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Wo die Meisterin des „Plausches“ wohnte

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Unter den Wipfeln des Gartens bläst ein kurzbeiniges Sand- steinmanderl in barocker Weidmannstracht auf dem Parforce- horn Halali. Sozusagen ein Urenkel der Sippschaft aus dem Salzburger Zwergeigarten. Aber nicht so grotesk, nein, vornehmer, fast ein Schönbrunner Hofzwerg, wenn es solche jemals wirklich gegeben hätte. Niemand weiß mehr, woher dieser sympathische kleine Dreispitzträger stammt, wahrscheinlich aus dem Park eines Jagdschlosses irgendwo in Österreich. Seit etwa einem Jahrhundert besitzt er jedenfalls Heimatrecht in Hietzing.

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Unter den Wipfeln des Gartens bläst ein kurzbeiniges Sand- steinmanderl in barocker Weidmannstracht auf dem Parforce- horn Halali. Sozusagen ein Urenkel der Sippschaft aus dem Salzburger Zwergeigarten. Aber nicht so grotesk, nein, vornehmer, fast ein Schönbrunner Hofzwerg, wenn es solche jemals wirklich gegeben hätte. Niemand weiß mehr, woher dieser sympathische kleine Dreispitzträger stammt, wahrscheinlich aus dem Park eines Jagdschlosses irgendwo in Österreich. Seit etwa einem Jahrhundert besitzt er jedenfalls Heimatrecht in Hietzing.

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Sogar in Alt-Hietzing, also jenem theresianisch gelben Tortenstück des Bezirksplans, das vom Kirchenplatz bis zur Höhe der Maxingstraße reicht, einen kurzen Zirkelschlag in Richtung Küniglberg beschreibt und auf der anderen Seite durch die Lainzerstraße vom später entstandenen „Kottehsch“ getrennt wird. Ist das Hietzingertum schon an sich eine besondere Spielart des Wienerischen, so versteht nur ein Eingeweihter die Schwingungen der Atmosphäre in den nahe der Schönbrunner Parkmauer liegenden Gassen und den übrigen Partien mit angeborenem oder zumindest anerzogenem seismo- graphischen G’spür zu unterscheiden. Am ehesten eben — ein passionierter Hietzinger. Das sind feine Übergänge, Ausstrahlungen, Stimmungsschattierungen, hauchzarte Nuancen, unwägbar wie das Aroma von Gärten und rötlich gemaserten alten Möbeln in hell tapezierten großen Räumen.

Herr Baedeker persönlich, der bereits legendäre Pfadfinder für Millionen von Reisenden, meinte nicht zu hoch zu greifen, wenn er das Hietzing des 19. Jahrhunderts als „das schönste Dorf Österreichs“ pries.

Reicher Baumbestand und der Hang des Maxingparkes schieben sich zwischen die Gloriette und jene Alleegasse, die nach ihr benannt ist. Das architektonisch geschlossene Ensemble nach dem Sinn der Kunsthistoriker, in diesem Viertel findet man es, noch fast ohne Vorstöße und Einbrüche der Bauspekulation und der Pseudomoderne in das Reich des Genius loci. Noch!

Die Villa Gloriettegasse 9 lebt nach innen, südseitig, dem umfriedeten Stück Natur zugewandt, entfaltet sie ihr ganzes Flair. Dort ist Hietzing am hietzingerischesten. Drei ebenerdige Trakte umschließen den Hof mit den großen Lünettenfenstern und weißen Stuckornamenten auf sonnenfarbenen Wandflächen. Der Eintritt in den Garten vollzieht sich fast festlich, zwischen Ballustraden und steinernen Vasen, durch eine breite Schmiedeeisenpforte von filigranem Gerank.

Ein nobel instrumentiertes Tusculum. Alles deutet darauf hin, daß hier ein spätbiedermeierliches Klein- Schönbrunn geschaffen werden sollte, die intime Variation auf ein imperiales Thema. Ebenso repräsentativ wie privat. Kurzum: das eleganteste Landhaus in Alt-Hietzing. Eine Residenz. Die einstige Villa der Katharina Schratt.

„Liebe Gnädige Frau! Gestern wäre ein vortrefflicher Tag für den ersten Ausgang gewesen. Ich dachte daran, als ich gestern von 1 bis 2 Uhr mit der Kaiserin den gewohnten Weg hinter der Gloriette auf und ab wandelte. Wir sprachen auch von Ihnen und mit welchen Gefühlen ich durch das Gitter am Tirolergarten in die Gloriettegasse sah, kann ich Ihnen nicht sagen.“

So lautet eine Stelle aus einem der Hunderte von Briefen, die Kaiser Franz Joseph zwischen 1886 und 1915 an Katharina Schratt schrieb.

Wo sich der Monarch auch aufhielt, ob in der Hofburg oder in einem böhmischen Manöverhauptquartier, in Budapest, an der Riviera, in seinen Jagdschlössern Mürzsteg, Ischl oder Gödöllö, von überall berichtete er der „Gnädigen Frau“ über seine Verpflichtungen, politische und private Ereignisse und allerlei persönliche Wahrnehmungen, die den geschärften Blick des Jägers und guten Beobachters verraten. Manchmal glossiert er ironisch mit einem, bei seiner ernsten strengen Wesensart überraschenden trockenen Humor von Mensch zu Mensch feierliches Auftreten und Zeremoniell:

„Um sechs Uhr gab ich den hier anwesenden Offizieren meines würt- tembergischen Regiments ein Diner, bei welchem ich in der neuen würt- tembergischen Uniform erschien. Ich war sehr schön!“

Voll Stolz meldet er Frau Schratt gute Gams- und Hirschabschüsse und klagt ihr, wie sehr es ihn bedrücke, statt auf dem Hochstand wieder am Schreibtisch sitzen zu müssen. Längere Trennungen von der heiteren, das Leben und alle Dinge mit einer „theresianischen“ Klugheit betrachtenden Gesprächs-

Partnerin verträgt er nur schwer:

„Meine Senhsucht, Sie wieder zu sehen, und der Wunsch, keinen der wenigen Tage zu versäumen, welche Sie noch in der Gloriettegasse zubringen, ist so lebhaft, daß ich Sie, mit Ihrer Erlaubnis, doch morgen früh um ‘/tí Uhr besuchen möchte. In dieser Absicht bestärkt mich Ihre gütige Frage und Aufopferung von heute früh und das Zureden der Kaiserin, die auf meine Gesellschaft beim Frühstücke verzichtet."

Hermann Bahr nannte Katharina Schratt, einmal „die letzte Meisterin des Plausches“, einer Kunst, bloße, alltägliche Redseligkeit durch Charme zu sublimieren, Gescheitheiten und Belangloses miteinander zu verflechten und über aphoristische Schnörkelbrücken vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Das leichte Streifen ernster Dinge und scheinbar oberflächliche Hinweggleiten über tiefere Bedeutungen. Und eine Portion resoluten Beharrungswillens, wo es nötig ist. Der morgendliche Plausch im gedämpften Licht des eichenbraun vertäfelten kleinen Ecksalons der Villa war der seltene Moment, in dem sich höfische Etikette und großbürgerliche Häuslichkeit berührten.

Am Rand des Gartens gibt es sogar ein Schratt-„Denkmal“, allerdings ein ganz kurioses. Das Gittertor ist nach barocker Manier von zwei kleinen tönernen Sphinxen flankiert, mit Löwentatzen, den Busen natürlich im Faltenwurf ver- verhüllt, denn das eine der Fabelwesen trägt den Porträtkopf der Gnädigen Frau, unverkennbar an ihrer feschen Stupsnase. Die andere antikische Torhüterin ist die Tragödin Charlotte Wolter, die ja auch ganz in der Nähe, nämlich in der Trautt- mansdorffgasse wohnte. Wer diese beiden absonderlichen Bildwerke in Auftrag gegeben hat, bleibt ungeklärt. Der Kaiser selber besaß zwar im Grund Humor, doch als ritterlicher Kavalier wäre er sicherlich nie auf solch eine allegorische Groteske verfallen. Überhaupt: die sanguinische „letzte Meisterin des Plausches“ ausgerechnet als rätselhaft schweigende Sphinx, welch ironische Anspielung!

Immerhin, so kam Hietzing zu zwei Mini-Monumenten, wohl den seltsamsten von ganz Wien. Freilich als Geheimtip weniger Kenner unentdeckt, denn die Schratt-Villa ist keine offizielle Gedenkstätte, kein Museum im weiteren Sinn, wie interessierte Spaziergänger oft vermuten.

Aber während eingesessene Wie-

ner ungerührt bedeutende, typische Bauten des 19. Jahrhunderts opfern, während um den Bestand von Ringstraßenpalais oft fast gerauft werden muß und die Mentalität der Großstadtprovinz sich in wahrhaft verheerender Weise breit macht, setzte der jetzige Eigentümer der Schratt- Villa, ein Stuttgarter Kaufmann namens Hans Hopf, im stillen eine Tat privater Denkmalpflege. Bei ihm und seiner Frau ist das schönste Landhaus von Alt-Hietzing in guter Hut. Die beiden ließen es allmählich Stück für Stück innen und außen einfühlend restaurieren. Jeder einzelne fixe oder bewegliche Originalteil blieb erhalten und an seinem Platz. Um den alten Gartenzaun mußte sich ein Kunstschlosser bemühen, ja selbst der ornamentierten blechernen Fensterflügel des Kellergeschosses nahm sich ein geübter Spengler an. Wo in den Interieurs Lücken entstanden waren, wurden sie durch kostbare Möbel und Antiqui

täten geschlossen. Unverändert der historische Frühstückssalon mit dem figurenreichen Gemälde „Konzert vor Kaiser Leopold I.“ eines kostümkundigen Malers aus dem Makart- Kreis.

Im Vertrauen gesagt: vieles in diesen Räumen ist heute wahrscheinlich schöner und stilvoller, mit feinerem Empfinden auf die Atmosphäre des Baues abgestimmt, als zu Zeiten der Gnädigen Frau. Wie gut paßt etwa die erlesene französische Empire- Einrichtung in die Gloriettegasse. Die hat erst Hans Hopf mitgebracht. Wahlwiener geben ein Beispiel kultureller Pietät. „Wenn wir hier alles bewahren, dann geschieht es nicht nur für uns, sondern auch für diese Stadt, unsere zweite Heimat“, meint der Hausherr, ein Schwabe vom Geist Hermann Hesses.

Hätte die Denkmalpflege eine Verdienstauszeichnung zu verleihen, dieser unser Landsmann aus Stuttgart Wäre ein würdiger Kandidat!

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