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Wildverwegene Monturen

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ALS „WEISSES MEER“ SAH DETLEV VON LILIENCRON, 1866 preußischer Infanterieleutnant, später in dichterischer Rückschau die österreichische Infanterie, „des Feindes wunderbares Heer“. Daß der norddeutsche Junker, der Österreich lieben lernte, in seinen Versen auf den sprichwörtlichen weißen Waffenrock anspielt, mag als poetische Freiheit gelten, die Historie zeigte jedenfalls gedämpftere Farben in den Kolonnen der kaiserlichen Regimenter, damals im heißen Staubigen Sommer 1866.

Da war der Mantel, der aus derbem, unverwüstlichem grauem Stoff, vom Regen genäßt, von der Sonne wieder getrocknet, auf viele Jahre Tragedauer berechnet, bocksteif wohl und rauh über dem Hemd, denn Zwilchleibchen oder gar Waffenrock trug der Infanterist während der warmen Jahreszeit nicht darunter. Zum Unterschied von den Husaren und den Ulanen, die im leichten lohfarbenen Zwilchkittel mit umgehängter Attila beziehungsweise Ulanka ins Feld rückten. Der Mantel war die feldmäßige Bekleidung des Fußvolkes, vorne die Schöße nach innen geschlagen, um die Bewegungsfreiheit der Beine nicht zu hemmen. Über die Brust das bereits anachronistische gekreuzte weiße Riemenzeug.

Denkt man sich aber nun zu den nüchternen Farbangaben der Adjustierungsvorschrift dia,s flirrende Julisonnenlicht, den aufgewirbelten Staub der Schlachtfelder und die natürliche Abnützung und das Ausbleichen der Gewebe hinzu, dann ergibt die österreichische Infanterie bei Königgrätz und Custozza keineswegs ein „buntes“ Bild. Der Gesamteindruck mag der blaugrauer Angriffswellen gewesen sein, denn das Weiß des Leders und das Blau der Hosen wirkten wohl matter als bei der gebürsteten Parademontur und die schwarzen Tuchgamaschen der „deutschen“ Regimenter waren, wie die Schuhe, auf den Märschen sandig fahl geworden.

„Wir haben leider keinen Origi- nalmantel“, erklärt der junge Kustos des Heeresgeschichtlichen Museums, der für die Ausstellung „1866“ den uniformkundlichen Teil zu bearbeiten hatte. Also zeigt man einen feldmäßig ausgerüsteten Infanteristen im weißen Waffenrock, denn da sind, Stück für Stück, Originale erhalten. Der sachlichen Beschriftung ist die Erwähnung beigefügt, daß eigentlich der Mantel getragen wurde. So weit, so gut, doch leider am Charakteristischen vorbei manövriert. Der Wiener Hans

Nesselberger, einer der letzten genuinen Uniformzeichner — es gibt kaum noch welche in unseren Breiten! —, hat wohl für die Ausstellung eine Reihe guter aquarellierter

Uniformbilder geschaffen, doch welche dramatische optische Beziehung hätte sich ergeben, wenn man neben der adrett angezogenen Museumsfigur eine lebensgroße Reproduktion aus Rudolf von Ottenfelds prachtvollem dynamischen Blatt „Infanterie 1866“ angebracht hätte!

Ottenfeld hat nämlich ohne jede Heroisierung einfach den Front soldaten des Entscheidungsjahres gezeichnet, mit verschobenem Riemenzeug, achtlos aufgeknöpftem Kragen, den Tschako aus der schweißnassen Stirn gerückt. Aber dieses Blatt sucht man in der Ausstellung überhaupt vergebens, ebenso wie die atmosphärisch so dichte „Artillerie 1866“ desselben Künstlers. Sein Meisterwerk jedoch ist da: das Gemälde der zusammengeschossenen österreichischen Armeegeschützreserve nach der

Schlacht von Königgrätz weist mit seiner visionären Schau des vor einem schwefligen Horizont verdämmernden Abends über den vernichteten Batterien in symbolische Bereiche. Dies ist vielleicht das expressivste österreichische Kriegsbild eines Opfergangs vor Egger- Lienz’ „Sturmangriff“. Aber wer, außer einem kleinen Zirkel von Militärhistorikern und Sammlern, kennt schon den Ottenfeld?

MALERISCH LEGER trugen Erzherzog Albrecht und die Generalität der Südarmee die roten Brustklappen des hechtgrauen Waffenrocks geöffnet. Zu Radetzkys Zeiten war dies bei den Stäben allgemein üblich, ja man knöpfte den Rock oder früher den Uniformfrack sogar ganz auf und zeigte unter der schwarzen Halsbinde ein blütenweißes Hemd und eine helle Weste. (Dieser Zug zum Zivilistischen in der Uniform war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts übrigens nicht nur auf Österreich beschränkt: che preußischen Könige Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. etwa trugen ihre langen Interimsröcke wie Gehröcke, ebenso die amerikanischen Generale des Sezessionskriegs.) In ihrer Unmittelbarkeit künstlerisch und dokumentarisch gleicherweise bedeutsam: Sigismund L’Allemands Skizzen und Detailstudien vom südlichen Kriegsschauplatz.

VERWEGEN UND ROMANTISCH nahmen sich neben ihren noch dunkelgrün adjustierten Kameraden von den anderen Ulanenregimentern die erst 1860 formierten Trani- Ulanen aus. Bei denen gab es harte „K’leristen“ (Kavalleristen), wie den wortkargen Rittmeister Kasperlik von Teschenfeld, den Carl von Torresani in seiner Custozza-Er- zählung „Kropatsch“ verewigte. — Aber was heißt schon „verewigte“? Torresanis Werke verstauben in den öffentlichen Bibliotheken und das kleine, billige, neue Auswahlbänd- chen findet wenig Anwert, obwohl der schreibende Offizier aus welsch- tiroler Geblüt den Vergleich mit Ferdinand von Saar nicht zu scheuen brauchte. Doch dies nur so nebenbei.

Torresani, selbst Trani-Ulan, leitet seine Geschichte „Kropatsch“ mit einer anschaulichen Beschreibung dieser damals ungewohnten Uniform nach nationalpolnischem Vorbild ein: „ jene blaue Adjustierung Die Kragen waren umgeschlagen und mit Paroli versehen, die Pumphosen blau und ungeheuer lang, so daß sie bis über die halbe Wade hinabfielen. Von den Stiefelschäften ließen sie nur den unteren, ln hundert zierliche Palten gelegten

Teil sehen .., auf dem Kopf saß ein weiches viereckiges Mützchen ohne Schirm, Konfederatka genannt, mit einer ungeheuren Adlerfeder oben Die Offiziere überboten sich an Größe und Seltenheit ihrer Adlerfedern. Jene der Mannschaft freilich waren ziemlich unansehnlich. Sie stammten meistens von jener zahmeren Adlerart her, welche die Wiener ,Bockerln’ oder ,Indians“ nennen. Zu deren mit Güte oder Gewalt zu bewerkstelligender Rupfung streiften von Zeit zu Zeit sogenannte ,Federkommandos’ die benachbarten Bauernhöfe ab “

Ein rechter Haudegen wie seine Offiziere war der Kommandant der Trani-Ulanen Oberst Maximilian von Rodakowski. Ludwig Koch, der bekannte Pferdemaler der Wiener Jahrhundertwende, in den heißen Tagen von Königgrätz und Custozza noch ungeboren, hat in einem Gemälde von zwingender Dramatik den Augenblick vergegenwärtigt, da Rodakowski bei Custozza sein Regiment zur Attacke gegen die Bersaglieri führt: lebensgroß, auf schweißnassem Pferd, sprengt der Oberst durch sprühenden Staub in vollem Galopp direkt auf den Beschauer zu. Unter der schiefsitzenden, pelzverbrämten Konfederatka flattert das weiße Nackentuch, charakteristisch für die Südarmee. Hinter der zerzausten Adlerfeder aber weht — offenbar ein ganz persönliches Feldzeichen! — ein dichter Busch gelben sarmatischen Federgrases. Die Trani-Ulanen brachten eben einen Hauch östlicher Steppenreiterromantik unter Österreichs Fahnen.

Unter diesen Fahnen fochten aber 1866 auch noch Ausländer, wie einst zu Wallensteins Zeiten. In einer der Vitrinen ruht ein Kavalleriesäbel mit eingravierten Schlachtennamen. Er stammt aus dem Besatz des Amerikaners Horace Vaudrie Glent- worth, der alis Kürassierleutnant den Nordfeldzug mitmachte und 1903, vermutlich als ergrauter Stabsoffizier, in Wien starb

BETRITT MAN DEN MARINESAAL, wo die Exponate des Seekriegs von 1866 ausgestellt sind, dann erwartet man unwillkürlich als Zentralpunkt Anton Romakos

Gemälde „Tegetthoff in der Schlacht bei Lissa“, dieses faszinierende, in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts einzigartige Werk des genialen Künstlers. Doch das Bild hängt im Belvedere, und drüben im Arsenal zeigt man prinzipiell nur Objekte aus eigenem Museumsbesitz. Nicht einmal eine großformatige Schwarzweißreproduktion ist vorhanden. Schade.

In diesem Fall, wie in der ganzen Ausstellung, ersetzt die etwas trockene Seriosität der Darbietung die zupackende Dramatik der Gestaltung, die einem solchen Thema entspräche. Offenbar kam es zu keinem „Dialog“ zwischen Kustoden und Ausstellungsarchitekten

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