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UNSERE NEUE MILITÄRMUSIK

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Hand in Hand mit dem Aufbau des neuen Bundesheeres geht auch die Errichtung von Militärkapellen. Deren eigentlicher Zweck war früher, der marschierenden Truppe den Takt anzugeben, ihr durch das ebenmäßige Maß des Gleichschrittes und mit den beschwingten Weisen die Strapazen des Marsches zu erleichtern und gegen die Ermüdung anzukämpfen sowie durch ihre feurigen Weisen den Kampfgeist zu beleben und den Mut zu stärken. Realistisch gesehen, hat also diese Einrichtung in einem modernen Heere, das kaum mehr marschiert, heute keinerlei Berechtigung mehr.

Der Militärmusik obliegen jedoch auch heute noch ganz wichtige, vor allem „propagandistische“ Aufgaben, die sich nicht nur auf rein militärische Belange erstrecken. Sie dient repräsentativen Zwecken anläßlich von Paraden, Empfängen und Kondukten, sie wird aber auch bei längerem Bestände wieder zu einem Kulturträger, der sie zur Zeit ihrer höchsten Blüte seit fast einem Jahrhundert schon immer war. Die Einbuße, die der Dienst mit der Waffe durch Abstellung von Mannschaften für die Musik erleidet, und der finanzielle Aufwand hierfür erscheinen also in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt.

Während nun bei der Ausrüstung und Bewaffnung des Heeres den neuesten technischen Fortschritten und Erkenntnissen Rechnung geträgen werden muß, war für die Errichtung der österreichischen Militärmusik schon eine sichere und einwandfreie Grundlage vorhanden, die sich bereits ausgezeichnet bewährt hat.

Nach den bisher veröffentlichten Mitteilungen über die künftige Neugestaltung der österreichischen Militärmusik muß es jedoch Besorgnis erregen, daß wir da, vielleicht auf Grund von Vorschlägen „modernerer“ Kapellmeister, uns auf ein Gebiet begeben, das mit der Militärmusik im allgemeinen und mit der österreichischen im besonderen nicht mehr viel zu tun hat. Die beabsichtigte Erhöhung des Etats auf 54 Musiker und die Vermehrung der Instrumente durch Saxophone, Oboen, Fagotte, Geigen und Harfen, wie es in einer Pressemitteilung heißt, kann sich hinsichtlich der Saiteninstrumente wohl nur auf den Konzertbetrieb beziehen.

Wenn anfangs nur eine Stärke von 27 Mann etatmäßig vorgesehen war und man jetzt auf den doppelten Stand kommen will, so ist dieses Hin- und Herlavieren nur ein Zeichen von Unsicherheit und mangelnder Zielsetzung. Dabei haben wir das Herumexperimentieren ja gar nicht notwendig, denn unsere gute altösterreichische Militärmusik in ihrer Standardbesetzung von 42 Musikern war weltberühmt und unerreicht, wie das ja auch in verschiedenen internationalen Wettbewerben zum Ausdruck gekommen ist.

Die beabsichtigte Einführung von Saxophonen in die österreichische Militärmusik muß den Widerstand aller wirklichen Fachleute hervorrufen. Selbst in Deutschland, wo die Saxophone bei den Musikkorps der Luftwaffe offiziell eingeführt worden sind, haben sich Fachleute entschieden gegen die Verwendung dieser Iristrumente in Militärkapellen ausgesprochen. So schrieb Ludwig D e g e 1 e in dem umfassenden Werk „Die Militärmusik“ unter anderem über diese Instrumente: „Die Klangfarbe ist in der Tiefe schnarrend, in der Höhe winselnd ... die Einführung dieses Instrumentes ist seinerzeit bei Tonsetzern, Kapellmeistern und Musikern auf erhebliche Widerstände gestoßen. Für die Militärmusik sind sie von höchst zweifelhaftem Werte, zumal hinsichtlich der Marschmusik, wenn sie auch in ausländischen Heeresmusiken sich bis jetzt haben behaupten können.“ Kein Geringerer denn H. B e r 1 i o z hat sich über ihren keineswegs edlen Klang schon in seiner Instrumentationslehre (1864!) geäußert: „Nichts Plumperes und sozusagen nichts Ungeheuerlicheres, zu harmonischer Verschmelzung mit

dem übrigen Orchester Ungeeigneteres ...“, sind des Meisters Worte.

Auch Oboen und Fagotte waren früher in der österreichischen Militärmusik in Gebrauch, wurden aber, ebenso wie der Schellenbaum, die Triangel und Lyra, später abgeschafft. Daß nun auch Geigen und Harfen hinzukommen sollen, ist für den Konzertbetrieb in geschlossenen Räumen verständlich, wenn die Militärkapellen in der üblichen Besetzung für Symphonieorchester auftreten. Das hat aber wenig zu bedeuten, solange dem außerdienstlichen Wirken unserer Militärkapellen bedauerlicherweise noch Schranken gesetzt sind.

Den Kennern und Verfechtern der guten alten österreichischen Militärmusik müssen diese beabsichtigten Neuerungen und Erweiterungen große Bedenken einflößen, da diese „Bereicherungen“ kein Gewinn sind, wenigstens solange die neuen österreichischen Militärkapellen in der alten Besetzung noch nicht auf jener Höhe und Perfektion angelangt sind, die einst für die österreichische Militärmusik ein Begriff waren. Es soll aber die Anerkennung um das Verdienst und die Arbeit, die bisher schon auf diesem Gebiete geleistet worden ist, nicht geschmälert werden. Es muß vielmehr anerkannt werden, daß dort, wo altbewährte Fachleute, die noch den Anschluß an die gutfundierte Kultur der altösterreichischen Regimentsmusiken nachweisen konnten, wie zum Beispiel bei der Musik des Gardebataillons, Er-

freuliches geschaffen werden konnte.

Es wäre aber sehr bedauerlich, wenn diese Entwicklung durch Experimente von Stellen, die den Anschluß an die gediegene altösterreichische Kultur in dieser besonderen Sparte nicht mehr haben, gestört und dadurch gehemmt werden würde und wenn, vielleicht um bloßer Effekthascherei und fehl angebrachter Modernisierungsbestrebungen willen, Neuerungen eingeführt werden sollten, die weder einem Verlangen der breiten Massen noch den Erfordernissen des Dienstes entsprechen. ;Es kann keinem Einwand begegnen, wenn außerdienstlich, also privat, Jazzinstrumente gespielt werden und Jazzmusik gepflegt wird, aber es besteht keine Veranlassung, sie auch in die österreichische Militärmusik einzuführen. Die Monsterpropagandaorchester der USA-Heereskapellen zum Beispiel mögen dem dortigen Publikumsgeschmack entsprechen, so wie die Kapellen der schottischen Hochländerregimenter den Dudelsack führen, französische Kapellen einen buckligen Zwerg und den Gaisbock, und deutsche Marschmusiken den Schellenbaum. Aber bei der wichtigen Aufgabe, die die neuen österreichischen Militärkapellen als Träger einer altüberlieferten Kultur auch gegenüber der breiten Oeffentlichkeit haben, müssen solche Neuerungsbestrebungen aus dienstlichen wie kulturellen und nicht zuletzt auch aus politischen Gründen abgelehnt werden. Und wenn österreichische Militärkapellen Weltruhm erlangt haben — auch in den USA und ohne Saxophon! —, so muß ihre Besetzung denen anderer Länder überlegen gewesen sein, und wir werden gut daran tun, da nichts zu ändern, weil das

dem Ensemble nicht zum Vorteil gereichen kann.

Bei dem Wettstreit europäischer Militärkapellen auf der Pariser Weltausstellung 1867,

an welchem neben deutschen und österreichischen auch spanische, belgische, holländische, französische und russische Kapellen teilnahmen, wurde die österreichische Kapelle, die Regimentsmusik des Infanterieregiments 73, als beste mit dem ersten Preis ausgezeichnet, obwohl gerade, sie keine Saxophone führte, die damals bei den anderen Kapellen schon gang und gäbe waren. Auch England. Japan, Italien und die Schweiz haben in ihren Militärkapellen Saxophone verwendet, ohne damit an den guten Ruf der österreichischen Militärmusik heranreichen zu können. Was einem Lehär, Ziehrer, Komzak, Czibulka, Fucik, Wazek und wie sie alle hießen gut genug war, die wahrlich mit einer schärferen Konkurrenz und mit einem verwöhnteren und kritischeren Publikum zu tun hatten, als es unsere heute leider nicht mehr so urteilsfähigen Zuhörer sind, kann durch musikalische Mätzchen nicht verbessert werden.

So ist zum Beispiel auch die vermehrte Verwendung von Baßtuben, wohl als eine Folge der verflossenen Aera, an Stelle der bei uns seit je üblich gewesenen Helikoninstrumente kein Vorteil, weil bei der Tubenform der Schall nach oben geleitet wird und auch härter und schnarrender ist denn jener der Helikons, die den Schall mehr in die Waagrechte schicken, also besonders im Freien besser zu hören sind und außerdem angenehmer klingen.

Auch eine größere Besetzung muß durchaus nicht immer auch schon eine Verbesserung der Klangwirkung bedeuten. Es kommt viel mehr darauf an, was der einzelne Musiker auf seinem Instrument leistet und was der Leiter des Ensembles aus seiner Schar herauszuholen ver-

steht. Man kann oft feststellen, daß gerade kleinere Besetzungen, aber mit guten Musikern, bedeutend Besseres leisten denn große Klangkörper, wie sie zum Beispiel die bekannten Tiroler Trachtenkapellen in der Regel aufweisen, was aber auch zum Teil arj der bei diesen üblichen tiefen Stimmung gelegen sein mag, die, für den Konzertbetrieb vorteilhafter, für die Marschmusik an und für sich aber undankbarer ist als die in den östlicheren Alpenländern und in Wien üblich hohe Stimmung, die natürlich weitaus heller klingt und besser wirkt.

Die altösterreichische Militärmusik verdankt ihre Berühmtheit — abgesehen von der angeborenen Musikalität der Völker der alten Monarchie — vor allem der Stützung ihrer Klangwirkung auf die Instrumentengruppe der Flügelhorrifamilie (Flügelhorn, Baßflügelhorn und Euphonium), die an Schönheit und Reinheit des Klanges und -an Tragfähigkeit alle anderen Instrumente weit in den Schatten stellt. Diese Art der Besetzung — wie übrigens auch der Instrumentierung — war so vorzüglich, daß sie sogar in deutsche Militärkapellen — und gerade in die besten! — Eingang gefunden hat (wo man doch draußen im Reiche sonst, wahrlich- nicht darauf aus war, österreichische Ueberlegenheit, und sei es auf welchem Gebiete immer, gelten zu lassen!). Die Verwendung von Saxophonen als Melodieinstrumente kann diese Klangwirkung nicht verbessern, im Gegenteil, sie bringt nur eine Verzerrung und Trübung des Klanges mit sich, welche die Natur der Klangwirkung unserer altbewährten und mit Recht vielgerühmten Militärmusik nur beeinträchtigen muß.

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß jede Uniform ihre Träger zu einer Haltung in Würde verpflichtet. Sie gerät aber nur zu leicht in Gefahr, wenn die Verwendung von Jazzinstrumenten gestattet wird, denn dies führt ganz selbstverständlich auch zur Aufführung von Jazzmusik, die mit einer Clownerie verbunden ist, welche von einem gewissen Publikum bei dieser Art von Musik eben verlangt wird.

Schließlich fällt auch das finanzielle Moment ins Gewicht. Ein gutes Instrument kostet heute immerhin etliche tausend Schilling, und wenn wir schon soviel überflüssiges Geld hätten — was aber zumindest derzeit sicher nicht der Fall ist —, so wäre dies jedenfalls im Ankauf besserer traditioneller Instrumente oder zur Ergänzung des an manchen Orten sicherlich noch ziemlich dürftigen Notenarchivs besser anzulegen denn im Ankauf von Jazzinstrumenten. *

Die Verbundenheit der Bevölkerung mit ihrem Heer geht, zumindest in dem so musikalischen österreichischen Volk, unbestreitbar zunächst über die Militärmusik. Sie ist und bleibt das wichtigste und wirkungsvollste Bindeglied zwischen der Zivilbevölkerung und dem Soldatentum. Alles, was diesem nützt oder schadet, nützt oder schadet auch der Sympathie, die die Bevölkerung für ihr Militär empfindet, nützt oder, schadet dem Wehrwilleh und damit auch der Wehrfähigkeit des Landes. So gesehen, mag der Streit darum, ob Saxophone in die Österreichischen; Militärkapellen eingeführt werden sqllen oder nicht, zu einer grundsätzlichen Stellungnahme einer kulturellen Tradition auch im Rahmen unseres neuen Bundesheeres und, weit über das optische und künstlerische Element hinaus, zu einer symbolhaften Entscheidung über die Richtung führen, die wir unseren neuen Militärmusikkapellmeistern gewiesen wissen wollen. Sie kann nur in der treuen Wahrung und unverfälschten Erhaltung unseres überlieferten Kulturgutes liegen.

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