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DIE BANDA KOMMT!

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“TV er volkstümlichste Typ der Musikkapellen war schon immer und ist bis heute noch die Militärmusik, wie sie als Krönung des militärischen Schauspiels der Wachablösung in der kaiserlichen Hofburg zu Wien als „Burgmusik“ in die Lokalgeschichte Wiens eingegangen ist. Die Wiener waren auf Musik immer wie versessen, und gar, wenn es eine Militärmusik war, dann kannte die Begeisterung keine Grenzen. Es lag aber auch etwas ganz Unnachahmliches in der Wiedergabe dieser flotten Märsche, wie sie auf der ganzen Welt unerreicht geblieben ist. Diese gewisse saloppe Art, mit der die österreichischen Musiker quasi aus dem Handgelenk heraus die Märsche spielten, war eben nur aus der Mentalität dieser Vollblutmusiker zu erklären, die, aus allen Nationalitäten zusammengesetzt, die Vorzüge und Vielseitigkeit eben aller dieser Nationen aufwiesen. Neben den Wienern und Österreichern aus den Alpenländern wären vor allem noch die Slawen als besonders gute Bläser zu nennen, die Tschechen, Polen, Kroaten, Slowaken, Slowenen, aber auch die Magyaren, aus welchen in der Hand erfahrener Militärkapellmeister dann jene Klangkörper wurden, werden mußten, deren Weltruhm wohlbegründet war. Namen wie Ziehrer, Komzak, Fucik, Wilhelm Wacek, Domansky, Hermann Dostal, um nur einige zu nennen, waren nicht nur für die Wiener ein Begriff und mit der österreichischen Militärmusik untrennbar verbunden.

Diese Art Musikpflege wird manchmal nicht ganz voll genommen — zu Unrecht! Beethoven und Schubert haben Militärmärsche geschrieben, Richard Wagner hat der Militärmusik öfter seine Anerkennung gezollt, auch Strauß und Lanner waren Militärkapellmeister! Wenn eine altösterreichische Regimentsmusik in ihren farbenprächtigen Paradeuniformen und mit den in der Sonne blitzenden Messinginstrumenten aufmarschierte, so war das allein für die Augen schon ein Hochgenuß, all diese rhythmischen Bewegungen wahrzunehmen; durch das taktmäßige Zusammenspiel wurde der Eindruck erst recht vollkommen harmonisch und ein in seiner Zusammenwirkung von Bild, Ton und Rhythmus ästhetischer Genuß für die Sinne, wie man sich etwas Besseres in dieser Art nicht vorstellen kann:

Voran schritt der Regimentstambour, früher mit vorschriftsmäßigem Vollbart, mit der schön gearbeiteten breiten Schärpe in den Regimentsfarben. An die Herkunft dieser Chargen erinnerten noch zwei Trommelschlegel en miniature, welche vorne die Schärpe zierten. Der Regimentstambour trug auch den Tambourstock mit dem blinkenden Knauf und der Schnur- und Quastenverzierung, der aber kein bloßes Paradestück war, sondern den Zweck hatte, der Kapelle das Zeichen zum „Einschlagen“, wie der Beginn des Spieles genannt wurde, zu geben, indem der Musikführer den Stock hochhob, Danauf begannen auf den linken Fuß die kleinen Trommeln einige Takte zu schlagen, bis Becken und große Trommel einschlugen, worauf die Bläser mit dem Spiel einsetzten. Sollte das Spiel beendet werden, so hob der Musikführer wieder den Stock hoch, um die Musiker darauf aufmerksam zü machen, daß sie aufzuhören hätten, sobald er den Stock senkte. Wurde nicht gespielt, so trug der Regimentstambour den Stock verkehrt, mit dem Knauf nach unten. Die größeren Instrumente hingen an gelben Gurten über die Schultern, Flügelhörner und Trompeten an Schnüren mit Quasten. Der Kapellmeister marschierte am rechten Flügel in der ersten Reihe mit, hatte aber während des Marschierens selbst keine Funktion.

Eine der besten und beliebtesten Militärkapellen der Wiener Garnison war die Regimentsmusik der „Bosniaken“. Hier muß kurz vermerkt werden, daß die Militärmusik, die Blasmusik überhaupt osmanischen Ursprunges ist. Zum Zwecke der Versorgung der Truppe mit Marschmusik sehen wir im osmanischen Reiche gegen Ende des Mittelalters bereits Formen von Militärmusik, wo bei uns nur höchstens Pauken und Trompeten üblich waren. Bei der neuformierten Leibgarde des Sultans produzierten die „Janitscharenkapellen“ eine bis dahin völlig neue Art von Marschmusik. Durch die Kriege zwischen dem Osmanenreich mit Ungarn, Polen und Österreich sind diese Kapellen auch in diesen Ländern bekanntgeworden, die auch bereits den Schellenbaum, den „Mond“, aufwiesen — ein deutliches Zeichen seiner Herkunft! Schon vor 1730 haben Polen, Österreich und Rußland diese Janitscharenmusik übernommen, in Österreich als erste das berühmte Pandurenkorps von Trenck, das 1756 in das 53. k. u. k. Infanterie-Regiment umgewandelt worden ist. Das war die erste Militärmusik im österreichischen Heer. Der Schellenbaum wurde bei uns erst 1860 abgeschafft. In Preußen dagegen spielte er offenbar eine solche Rolle wie bei uns das Pony, das das Trommelwagerl zieht....

Eine wesentliche Verbesserung dieser Art von Musik ivar indessen bereits in der Türkei selbst erreicht worden, wo ein Verwandter des italienischen Komponisten Donizetti mit Erfolg an dieser Reform beteiligt gewesen ist. Unter dem mächtigen Eindruck, den diese fremdartige Musik allenthalben hervorrief, haben Regenten umliegender Staaten sich von den Su'tanen zunächst solche Janitscharenkapellen im Original zur Verfügung stellen lassen. Aber bereits 1740 folgte Preußen diesem Beispiel durch die Errichtung einer Janitscharenkapelle bei einem Artillerieregiment. Die Bezeichnung „türkische Besetzung“ für Blas- beziehungsweise Blechmusik, wie sie im alten Österreich noch üblich war, um den Unterschied zur Streichotchester-besetzung darzutun, weist schon auf den Ursprung der Blasmusik hin.

Die Anfänge waren allerdings auch noch kümmerlich genug. Wenn in Wien vor der Kaiserburg Ende des 17. Jahrhunderts Standkonzerte mit zwei Schalmeien, zwei Klarinetten, zwei Hörnern, Trompete, Baßhorn, kleiner und großer Trommel üblich waren, so kann man sich denken, was bei der damaligen Unzulänglichkeit der Instrumente dabei herauskam. Immerhin war bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Höhepunkt in der Entwicklung der Militärmusik zu verzeichnen, als die Einführung der Kontrabässe mit Ventilen die bis dahin bestandene Baßkalamität überwand.

Noch vor hundert Jahren war praktisch kein Unterschied zwischen der österreichischen und der deutschen Militärmusik zu verzeichnen. Aber dann begann bei uns die Reform, welche unter weiser Beschränkung der Mittel eine bedeutende Verbesserung der Klangwirkung durch Einführung der spezifisch österreichischen Besetzung erzielte. Zunächst wurde der ganz überflüssige und mit dem unharmonischen Geschepper nur störende Schellenbaum abgeschafft, dem Triangel, Lyra, Oboe und Fagotte folgten. Die Erfindung der Helikonform für die großen und schweren Kontrabässe war entscheidend, sie wurden auch in deutschen Heereskapellen häufig verwendet, aber in der Hauptsache blieb man dort der Tuba treu. Auch die Verwendung der Instrumente weist größere Unterschiede auf. Man ging bei uns eigene Wege, was sich nur vorteilhaft auswirkte. Auch die gar nicht zweckentsprechenden Reiterkapellen wurden abgeschafft. Die Regimentsmusiken verblieben nur den österreichischen und ungarischen Infanterieregimentern, einschließlich der Tiroler Kaiserjägerregimenter. Erst knapp vor dem ersten Weltkrieg wurde auch wieder eine eigene „Landwehrkapelle“ aufgestellt, deren Mitglieder aber weiterhin die Gewehre tragen mußten und nur Blechblasinstrumente führten, die zum Teil eigens für diesen Zweck gebaut werden mußten (Bässe in kurzer, gedrungener Tubaform und dergleichen). Das gesamte Schlagwerk fiel weg, so daß diese Landwehrmusik den früher üblichen Kavallcrie-und Jägermusikkapellen sehr ähnlich war.

Die Beliebtheit der Militärmusik brachte es mit sich, daß an sie' oft mehr Anträge und Anforderungen gestellt wurden, als sie zu erfüllen vermochte. Besonders aus Anlaß der Fronleichnamsprozessionen war es Ehrensache jeder Pfarre, neben den Veteranen- und sonstigen Zivilkapellen auch eine Militärmusik zugewiesen zu erhalten, welche die Halbkompanie, die vor den Altären die Generaldecharge als Ehrenbezeugung leistete, begleiten mußte. Da half man sich eben durch Teilung der Regimentsmusik. Eine solche Abteilung der Regimentsmusik, die dann ohne Regimentstambour ausrückte, nannte man eine „kleine Harmonie“.

Wenn bei uns von der Militärmusik gesprochen wird, so denkt jeder an die Deuschmeister, weil die „Edelknaben“ das Wiener Hausregiment waren, vielleicht auch, weil heute noch eine Kapelle in der Uniform der alten Deutschmeister auftritt. Man würde aber Unrecht tun, in diesem Zusammenhang nicht auch anderer beliebter Militärkapellen zu gedenken, die zumindest ebenso gut waren wie die Deutschmeister. Ja, es gibt Leute, genaue Kenner der seinerzeitigen Verhältnisse, welche die Regimentsmusik der „Bosniaken“, des bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regimentes Nr. 1, das damals in Wien in der alten Aiser Kaserne logierte, als beste Marschmusik der Wiener Garnison bezeichneten. Zum Trost aller Wiener Lokalpatrioten sei aber verraten, daß das durchaus nicht immer alles lauter Muselmanen waren, die da unter dem roten Fez marschierten, sondern vielmehr ebenso gute und waschechte Wiener waren wie die Zuschauer. Denn die länger dienenden Unteroffiziere, die Musikfeldwebel, zogen vielfach nicht von Wien weg, wenn der Regimentsstab und damit auch die Regimentsmusik von Wien wegverlegt wurden, sondern ließen sich eben rechtzeitig zu einem anderen Regiment der Wiener Garnison transferieren, von welchem sie annehmen konnten, daß es möglichst lange in Wien verbleiben werde. Sie hatten meist Familie und Wohnung in Wien, wo durch die zahlreichen Konzertlokale bedeutend höherer Nebenverdienst winkte, mehr als in Mostar oder Munkacs. und bei dem aus politischen Gründen in der Monarchie geübten Verlegen von Regimentern in Länder anderer Nationalitäten kamen eben die Deutschmeister nach Mostar und die Bosniaken nach Wien, bei der Musik aber vielfach nur die Uniformen ... sonst blieb alles beim alten. Das war kein Nachteil, denn so bildeten sich ständige Klangkörper heraus, deren Zusammenspiel, durch lange Jahre hindurch organisch gewachsen und gereift, eine Spezialität für sich wurde.

Es ist natürlich kein Zufall, daß gerade die Militärkapellen bei uns so beliebt waren und es noch immer sind. Sie wurden es, abgesehen von der optisch wirksamen Uniformierung, eben deswegen, weil sie auch meist die besten Musikkapellen waren. Das konnten sie aber leicht sein, denn die tägliche viel-stündige Probenarbeit bezahlte der Staat, und so konnte man es sich auch leisten, selbst der scheinbar unwichtigsten Begleitstimme äußerste Sorgfalt angedeihen zu lassen. Da können Zivilkapellen einfach nicht mit. Der militärische Dienst mit seiner straffen Disziplin wirkte sich ebenfalls nur günstig auf die Exaktheit der dargebotenen Musik aus. Ohne Disziplin ist überhaupt kein erfolgreicher Musikbetrieb denkbar — und wo gibt es mehr Disziplin, denn beim Militär? Nicht minder günstig wirkte dabei natürlich auch der optische Eindruck durch die farbenprächtigen Uniformen, die das schöne Bild einer im Gleichschritt marschierenden Musikkapelle noch verstärkten. Deswegen legen sich häufig auch Zivilkapellen, wenn es ihre Mittel erlauben, Uniformen oder doch wenigstens gleiche Kopfbedeckungen zu.

Aber nicht nur, w i e gespielt wurde, sondern auch, was gespielt wurde, trug zum Erfolg bei. Das Repertoire war damals nicht gerade mager. Man wagte sich mit Erfolg an die schwierigsten Stücke heran, und bei umfangreicher Kenntnis der Literatur war es möglich, jeweils das der gegebenen Situation, der Stätte des Wirkens und den Zuhörern entsprechendste Programm zu wählen. Es blieb das Geheimnis der eben auch darum erfolgreichsten Dirigenten, daß sie ihr Publikum genau kannten und wußten, womit man es packen konnte. Billiger Hurra-Patriotismus lag diesen kultivierten Kapellmeistern ferne, deren ganzer Ehrgeiz es war, durch die Gediegenheit des Programmes und die Güte der Darbietung auf ihre Zuhörer zu wirken, und das ist ihnen auch immer vollauf gelungen.

Zum Glück hat sich der Geist, der auch heute noch unsere Blechmusiken beseelt, heil und gesund erhalten, und es zeigt sich auch allerorts das Bestreben, dieses alte Kulturgut zu erhalten und zu pflegen. So legt jeder Ort und fast jeder größere Betrieb, der aus seinen Mitgliedern eine Kanelle aufstellen kann, seinen ganzen Soiz darein, eine solche zu besitzen, welche sich audh immer der tatkräftigsten Förderung erfreut. Man darf es mit Genugtuung vermerken, daß der Idealismus, der sowohl bei den Gründern und Leitern, als auch bei den Mitgliedern der Kapelle unbedingt vorhanden sein muß, soll überhaupt das Werk zustande kommen, verschiedentlich schon schöne Früchte zeitigt und beachtliche Leistungen hervorbringt.

Ihren Ursprung aber, und das darf man nicht vergessen, haben alle diese Einrichtungen in der altösterreichischen Militärmusik, für deren anhaltende Beliebtheit zeugt, daß auch heute noch solche Musikkapellen in den Uniformen der Monarchie auftreten, wie in Wien zum Beispiel die „alte“ und die „neue“ Deutschmeisterkapelle, die Traditionskapellen der „Kaiserjäger“ jnd der „Bosniaken“, deren Mitglieder aber kaum je noch Bosnien als österreichische Soldaten gesehen haben.

Nachdem noch in der Monarchie eine Bersaglierikapelle Wien besuchte, das deutsche Detachement, das zum Boxeraufstand nach China eingesetzt wurde, im Jahre 1900 über den Ring zog, haben wir 1938 die deutschen und 1945 die französischen, englischen, amerikanischen und russischen Heereskapellen kennengelernt, die uns bei ihren jeweiligen Wachablösungen eine neue ..Burgmusik“ nach ihrer Art darboten. Nun sind wir, Gott sei Dank, wieder unter uns und können nach unserer Art selig werden, wozu aber, wie könnte es auch anders sein, nun einmal die Musik gehört, wie wir sie schätzen und lieben, und die uns immer wieder froh stimmt mit dem alten Zauberwort: „Die Banda kommt!“

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