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Io ritorno

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Um zwei Uhr nachts hielt unsere kleine Radfahrerkolonne in Villafranca, an der Abzweigung der Straße nach Bagnon , dem paradiesisk gelegenen großen Lazarettort für den Frontabsknitt nördlich der Linie Spezia — Massa Carrara — Pistoia. Auch von den Partisanen wurde dieser Bezirk geachtet auf Grund von Verträgen, die in bestimmten Fällen, auk zum Austausk von Gefangenen zum Beispiel, mit dieser irregulären, unsiktbaren, aber oft genug mitten im eigenen Lager auftauchenden Kriegsmacht geschlossen wurden. Wir sollten das

Gros des deutsken Verbindungskommandos erwarten und saßen in einem dunklen Skuppen, die sklaftrunkenen Körper an Strohballen, Bänke und liegende Zugtiere gelehnt. Da knatterten die Lastkraftwagen heran, die die Kameraden brachten. Mank- mal waren sie geskwinder als wir, meist aber langsamer, da unsere Cicletten sik auch durch dichtes Gewühl zu winden und an langen Fahrzeugkolonnen vorbeizuflitzen vermochten. Immer aber waren die strapazierten Lastwagen mit ihrer Überfracht an Gepäck und Mannskaft mehr gefährdet als wir. Sie boten den Partisanen, mit deren Hinterhalt die ungeordnet zurückflutende, durch Fahnenflucht mehr als durch Verluste dezimierte Division überall rechnen mußte, ein gutes Ziel. Aus diesem Grunde war in Fivizzano jedem Wagen ein Ma- skinengewehrskütze zugeteilt worden.

Die Kameraden klommen von dem Gefährt und sküttelten die Mäntel und Kappen, auf denen der Staub fingerdick lag. Alle waren von den Kisten und Kasten heruntergeklettert, nur einer lag noch unbeweglich zwisken Gewehren und Handgranatenkästen. Hatte einer so gesunde Nerven, daß er Fahrt und Granatfeuer und Halt übersklief? Ich hob mich auf den Wagen und fand den Skläfer mit Zeltbahn und Mantel sorgsam bedeckt. Zwisken den Eisenskienen der Wagenplanken und an den friskgezimmerten Kisten hoben sich braunrote Flecke vom helleren Grunde ab. Dann brauche ich diesen Skläfer wohl nicht zu wecken?

Ik rief leise den Kameraden, der am nächsten stand. „Das ist der MG-Skütze“, gab er mir zur Antwort, „den wir uns in Fivizzano von der Division Monte Rosa ausgeliehen haben. Bei der Jagd durch Auila hat ihn ein Granatsplitter getroffen, ein tückiskes, feines Ding, das ihm die Hals- sklagader durkschnitt. Er ist uns auf dem Wagen gestorben. So ein skarfer Zack -n muß es gewesen sein.“ Und er wies mir sein Eßgeskirr, das ein ähnlikes Projektil durchfahren hatte. Da gewahrte ich auk, daß die Kameraden, vorsichtig rauchend, in bedrücktem Schweigen den Wagen umstanden. Sie waren nicht oder nicht mehr feuergewohnt, und da hatte „auf der Fahrt nach Hause" der Tod einen aus ihrer Mitte herausgegriffen, und zwar den, der zur Abwehr gerüstet stand, den Jüngsten unter ihnen.

Vor dem Morgengrauen fuhren wir in Villafranca ein und suchten uns in der jammervoll zerskossenen Stadt Quartiere. Die Wagen wurden in Tunnels untergestellt. Im leidlich erhaltenen Garten eines öffentlichen Gebäudes sollte dem Gefallenen die Ehre des Soldatenbegräbnisses zuteil werden. Gewehrträger waren für die Salve eingeteilt; ein Gefreiter, Zimmermann seines Zeikens, hatte aus Holzbohlen ein sklik- tes Kreuz gefertigt.

Da mir für die Nachmittagsstunde des Begräbnisses die Quartierwache zudiktiert war, nahm ich vorher Abskied von dem unbekannten Kameraden. In einem erhaltenen Raum der halbzerstörten Bahnhofsanlage ruhte der Tote. In der Hast und gesteigerten Bedrohung des Rückzugs hatte man nicht mehr Zeit und Aufmerksamkeit gefunden, ein paar Blumen oder immergrüne Zweige, Zeichen der Liebe, hinzulegen. Er war als Fremdling zu uns gekommen, er, der Sohn des Landes, zu uns Fremden. Auch eine Wache war nicht vorhanden.

Ik trat in den kleinen Raum, auf dessen kühlen Fliesen der Tote hart gebettet lag. In hohen Stiefeln staken kräftige Beine, die über den Knien leichte kurze Hosen kleideten. Es war zwisken Frühling und Sommer. Auch bei uns war die leichte Mon-

tur schon angekündigt gewesen. Italiener, die wie die abgelöste Monte Rosa in rückwärtigen Stellungen lagen, hatten sie schon erhalten.

So gekleidet war auch der lustige camerata gewesen, mit dem ich in der Vornacht in Fivizzano die Wache auf der Hauptstraße geteilt hatte. Ihm hatte der Krieg das Studium in Bologna unterbrochen. Auf meine volkskundlichen Neigungen aufmerksam geworden, hatte er mir von der Verbrennung des Bajazzo in Bologna und von ähnlichen Dingen des italienischen Jahresbrauches erzählt. Und dann hatte er wieder gepfiffen und gesungen und war die Straße hinabgetanzt in großmächtigen Stiefeln, mit nackten Beinen unter seinem dicken grauweißen Monte-Rosa-Pelz, den diese Division für ihre Frontstellung in Schnee und Eis der Appuanischen Alpen erhalten hatte. Er sah aus wie eine tanzende Marmotte oder wie der Bär, der in unserer heimischen Fastnacht am gumpigen Donnerstag den Maskeruzug der Kinder eröffnet.

An diesen Kameraden dachte ich einen Augenblick, aber dieser hier konnte es nicht sein, den jener Soldat hatte mir in kindlicher Mitteilsamkeit seinen grauen Monte-Rosa-Hut gezeigt, der auf grünem Band in roter Schrift, von seiner Hand gestickt, die Worte trug: „Mamma, io ritorno da te". Diese Devise am Hut war 6eine porta fortūna. Ganz fest glaubte er an seine Heimkehr und er sah, daß sie trotz den Schrecken des überstürzten Rückzugs in wenigen Tagen sich verwirklichen würde. Er hatte mir von seiner Mutter erzählt. Sie hatte ihren einzigen Buben seit Jahren nicht gesehen. Sie lebte in Lucca, nur wenige Kilometer von der Stellung des Sohnes entfernt, aber jenseits der Feuer- linie, bei den Amerikanern.

Die Ähnlichkeit der Kleidung zwang mich, bei dem toten Kameraden zu verweilen. Ich sprach für ihn ein Vaterunser, und es war in diesem Gebet wohl auch die Bitte für eigene glückliche Heimkehr. Ich forschte in den Zügen des jungen Gesichts unter dem dichten schwarzen Lockenhaar. Es trug das Gepräge von Jugend und Kraft, aber darin Merkmale wie von einem brutalen Griff oder Schlag. Nicht die Verklärung des Greisengesichts im Tode versöhnte hier. Als ob sich in der Sekunde des Getroffenseins alle Kräfte, Geist und Blut und Atem, in einer plötzlichen ungeheuren Stauung gegen das Tor geworfen hätten, das sich unerbittlich schloß, so war in dem Antlitz des jugendlichen Soldaten ein Widerstreit zwischen verzweifelter Abwehr und unerbittlicher Todesgewalt; eines Todes, der lebendig und geschäftig war und sein Werk zu Ende formte. Die Fliegen, die widerwärtig summten und sich im Mundwinkel und auf den Augenlidern des Gefallenen niederließen, sagten, wer hier regiere.

In Trauer, beladen mit der deutlichen Empfindung von Opfer, von Stellvertretung in allem Soldatentod, wollte ich den Raum verlassen. Da bemerkte ich, daß das Haupt des Gefallenen auf einen Hut gebettet lag, wie ihn alle Bersaglieri der Monte Rosa trugen. Der Wagenbegleiter hatte ja dieser Division angehört. Noch einmal an jene Ähnlichkeit gemahnt, trat ich näher. Der Überfluß der langen dunklen Haare bedeckte halb den Hut. Aber auf dem Bande konnte ich Buchstaben erkennen, das Wort „Mamma“ auf der einen, die Wörtlein „da te“ auf der andern Seite. „Mutter... zu dir.“ Es war wohl kein Zweifel, daß nur die Worte verdeckt waren, die von der irdischen Heimkehr sprachen. So, wie es jetzt zu lesen stand, war es wie ein Ausruf, wie ein geflüsterter Wunsch, der die Sicherheit des ganzen unverletzten Glücksspruches nicht mehr besaß.

Wie unter einem neuen Gesetz blickend, erkannte ich jetzt auch an anderen Zeichen meinen lustigen Wachkameraden von Fivizzano, den Studenten aus Bologna. Die wohlgemeinte Dienstbarkeit von Kameraden und wohl auch die Vorschrift wollen es, daß den Angehörigen Andenken an Gefallene zugestellt werden. Es konnte einer die Schrift auf dem Hutband beobachtet haben und daran denken, sie der Mutter zu schicken. Ich nahm Anlaß, mit den Kameraden zu sprechen, die bestimmt waren, den Gefallenen zu Grabe zu tragen, und bat sie, ihm Hut und Band mitzugeben. Als ich ihnen die Worte übersetzte, waren sie mit mir der Meinung, daß es besser sei, die Mutter erfahre nicht, wie kindlich, wie stolz und sicher, wie voll Sehnsucht gewiß ihr einziger Sohn die Devise des Lebens an der Stirne getragen.

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