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Paletten in Hietzing

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Nach einem Besuch bei Gustav Klimt schrieb der bekannte Wiener Kunstschriftsteller Arthur Roessler über die Umwelt des Künstlers: „Eine dörflich stille Seitengasse in Hietzing, in dieser Gasse ein niederer grün gestrichener Lattenzaun, ein echt vorortsmäßiger Gartengadern, dahinter ein von Strauchdickicht durchwachsener Garten mit alten Bäumen, einigen Rasenplätzen und Blumenbeeten, und mitten in dieser eilandhaften grünen Pflanzenwirrnis ein schlichtes eingeschossiges Landhaus mit glatt verputzten weißen Mauerflächen, schwarzgestrichenen Fensterrahmen und Türplatten.“

Klimt hatte sich damals in der

Unter-St.- Veiter Feldmühlgasse ein neues Atelier eingerichtet, weil seine bisherige Arbeitsstätte, gegenüber dem Theater in der Josefstadt, 1914 demoliert wurde.

Zu Hietzing, von dem der Essayist und Burgtheaterdirektor Alfred v. Berger sagte, man fühle, „daß man etwas Vornehmes, etwas Ruhiges und Exklusives“ ausspreche, wenn man nur den Namen nenne, hatte der Maller freilich schon lange enge persönliche Beziehungen. Während der schönen Jahreszeit wanderte er fast jeden Tag zwischen fünf und sechs Uhr morgens von seiner Wohnung in der Westbahnstraße zum „Tivoli“ hinaus, frühstückte in der Meierei und ging dann auf der Höhe des Schönbrunner Parks bis zur Gloriette. Dort blieb er schweigend stehen, in den Anblick der geliebten Einheit von Stadt und Landschaft versunken.

Ein Motiv aus Schönbrunn ist auch die einzige Wiener Vedute, die er je malte- Sie entstand, wie so viele andere Bilder, in der Feldmühlgasse. Umfaßt von den Hecken dieser Einsiedelei erschloß sich allerdings Klimts ureigenstes Reich in seiner ganzen Erlesenheit und mit dem Flair einer wahrhaft großstädtischen, im Stil richtungweisenden Lebensform.

Die in der Hietzinger Szenerie traditioneller gelber Fassaden und grüner Fensterläden ungewohnte Abstimmung von weißer Tünche und schwarzem Holz des Hauses mochte einer Anregung des Freundes Josef Hoffmann folgen, der auch die betont einfachen, noblen Möbel für das Empfangszimmer des Ateliers entworfen hatte. Dort gab es außer einigen bieaermeierlichen Schnupftabakdosen und Kunstgewerbe der

„Wiener Werkstätte“ nichts, was im üblichen Sinn wienerisch gewesen wäre. Dafür dominierte der Ferne Osten mit großen chinesischen Bildern, Porzellanstatuetten und japanischen Holzschnitten. Beim Fenster, durch das man auf die Rosenstöcke sah, stand eine Samurai rüstung. Gestalten auf koreanischen Vasen, die Klimt besaß, kehren als Hintergrunddekorationen mancher Frauenporträts jener letzten Jahre wieder.

Er war wohl der einzige Privatmann der Franz-Joseph-Ära, der bereits afrikanische Holzsbulpturen sammelte. Sie interessierten ihn vielleicht deshalb, weil sie einen strengen, urtümlichen Gegensatz zu

seiner eigenen, geschmeidehaft verfeinerten Kunst bildeten. Die PrachtMebe des Augenmenschen, die Klimt mit Makart teilte, äußerte sich darin, daß er einen Schatz edelster asiatischer Gewebe und Kostüme hortete.

Manchmal zeigte er, der schwer Zugängliche, seine Kostbarkeiten nicht nur wenigen geladenen Besuchern, Modellen aus der Wiener Gesellschaft und vertrauten alten Freunden, sondern auch Buben der Nachbarschaft, die neugierig über den Zaun spähten und nur zu gern wissen wollten, wie es denn „drinnen“, bei dem geheimnisvollen berühmten Künstler aussehen mochte. Einer von ihnen erinnerte sich später:

„Wortkarg führte er uns in seinen Garten, öffnete einen weiten kahlen Atelierraum und zeigte uns ein Bild, an dem er gerade malte. Bin in juwelenzarten Farben strahlendes Schloß war es: Kammer am Attersee. Stumm stand er hinter uns, die wir nicht viel von der Kunst des Meisters verstanden, kraulte sich den grauen, kurzgeschnittenen Apostelbart und öffnete dann noch einen seiner Schränke, in dem indische Seiden und märchenhafte, in Gold bestickte Schleiergewänder hingen. Im Weggehen sähen wir uns beim Tor noch einmal nach dem seltsamen Mann um. Wir Hietzinger Kinder fühlten nur die große Einsamkeit, die von diesem Herzen ausging, wir sahen einen gespensterstillen Garten und hinter verwilderten Buchsbaumrabatten das Haus.“

Nach Klimts Tod am 6. Februar 1918 wollte man das verwaiste Atelier in seiner Gesamtheit bewahren, als authentische dauernde Vergegenwärtigung der persönlichen Sphäre

eines der größten Genies, die Wien je hervorbrachte. Alles bis zur letzten Farbtube sollte so bleiben, wie er es verlassen hatte. Die Verwirklichung dieses Planes hätte der Nachwelt unschätzbaren Kulturbesitz gesichert.

Aber das ideelle Vorhäben scheiterte an der Realität der tristen Verhältnisse: Krieg und Nachkriegszeit, die leidige Wohnungsnot. Der Bau wurde für neue Zwecke adaptiert, Nicht einmal einem Neffen, der als Halbwüchsiger Klimt, den Bruder seiner Mutter, oft besucht hatte, gelang bei der späten Suche die Rekonstruktion der ursprünglichen Lage. „Ich finde keine Anhaltspunkte mehr. Das Haus, so wie es war, ist weg“, bedauerte er.

Die Einrichtung ging größtenteils an des Künstlers langjährige Gefährtin Emilie Flöge, die ihm auch in einem jener typischen fließenden blaugetonten KMmt-Kleider zu einem seiner besten Frauenbildnisse Modell stand. Zusammen mit ihren Schwestern betrieb sie einen von der „Wiener Werkstätte“ gestalteten renommierten Modesalon in der Ma-riahöferstraße.

Der brannte 1945 aus, samt den asiatischen Gewändern. Aber Ateliermöbel und Sammlung blieben erhalten und sind nun Familienbesitz in einem Ort des südlichen Wienerwaldes. Einer jener typischen Josef-Hoffmann-Fauteüils ist ins tägliche Leben der Bewohner einbezogen wie ehedem, ebenso . dient der hohe schwarze Glasschrank nach wie vor seinem Zweck, manche andere Stük-ke freilich werden lieber geschont als benützt, da sie die Wechselfälle der Zeitgeschichte nicht so stabil überdauerten.

Weitere Fahndungen führen ins Böbler-Werkhotel in Kapfenberg: dort steht die Samurairüstüng nach ihrem langen Weg von Japan über unbekannte Zwischenstationen und die Hietzinger Jahre, als Blickpunkt und exotische Dekoration.

Kaum zehn Gehminuten entfernt und fast gleichzeitig mit Klimt, bezog ein junger Maler das Atelier im obersten Stock des damaligen Neubaus Hietzinger Hauptstraße 101. Es war der „sehr ergebene Egon Schiele“, der mit Supplikanten Floskeln manchmal demütig um Stundung der fälligen Miete bitten mußte. Seine Erscheinung und ganze Art entsprach so recht den mittelständischen Vorstellungen von einem „armen Maler“, der mehr Farbe auf der Palette als Butter auf dem Brot hat. Verwunderlich, daß er niemals etwa Zeichnungen oder Aquarelle an Zahiungs Statt bot, hatte er doch nicht lange vorher mit einem Zahnarzt eine ähnliche Abgeltung der Behandlung vereinbart.

Aber hier versuchte er es gar nicht mit bargeldlosem Verkehr. Wahrscheinlich hätte der Hausherr „solche“ Bilder auch kaum als entsprechende Kompensation betrachtet, sondern wartete halt doch lieber, bis der säumige Mieter zu klingender Münze kam. Schiele, der zuweilen die Trasse der Verbindungsbahn überquerte, um den von ihm in einer Art geistiger Sohnesliebe verehrten Klimt zu besuchen, hatte sich oben unter dem Dach ähnlich eingerichtet, doch die Kontraste noch härter und konsequenter gesetzt. Aus den Reminiszenzen Arthur Roesslers, seines unermüdlichen Förderers, erfahren wir:

„Der Arbeitsraum war durchflössen von einem unerklärbaren, aber | merklich spürbaren, feinen leichten Hauch, einem Hauch, wie ein Nebelschatten, in dem seelische und geistige Elemente schwangen. Man fand sich innerhalb eines kalkweißen Mauergevierts von schwarzen Dingen umgeben: schwarzen Kasten, Tischen und Stühlen, schwarzen Vorhängen, schwarzen Seidendek-ken, schwarzen Polstern, schwarzen Laokdosen und schwarzen gläsernen Aschenschalen, schwarz gebundenen Büchern und schwarzen Vasen auf schwarzen Borden, schwarzen japanischen Schablonenschnitten in schwarzen Leistenrahmen, schwarzen Tür- und Fensterrahmen.“

„Inmitten dieses Chores vieltonig

abgestimmter' Schwärzen stand in einem weißen kuttenartigen Malkittel der junge Künstler vor einer schwarzen Staffelei, auf der eine große gespannte Leinwand lehnte, und pinselte an einem Bild, in dem alle Farben des Spektrums in edelsteinhafter und blumiger Glut gleichsam aus sich heraus leuchteten.“

Schiele war einer der eifrigsten Verfechter der Erhaltung von Klimts Atelier als Gedenkstätte. Er selbst übersiedelte noch im Sommer 1918 nach Alt-Hietzing, m die Nähe Schönbrunns. Seine neue Adresse: Wattmanngasse 6. „Das Atelier ist alleinstehend rückwärts in einem schönen Rosengarten“, teilte er seinem Schwager mit. Der Lokalaugenschein von heute stößt auf egalisierte Mauern, in der Banalität späterer Umbauten hat sich jener „Hauch wie ein Nebelschatten“ verflüchtigt. Eine Mittelschülerin im Flur nimmt freundlich zur Kenntnis, daß Schiele hier schuf.

Beide, der ältere und der junge Meister, haben ihren Hietzinger Wirkungskreis auch im Tod nicht verlassen. Die Feldmühlgasse heißt noch immer so, dafür gibt es eine Klirrrtgasse als beziehungslose kurze Querverbindung in einem bemer-

kenswert unerheblichen Viertel. Gestorben ist Schiele hinter der gut-bürgerlichen Fassade Hietzinger Hauptstraße 124, in der Wohnung seiner philiströsen Schwiegereltern, gegenüber von Nummer 101. Dort hat sich wenig verändert, die Hausfront ist bis auf spätere, die Mauern glättende Renovierungen ziemlich dieselbe, die der Maler kannte, wenn er unter den Alleebäumen heimkommend, zu seinem Atelierfenster im Giebel hinauf blickte..

Der Topos in seinen gegebenen räumlichen Verhältnissen und Abmessungen, das „Vorkriegs'-Milieu der hellen Stiegen — alles wie einst. In der Parterrezone wäre außen viel Platz für eine Gedenktafel — freilich kam noch niemand auf die Idee, dieses Haus dadurch in der Wiener Kulturlandschaft zu markieren. Nachvollziehbar Schieies Weg, an den facettierten, mit bunten Glasornamenten ä la Josef Hoffmann eingelegten Gangfenstern vorbei, Dekor, das als Signet für die Atmosphäre Hietzings gelten könnte. „Aber vom Herrn Schiele ist nichts mehr da“, sagt die Hausbesorgerin. Ganz so, als wäre der Herr Schiele erst unlängst per Ultimo ausgezogen.

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