damit nicht nur bereits Begonnenes fort, sondern hat auch neue Ideen.

Im Spielzeug-Museum wird, sagt der jugendliche Kustos Kutschera, „ein komplettes Bild der Entwicklung im Spielzeugbereich gezeigt, von der kleinen Tonfigur aus der Römerzeit bis zur Gegenwart. Das Phänomen Spiel, die große Welt im kleinen, erschließt sich.“

Erwachsene, so erfährt man, sind und waren immer verständnisvolle Erfinder, Erzeuger und Käufer von Kinderspielzeug. Sie benützen - und tun's noch immer -, das angebliche Interesse des Kindes zur Rehabilitierung ihrer eigenen Spiel- und Repräsentationsgelüste. (Wer denkt da nicht sofort an die Papas, die den Sprößlingen die Eisenbahn schenken, die sie selber nie besitzen konnten? Auch, die Kleinen sind noch viel zu klein dafür, doch der Papa darf endlich spielen ...).

Auch die Puppenhäuser früherer Zeiten, von Sammlern heute fast mit Gold aufgewogen (denn altes Spielzeug ist zu einem sehr ernstgenommenen Bestandteil des Antiquitä-

tenhandels geworden), waren fürs Kinderspiel schon damals viel zu kostbare Statussymbole. Die Handwerksordnung etwa schrieb vor, daß am Puppenhaus, ebenso wie am großen normalen Haus, alles von befugten Handwerkern verfertigt sein mußte: Die Möbel vom Tischler, das Zinngeschirr vom Zinngießer. Das Puppen-Glaswerk mußte vom Glasbläser geblasen werden. Billig war das nicht, dafür der Stolz der Eltern, und die Kinder durften es lediglich bestaunen.

Ich stehe beeindruckt vor einer rosa beschürzten Puppenhausfrau aus Thüringen, die an einem „Wiener Herd“ (19. Jahrhundert) hantiert. Der Herd ist ein echter Herd, man kann darauf wirklich kochen, kleine Kochgeschirre stehen auch parat. Brandspuren ' an solchen Puppenherden verraten, daß die Kinder es gelegentlich auch ausprobierten.

Noble Puppen mit „Biskuitkop-ferln“ aus dem 19. Jahrhundert - auf Auktionen würden sie zigtausend Schilling erbringen -, haben Garderoben, die denen nobler Damen entsprachen: Korsettchen, Lederstie-ferln, Seidenstrümpfe. Weitere Schönheitsrequisiten: Manikürzeug, Bürste, Kamm. Die Vorläuferinnen Barbies sind jedoch phantasievoller ausgestattet als der (teure) Elternschreck von heute: manche haben austauschbare Köpfe. Andere zwei Gesichter. Mitunter können welche lachen und weinen, Spazierengehen und schwimmen.

Auch damals war der Existenzkampf hart. Die Puppenmacher mußten sich etwas einfallen lassen, um konkurrenzfähig zu bleiben, es gab zu viele Puppenerzeuger. (Im alten Handwerkssinn gibt es heute keine mehr, doch es gibt die sympathischen Geschöpfe der Margarete Streif).

Die pädagogische Absicht, die kleinen Mädchen durch Puppenspiel auf künftige Mütteraufgaben zu trainieren, erfüllte sich durch die eleganten Modepuppen natürlich nicht. Die Mini-Ladies saßen zum Anschauen in Mamas Vitrini - oder auf dem Diwan. Aufs Umwickeln eines Babys, aufs Füttern und Kosten übten sich die kleinen Mädchen mit bescheideneren Pupperln ein: mit Fetzenpuppen, oft von den Kindern selbst aus Re-sterln gebastelt, und dies zu allen Zeiten - sogar in den ägyptischen Kindergräbern finden sich Beigaben von Fetzenpuppen!

Einfach und kindgerecht sind auch die russischen Holzspielsachen. Wer kennt sie nicht, die „Matrjoschka“ (Mütterchen), die man aufmachen kann? Eine kleinere Matrjoschka kommt zum Vorschein, öffnet man sie, kommen weitere Matrjoschkas -bis zur winzigen, bei der man immer aufpassen muß, daß sie nicht in einem Kindermagen verschwindet. Verblüfft erfährt man, daß die „typisch russische“ Puppe in der Puppe herkunftsmäßig gar keine Russin ist Sie ist einem japanischen Vorbüd nachgemacht, der Kokeshi-Puppe. Diese graziöse Japan-Mama wurde von russischen Drechslern zur dik-ken Bäuerin mit Kopftuch russifi-ziert.

Bären und eine kunstvoll geschnitzte Troika aus Holz sowie bunte Keramikfiguren zeigen die Neigung der russischen Spielzeugtradition zu einfachen, archaüschen Formen. Volkstümlich ist auch polnisches Holzspielzeug, verwandt dem berühmten aus Groden. Die Grödener Holzpuppen sind in der ganzen Welt bekannt. In Amerika gibt es sie sogar in Quäkertracht. Drei Puppen aus dem Grödener Tal gingen in die amerikanische Kriminalgeschichte ein. Sie wurden, 1896, zur Rekonstruktion eines Doppelmordes verwendet.

Blechspielzeug bzw. Zinnfiguren, Hampelmänner, Dreiradpferd und Schaukelpferd, Marionetten, Pim-perln (einfache Wiener Puppen aus Draht), Kugeln, Kreisel, Gaßlschlit-ten, Arche Noah - man könnte noch lange aufzählen, was es im Spielzeug-Museum zu sehen gibt. Alles historisch und nicht in Wien.

Leider. Aber auch nicht in Zürich oder Nürnberg, sondern in Salzburg -glücklicherweise - zu besichtigen Dienstag bis Sonntag von 9 bis 17 Uhr; Senioren haben freien Eintritt Wenn die Oma oder der Opa mit dem Nachwuchs kommt, kostet es also nichts, denn Kinder bis 14 dürfen auch umsonst hinein.

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