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Supermarket der Militärhistorie

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Leger lehnt sich der Reserveoberleutnant Egon Edwin Kisch an den Soldatenrat Leo Rothziegel. Das grobkörnige Photo stammt aus den Umsturztagen des Jahres 1918, ist gleichsam gesprenkelt mit der Patina längstvergangener Authentizität. Beim Deutschmeisterdenkmal hatten die beiden die „Rote Garde“ gegründet, in der Stiftskaserne etablierten sie eine feldgraue Karawanserei für ihren Haufen der Desperados, Deserteure und Deklassierten. Rasch verwehte der Spuk der roten Kokarden: die neuformierte Volkswehr, das Übergangsmilitär, saugte die marodierenden Sowjetösterreicher auf und schickte sie bald nach Hause. Kisch begann im Ausland wieder sein rasendes Reporterleben, der Genosse Rothziegel eilte Béla Kun zu Hilfe und fiel im Kampf gegen die Rumänen.

Das Heeresgeschichtliche Museum, das im Vorjahr mit seiner Ausstel-

lung „Von der Luntenmuskete zum Sturmgewehr“ eine durchaus gelungene, auf Waffen spezialisierte Musterkollektion bot, tat nun, bei der wesentlich breiter gelagerten Thematik „1918—1968 — Die Streitkräfte der Republik Österreich“ einen weiteren Schritt zu origineller museologischer Präsentation. Nach hauseigenen Ideen, die einem gewiegten Messearchitekten alle Ehre machen könnten, wurde die heimische Militärgeschichte des letzten halben Jahrhunderts keimfrei verpackt. Die Dokumentation wird zum Supermarket der Historie.

Plexiglas schirmt Problematisches ab gegen der Parteien Haß und Gunst. Ob richtig oder falsch — so war’s. Letzte Trommelfeuer und erste Parlamentäre. Eine Volkswehrkappe mit dem brennroten Sowjetstern, in dem der einzige Träger alles Heil erblickte. Das Jahr 1934:

großformatige Dokumentarphotos, davor ein schweres MG mit eingezogenem Gurt und einem Kordon von Pflastersteinen, Symbol der inneren Wirren. Ob richtig oder falsch — so war’s.

Der Großteil der Exposita aus den eigenen Beständen. Dazu als Ergänzung Leihgaben von privater und offizieller Seite, auch aus dem Ostblock. Beim Heeresgeschichtlichen Museum gibt es das Eisbergphäno- men aller ständigen Schausammlungen: Man sieht nur die Spitze, darunter aber liegt der Fond des im Depot und im Archiv Verwahrten. Nun kommt vieles davon ans Scheinwerferlicht. Auf Kuben aus schmalen Vierkantrohren ruht der Turm eines der Straßenpanzerwagen der Kärntner Abwehrkämpfer. Alles übrige von dem Fahrzeug ist verrottet und verschrottet. Nur der Turm blieb übrig, improvisiert wirkend und ungefüge wie alles technische Gerät am Öeginn langer Entwicklungsphasen. Ein Teekessel mit MG- Lauf. In England kam dieser Straßenpanzer vom Fließband, in Galizien erbeuteten ihn österreichische Truppen, nach den Kara- wankenverteidigem fuhren noch Gendarmen und Soldaten des Bundesheeres damit. Habent sua fata ...

Habent sua fata: Das gilt überhaupt für die dargestellte Epoche und die Menschen, die in solches Gesamtschicksal gestellt sind. Mitten unter den Stabsoffizieren, die 1923 in alten Blusen mit neuen Litzen für eine Gruppenaufnahme posieren, sitzt ein Tellerkappenträger mit bärtigem Charakterkopf: Oberst Theodor Körner. Vor ihm, fast Schulter an Schulter, Oberstleutnant Alfred Jansa. Als dieser Alfred Jansa Jahre später zum Generalstabschef des Bundesheeres aufsteigt, sind aus den Kameraden politische Gegner geworden.

Ein besonders interessanter Teilaspekt des so gründlich durchdachten und erarbeiteten Konzepts: „Das Erbe der k. u. k. Wehrmacht in den Nachfolgestaaten.“ Aus zwingender Notwendigkeit übernehmen Tschechen, Ungarn, Polen und Jugoslawen nach 1918 Material aus dem Nachlaß der Monarchie. Doch auch Stilmerkmale retten sich in die neue Epoche: bei den Tschechen die Randbordüre der Fahnen und die roten Dragonerhosen, bei den Ungarn die Rang- und Gradabzeichen und, nunmehr husarisch aufgezäumt, die einstige Offizierseleganz. Eine Gene- ration später nähen sich auch die mit den Deutschen verbündeten Slowaken und Kroaten wieder Distinktionen nach altösterreichischem Vorbild 'an den Kragen. Alte Verbundenheit, Nostalgie? Schon immer war die Uniform auch Ausdruck kollektiver psychischer Haltungen.

Der Uniformkundler kommt überhaupt auf seine Rechnung, bei den Originalstücken und den Figurinen. Geheimtip: die Adjustierungsprojekte von 1937/38!

Sparsame Anordnung der Objekte auf stehenden Riesenscheiben. Statt der Respektabstand gebietenden Vitrine, des musealen Reliquienschreines, ist die geschickte Kompo sition der Messekoje das Maß aller Dinge. Glück und Ende des Generals Wilhelm Zehner wird an weni gen Erinnerungsstücken und Dokumenten deutlich: der Säbel und die Auszeichnungen, der Aufmarschplan der österreichischen „Westarmee“ an der Traunlinie für den Kriegsfall „DR“ (Deutsches Reich) und schließlich ein Gemälde. Eine biedere Pinselet, wie sie damals in zahllosen gutbürgerlichen Wohnzimmern hingen. Hier aber wird das Expositum zum Beweisstück. In der Essig-und-öl-Landschaft klafft ein Einschuß. Die anderen Kugeln trafen besser, damals in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938.

Heute fast vergessene Ansätze zur Aufstellung österreichischer Streitkräfte im Jahr 1945 sind ebenso gut dokumentiert wie der Aufbau der Gendarmerie. Etwas unverbindlich geriet der aktuelle Teil über das neue Bundesheer, doch da rundet die unmittelbare Anschauung draußen in der alltäglichen Praxis das Bild.

Schließlich der Katalog: eine ausgezeichnete, fast 500 Seiten starke österreichische Heereskunde des erfaßten Zeitraums. Wie Ludwig Jedlickas „Ein Heer im Schatten der Parteien“ ist auch diese Publikation Pflichtlektüre für jeden an unserer Militär- und Zeitgeschichte Interessierten.

Die Sonderschau soll bis mindestens Herbst 1969 geöffnet bleiben. Könnte man daraus nicht einen permanenten Saal des Museums machen, bei so viel Mühe, die den Aufwand so reichlich lohnt?

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