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Figurinen aus Österreich

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„BITTE, NICHT PUPPEN", verbessert der Hausherr sanft die Frage eines Journalisten: „Figurinen...!“ Einige Presseleute notieren: Figurinen ... Miniaturabbilder der Wirklichkeit... Verkleinerte Nachbildungen der Vergangenheit ... Aus Holz und Draht und Stoff geschaffene Kostümkunde für Kenner ,..

Die Presseleute waren zu Helmut Krauhs gekommen, um eine soeben fertiggestellte Kollektion von fünfzig, etwa dreißig Zentimeter kleinen Kriegern zu besichtigen, die demnächst im Heeresmuseum die Entwicklung der österreichischen Uniform veranschaulichen werden: vom Dreißigjährigen Krieg an bis zur Zeit Vater Radetzkys, vom zusammengewürfelten Kriegskleid ebenso zusammengewürfelter Söldnerhaufen bis zu des Kaisers Rock, vom Schützenhäubl bis zum Tschako, von der Partisane bis zum Infanteriesäbel. Im Auftrag des Unterrichtsministeriums, zur Belehrung (den Uniformentwerfern des Bundesheeres wärmstens empfohlen) und zur Erinnerung an den Zauber jener Montur, in deren Tournister noch die Ritterlichkeit zu finden war, nicht bloß die Entschlossenheit, den Gegner zu vernichten.

Da stehen sie nun in malerischen Gruppen zu zweit, zu dritt, zu viert, geschmeidige und zierliche Symbole einer farbenprächtigen romantischen Vergangenheit, kleine drahtige Racker einer minuziös und kunstvoll zum Leben erweckten Heeresgeschichte ohne Atomsprengkopf:

Musketiere und Pikeniere im Brustharnisch und mit der kaiserlichen Schärpe, martialische Husaren, deutsche Füsiliere im grauen Rock, schmucke Baranyay-Dragoner in ihrem Lederkoller, weiße Infanteristen, Ulanen, erkenntlich an der Czapka. Wer näher hinblickt (und wer tut das nicht), dem erschließt sich der ganze Reiz einer zutiefst schöpferischen Präzision: ein Arsenal en miniature aus Hellebarden und Spontons, aus Bärenfellmützen und Kartuschen, Kürassen und Raupenhelmen, Musketen und Bajonetten — naturgetreue Transponierungen historischer Vorbilder in eine wehrhaft-träumerische Welt des kunstvollen Details. Ein Arsenal der Echtheit. Jener Echtheit, die den Künstler charakterisiert.

„WIR SCHENKEN UNS NICHTS“, sagt Helmut Krauhs, der Schöpfer dieser bereits weit über tausend Köpfe zählenden anmutig-bunten Sippschaft, und mit dem „wir“ sind seine liebenswürdige Gattin und Frau Berith Hausleitner gemeint, deren beider tatkräftige Assistenz ein Lebenswerk aufzubauen half. „Der Arbeit an den Figurinen gehen, lang bevor Hand angelegt wird, umfangreiche Studien an der historischen Vorlage voraus: Die Beschaffung des wissenschaftlichen Rüstzeugs beansprucht meistenteils den größten Teil der Arbeitszeit.“ — Und dann wird nicht ohne Stolz (aber mehr noch mit der Genugtuung der gestaltenden Gewissenhaftigkeit) darauf verwiesen, daß jeder Knopf auf dem rechten Fleck sitzt, daß jede Verschnürung, jede Quaste originalgetreu ist, daß jeder Aufschlag verbindlich den alten Regimentsfarben entspricht. Die filigranen Säbel kann man aus der Scheide ziehen, die im Kleinstformat nachgebildeten Gewehre könnten abgefeuert werden — und die Uniformen werden meistens aus echten, zeitgenössischen Stoffen geschneidert. Bastelei? Gewiß. Aber eine der einzigartigsten der Welt.

nr Der Blieb Fällt auf die liebevoll geschnitzten Köpfe: ein leiser Hang zur rustikalen Charakterkomik, zur karikaturistischen Typisierung ausgeprägter Individuen. Kein Gesicht gleich dem anderen, jedes Figürl steht mit dem Gewand und mit der Zeit und mit dem Milieu, aus dem es stammt, in nahezu „menschlicher“ Beziehung. Bei den „Kaiserlichen" (kein Schema, sondern verlebendigter k. u. k. Schematismus) erkennt man in der Tracht des Ulanen eindeutig den Stolz des Polen, in der Attilla des Husaren den schnauzbärtigen Ungarn, im pittoresken Kriegskostüm des Grenzers den entschlossenen Kroaten. Bei den in großer Zahl vertretenen „zivilen“ Kostümfigurinen aber spiegeln sich Gotik, Ba-

rock und Rokoko im Schwung der Lippen, im Bogen der Brauen, im Augenaufschlag reizvoller Frauenantlitze ...

HELMUT KRAUHS war Offizier: geboren in einer ungarischen Garnisonsstadt, Akademie in Wiener Neustadt, Artillerist. Ab 1931 aktiver Dienst im Bundesheer, Abschied im Range eines Hauptmanns. Wir fragen nach den Ursprüngen der künstlerischen Werkstatt: Seit wann? Was führte Sie dazu? Was veranlaßte Sie, historische Figuren zu erzeugen? (Der Schluß der letzten Frage ist von einer Geste der Entschuldigung begleitet, denn das Wort „erzeugen“ paßt nicht in dieses kultiviert-bohemiene und jeder Massenerzeugung abholde Atelier.) Die schlichte Antwort lautet: „Ich weiß nicht recht. Früher einmal war es Liebhaberei. Freude am Handwerk, Liebe zur soldatischen Tradition, private Studien der Kostüm- und Trachtenkunde. Dann, 1945, schleppte mich in Wels, wo mich das Kriegsende und der .Totalverlust’ der Existenz erreichte, ein Freund in eine Ausstellung. Ich sollte meine Bastelarbeiten der Oeffentlichkeit zeigen, schrieb aber zur Vorsicht .unverkäuflich’ darunter. Die erste .Nachkriegsfigurine’ war ein Don Quijote: eine Linzer Kunstgalerie kaufte ihn an. Das war der Anfang.“

Ein Jagddiorama für das „Haus der Natur' in Salzburg folgte, daraufhin Theaterfigurinen und Szenerien aus Salzburger Festspielaufführungen: die Tafelrunde des „Jedermann", „Don Giovanni“, die „Entführung“. Die Arbeiten der ersten Jahre wanderten bis zum letzten Stück ins Ausland. Seit 1946 lebt Hauptmann Krauhs wieder in Wien, in einem gemütlichen Heim im dritten Bezirk. Privatkäufer und öffentliche Aufträge stellten sich ein: an das Donaumuseum in Petronell ging ein riesengroßer Donauschiffszug, ins Rainer-Museum eine Serie der k. u. k. Uniform bis 1914, ins Museo Navalę in Venedig Figurenminiaturen aus der Geschichte der venezianischen Marine, im Dienste der Fremdenverkehrswerbung reiste ein Mozart-Figurinenzyklus, und die Regierung bestellte Geschenke für Mrs. Truman und die Alliierten Hochkommissare (um nur einige prominente Besitzer Krauhsscher Figuren zu nennen). Eine größere Anzahl von Kostümfigurinen wanderte in die international bekannte Sammlung Frau Hallers in Schweden; zahlreiche Privataufträge aus Paris, London, den USA, Mexiko und Israel bekunden den starken Widerhall in aller Welt. Kürzlich kam eine Anfrage aus Detroit: Eine Amerikanerin verlangte ein Porträt Papst Pius’ X. Sie bekam es.

„Bei mir kann man alles haben“, sagt Figurenbildner Krauhs und lächelt ernsthaft: „Von der Büffeljagd in der Prärie bis zum römischen Legionär, vom mittelalterlichen Fahrzeug bis zum spanischen Granden, vom gotischen Harnisch über die Nachbildung eines alten Geschützrohres bis zum Alten Fritz, vom Rokokotheater bis zum Kaiserjägeroffizier in ,Salonadjustierung'. Arbeitstag von acht Uhr morgens bis vierundzwanzig Uhr.“ Spezialgebiet und ein zur Zeit unerreichbarer Lieblingswunsch wäre die Anfertigung einer großen Weihnachtskrippe - „aber so etwas dauert ein bis zwei Jahre — und das bezahlt niemand".

„DER FELDHERRNHÜGEL" und. die ..Fronleichnamsprozession" im kaiserlichen Wien waren vor wenigen Jahren die Sensation am Graben: Zwei historisch getreue Figurinenszenerien monarchisch-militärischen Gepränges, die in der Auslage der Spielwarenhandlung Keber ausgestellt waren. Die Passanten blieben stehen und betrachteten versonnen das spielerische Abbild der „guten, alten Zeit", die jugendliche Stammkundschaft der Spielwarenauslagen wurde von ihren Großvätern verdrängt. Zwei ältere Herren standen im Gedränge, der eine sagte: „Das muß im Siebenerjahr gewesen sein. Im Siebenerjahr waren die Varasdiner in Wien.“ Und eine greise Vertreterin des Ancien regime kam zu Hauptmann Krauhs ins Atelier und bestand darauf, eine der Figürln zu erkennent „Der dritte hinter dem Kaiser, der Kämmerer, den kenne ich persönlich ... !“

Wir fragen nach dem Werkzeug: „Weniger, als Sie glauben“, lautet die Antwort. „Laubsäge, Schere, Raspel, Löter — und allem voran ein gewöhnliches Taschenmesser." Der schöpferische Fundus aber sind die im Laufe eines Lebens zusammengetragene Bibliothek, ein umfangreiches Wissen und das intensive Einfühlungsvermögen in verträumte, alte Welten: In die Zeit, die einmal war — und die in der Künstlerwerkstatt Helmut Krauhs’ zum Leben erweckt wird. Zur wissenschaftlichen Erforschung und zum Gedenken.

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