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Wachparade der „Vier“

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15. MAI 1955. Während im Oberen Belvedere der Staatsvertrag unterzeichnet wird, steht auf dem Schwarzenbergplatz, beim Portal des Industriehauses, damals Sitz des Alliierten Rates, ein amerikanischer Soldat auf Wache. Den Rand des olivgrün lackierten Helmes in die Stirne geschoben, im Halsausschnitt der hüftlangen Uniformbluse das adrett gelegte Seidenhalstuch in der hellblauen Waffenfarbe der Infanterie, am Webgürtel die Pistolentasche, und die Hose straff in die blankpolierten Schuhe mit den strickleiterartig geschnürten weißen Schnürriemen gespannt.

Seine Uniform war den Wienern ebenso vertraut wie die khaki Battledress. der Briten, die Ru-baschka der Sowjetarmisten und die farbigen Käppis der Franzosen. Sah man sie doch auf Schritt und Tritt in allen Straßen, einmal als Passanten, dann wieder stramm in Reih und Glied mit geschultertem Gewehr, bei der allmonatlichen Wachablöse, die in den ersten Jahren der Besatzungszeit vor dem Justizpalast, später aber vor dem wesentlich eindrucksvolleren Hintergrund des Prinz-Eugen-Monuments und der Neuen Hofburg stattfand. Dort boten die Vier in genau geregelter Abfolge dem Publikum unter Marschmusikbegleitung das Schauspiel alliierten Zaubers der Montur. Es gab richtige Wachparaden-Habitues, die das Erscheinungsbild der einzelnen Ehrenkompanien mit kritischem Blick betrachteten und Mutmaßungen über deren Truppenzugehörigkeit oder, über Sinn und Bedeutung mancher augenfälliger Einzelheiten der Adjustierung anstellten.

FÜR DEN UNIFORMKUNDLER, der sich bemühte, das Gesehene methodisch zu erfassen, zu bestimmen und ganz privatim aus Sammlerleidenschaft zu archivieren, sind diese zehn Jahre zwischen 1945 und 1955 ein Kapitel militärischer Kulturgeschichte. Die britischen und amerikanischen Kommandos waren übrigens bereit, dem Interessenten Einlaß in ihre Kasernen zu gewähren, wenn sie sich von der Harmlosigkeit seines Vorhabens überzeugt hatten, ließen ihn Uniformen und Beiwerk bis zr*n sprichwörtlichen letzten Knopf skizzieren und photo-graphieren. So konnte vieles, was bei der Wachparade nur flüchtige Impression war, mit allen Details festgehalten werden.

EIN KURZER RÜCKBLICK zeigt ein recht vielgestaltiges Bild mit sehr unterschiedlichen Charakteristika und Stilformen, in denen sich die nationalen aber auch die wesensmäßigen Eigenarten der vier Besatzungsmächte ausprägten.

Wer sich heute den Typus des Rotarmisten der April- und Maitage des Jahres 1945 ins Gedächtnis rufen will, der sehe sich die beiden Figurengruppen auf der Kolonnade des Russendenkmals an: Über die Rubaschka, die fahlerdbraune Zeltblattpelerine, sehr häufig statt der Stiefel Wickelgamaschen, die nicht selten um feldgraue oder gar NSDAP-braune Beutehosen gewunden waren, doch an der Brust die Medaillen am traditionell fünfeckig gelegten Band, für Gardetruppen überdies rechts das emaillierte „Gwardija“-Abzeichen mit dem roten Banner. Die Offiziere in Röcken mit farbigen Vorstößen um den Stehr kragen und die Ärmelaufschläge. Die goldenen Offiziersachselstücke belebten die Monotonie lehmiger Schattierungen. Als Farbflecke kornblumblaue und papageiengrüne Tellerkappen. Die nahm man besser nicht allzu nah in Augenschein, denn sie gehörten MWD-Wach- und -Grenzsoldaten.

Als sich die Verhältnisse konsolidierten, schickte Stalin seinen nunmehrigen „Sowjet“-Armisten friedensmäßige Achselklappen in Waffenfarbe, robuste Schaftstiefel und schließlich auch olivgrüne Waffenröcke für Paraden. Die blütenweißen Handschuhe und der Offizierssäbel, die: „Schachka“, zeigten, daß man auf Form und Tradition hielt. Und die sehr stark besetzte Musikkapelle mit weinroten Rabatten vor der Brust und dunkelblauen Flatterhosen, den ragenden Schellenbaum über dem Marschblock, wetteiferte an Klangfülle mit den Sousaphon-bestückten Bands der Amerikaner.

WEISSBEHANDSCHUHTE OFFIZIERSHÄNDE lagen ineinander, wenn die Russen die Amerikaner ablösten oder umgekehrt. Die US-Garnison in Wien bestand, namentlich in den fünfziger Jahren, größtenteils aus Militärpolizeieinheiten. Schon unter General Mark W. Clark war für die „United States Forces in Austria“ ein eigenes Ärmelabzeichen, das „USFA-Patch“, eingeführt wor>den: der rotweißrote Schild mit einem dunkelblauen, von einem Lorbeerzweig umwundenen Schwert. An den gut gearbeiteten olivgrünen Garnituren der GIs. bemängelten

ält.fr* Wipnpr nur Hia lno-pre außerdienstliche Gürtellosigkeit. So mancher jüngere Wiener aber war bestrebt, durch Veribindungen zu den Besatzern eine def eleganten hellen Offiziershosen zu': ergattern, deren Beigeton einen Stich ins Lila hatte. Den waffenfarbigen Seidenschal—ein Rückgriff auf Traditionen der Indianerkriege — empfand man, wenn auch als unmilitärisch, so doch als fesch. Die Parka, jener bequeme Kapuzenmantel aus Baumwoll- oder Perlongewebe, den heute Rollerfahrer und unmotorisierte Bohe-miens als praktisches Kleidungsstück schätzen, gehörte übrigens bereits Ende der vierziger Jahre zur Uniformierung der amerikanischen Militärpolizei. Bei den „Accessoires“ spielte man den Effekt des reinen Weiß aus: weiße breite Kappenriemen, weiße geflochtene Pistolen-schnüre, für MP-Posten weiße Gürtel und schließlich zur Gänze weiße Tellerkappen.

DIE BRITEN LIESSEN sich ihre militärischen Manifestationen in Wien einiges kosten. Sie konfrontierten das Publikum mit den äußeren Zeichen ihrer vielschichtigen und auf Korps- oder Regimentsbasis sehr individuell gepflegten Überlieferungen. Schon im Sommer 1946 veranstalteten sie in Schönbrunn einen „Tattoo“, einen Zapfenstreich mit einem Großaufgebot an Musikkapellen, wobei auch die Dudelsackpfeifer irlscher Füsilierregimenter in ihren einfarbig orangegelben Kilts in Erscheinung traten. Für die Reiterspiele wurden sogar „Füll Dress“-Garnituren, also etwa Galauniformen aus England, geliefert, um die 16th/5th Lancers und die Gloucestershire Hussars im Viktorianischen Glanz zu zeigen. Anderseits gestattete man den britischen Truppen in Österreich in der Zeit zwischen Pfingsten Und Anfang September statt der Battledress die hellkhaki Tropenuniform mit langen Hosen oder Shorts, Kniestrümpfen und Gamaschen zu tragen. Schnauzbärtige Infanterie-Sergeants legten zum Dienst die vorschriftsmäßige scharlachrote Umhängschärpe an und klemmten den Sergeants-Stock mit dem Silberknauf unter den Arm. Den Musikkapellen und Tambourkorps wurde ihre komplette traditionelle Ausrüstung in die Wiener Garnison nachgeschickt, samt Tambourmajorsstab und reichbesticktem Bandelier, Trommeln mit dem aufgemalten Regimentsabzeichen und den spektakulären Leo-

pardenfellen für die „Tenor Drummers“, die Paukenschläger. Ab 1952 wurden die Kapellen sogar in die „No. I Dress“, eine dunkelblaue Uniform mit Stehkragen und farbigen Abzeichen, eingekleidet.

Auch mit schottischen Einheiten machten die Wiener Bekanntschaft, zuerst, bald nach dem Krieg waren es die Argyll & Sutherland Highlanders, später 1 die, Queen's Own Cameron Highlanders. Betrat man vor einer Parade das Quartier der Tambours der Cameron Highlanders, dann fühlte man sich plötzlich in die Viktorianische Epoche versetzt. Nicht ohne Grund: denn die scharlachroten schottischen Waffenröcke, die „Dou-blets“, aus unverwüstlichem Tuch, stammten tatsächlich noch aus der Zeit um 1900 und hatten Mottenfraß und Blitzkrieg unversehrt, wenn auch gewendet, überstanden!

BEI DEN FRANZÖSISCHEN Besatzungstruppen fiel die große Zahl von Militärbeamten und anderem Verwaltungspersonal auf. Aktentaschenschlenkernd gingen sie durch die Straßen, wie heute die Bundes-heeresangehörigen. Als Kombattanten lösten einander verschiedene Bataillone der Chasseurs alpins, der Alpenjäger, ab. Seit dem Ersten Weltkrieg hatten sich die Chasseurs geweigert, ihre blaue Uniform abzulegen, hatten die horizontblaue und dann die khaki Kluft verschmäht und die Nation würdigte diesen stolzen Korpsgeist. Auch nach 1945 blieb das Privileg gültig, nur im Schnitt mußten sich die Chasseurs nach der neuen einheitlichen Uniform richten. Und so defilierten sie in Wien jahraus, jahrein in Dunkelblau, mit dem großen Beret, den zitronengelben Vorstößen an der Hose und dem Jägerhorn • auf dem rhombenförmi-gen Truppenabzeichen am linken Ärmel. Den Militärpolizeidienst der französischen Besatzungsmacht versahen Detachements der Garde Repu-blicaine Mobile und der Gendarmerie, in Khaki, mit Käppi und weißen Gamaschen. Die Villa des Hochkommissars General Bethouart, draußen in Hütteldorf, aber bewachten Tirailleurs marocains, malerisch mit ihren weißen Turbanen und den mit Pfeifenton geweißten Gürteln über den hochroten Leibschärpen. Visierte man einen dieser Marokkaner mit der Kamera an, dann hob er die weiöbehandschuhte Hand und rief: „No, no, nix, nix!“ Worauf meist ein flnsterblickender Caporal-Ohef erschien und den verdächtigen Zivilisten seiner Wege gehen hieß.

AM 27. JULI 1955 marschierten sie zum letztenmal auf, zogen über den Schwarzenbergplatz, zwischen dichten Zuschauerspalieren: amerikanische Militärpolizei, sowjetische Gardeinfanterie, eine Kompanie des Mlddlesex Regiments und Chasseurs alpins. Plötzlich wurden im Publikum einige Stimmen laut: „Das Bundesheer! Das Bundesheer!“ Alle reckten die Köpfe. Doch das „Bundesheer“ entpuppte sich als eine Abteilung von Polizeischülern aus der nahen Marokkanerkaserne. Sie hatten die sonst nie in der Öffentlichkeit getragene Innendienstgarnitur aus khaki Zwilch an und kamen als Verstärkung für den dünnen Kordon der Polizisten...

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