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Die schönste Armee demobilisiert

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Knapp vor dem 100. Gedenktag der Eroberung Roms durch die piemom-teslsch-italienischen Truppen wurde die päpstliche Armee zum größten Teil aufgelöst. Sie war eigentlich nur noch eine Miniaturarmee, die aus wenigen Truppen, und diese nur noch in geringer „Mannschafts-stärke“, bestand.

Die päpstliche Armee war nie sehr groß gewesen. Sie war nicht auf Eroberung ausgerichtet, ihre einzige Aufgabe war der Schutz der Besitzungen des Hl. Stuhles. Sie hatte allerdings eine uralte Tradition. Schon 1230 beteiligten sich an dem Kampfe gegen Friedrich II. von Hohenstaufen die ersten päpstlichen Kontingente, die nach ihrem Wappen „Schlüsselsoldaten“ genannt wurden. Eine der Ruhmestaten der päpstlichen Armee war die Teilhabe am Sieg in der Seeschlacht bei Lepanto. Ihre letzten Schlachten schlug sie gegen die seit 1859 immer bedrohlicher werdende Invasion der Garibaldiner und Pie-montesen. 1860 verlor sie bei Castel-fldardo eine Schlacht mit den Pie-montesen, wodurch dem Kirchenstaat große Gebiete verlorengingen. 1867 konnte sie noch einen Triumph gegen die Garibaldiner in dem Gefecht von Mentama feiern. Am 20. September 1870 mußte sie auf

Geheiß des Papstes, nachdem die Italiener eine Bresche in die Porta Pia geschossen hatten, kapitulieren. Damals geriet die päpstliche Armee großteils in Gefangenschaft. Ein kleiner Rest wurde von den Päpsten weiterbehalten, gleichsam als ein Symbol der immer wieder geforderten Souveränität des Vatikans. Denn schließlich kann sich nur ein Souverän eine eigene Armee halten. Seit 1870 war die Armee auf vier Truppenteile reduziert: da war zunächst die Nobelgarde, 1801 von Pius VII. aus leichten Lanzenreitern und leichter Kavallerie gebildet. Sie umfaßte seit 1870 nur jeweils 70 Mitglieder, die sich zunächst ausschließlich aus päpstlichen Adeligen im Offlziers-rang und später aus italienischen Adeligen zusammensetzte. Ihr Kommandant war ein Generalleutnant, der somit der letzte päpstliche General war. Ihre Entstehung in der napoleonischen Zeit bewies sie durch ihre Umformen und einen Helm mit Roßschweif, wie sie die französischen Kürassiere damals trugen und noch heute die französische berittene Garde trägt. Zu einem roten Waffenrock trugen sie weiße Kniehosen und schwarze Stiefel.

Dann die Palastehrengarde, 1850 von Pius IX. durch Zusammenlegung zweier städtischer Milizen ins Leben gerufen. Sie umfaßte 500 Mann, in zwei Bataillone gegliedert und kommandiert von einem Obersten. Sie war eine Freiwilligentruppe wie die Nobelgarde, in ihr dienten „Gevatter Schuster“ und „Gevatter Schneider“ aus Trastevere und anderen Armenvierteln Roms. Wie die Nobelgarde machte säe nur von Zeit zu Zeit

Dienst, nämlich bei Papsthochämtern und Papstaudienzen, bei denen sie durch Spalierbilden die Absperrungsmaßnahmen durchführte. Durch ihre Uniform verriet sie ihre Entstehung in der Zeit des Second Empire Napoleons III. Eine gleiche Uniform trägt heute noch düe französische „Garde Republicaine“, die in der gleichen Zeit entstand.

Die dritte Truppe ist die päpstliche Gendarmerie, gegründet von Pius VII. im Jahre 1816. Sie war eine ständige Truppe, die ausschließlich aus gedienten italienischen Soldaten bestand, einige hundert Mann umfaßte und ebenfalls von einem Obersten kommandiert wurde. Ihre Aufgabe war es, den gesamten Sicherheitsdienst im Vati-kanstaat zu versehen. Im gewöhnlichen Dienst trug sie eine Uniform, die haargenau der Uniform der italienischen Carabinieri glich, ihre Galauniform ähnelte den Uniformen der belgischen Garde, das heißt, sie trug Bärenmützen, einen schwarzen Uniformrock mit Epauletten, weiße Hosen und Lackstiefel.

Die letzte und älteste Truppe des Papstes, die Schweizergarde, neben den englischen „Yeomen“ die älteste noch bestehende Garde der Welt, wurde 1506 von Julius II. gegründet. Sie stellt die eigentliche Leibgarde des Papstes dar, die für die Sicherheit seiner Person sorgt. Sie besteht aus 50 Mann, hat aber dennoch den Rang eines Regimentes, weshalb ihr Kommandant ein Oberst ist. Ihre Mitglieder dürfen nur katholische Schweizer aus nichttessiner Fami- J lien sein (welche Bestimmung eine Italianisderung der Garde verhindern sollte). Ihre Uniform ist die Landsknechttracht des späten Mittelalters, in den Farben blau-rot-gelb. Es sind die Farben des Hauses Medicl, dem Clemens VII. angehörte und unter dessen Regierung im Jahre 1527 von 189 Gardisten 147 beim Kampf gegen die Deutschen und Spanier den Tod fanden. Als Bewaffnung dient noch immer die Hellebarde. Kaiser Wilhelm II. schenkte ihnen 1910 Gewehre, wie sie seither die Wachtposten an den Eingängen des Vatikans tragen. Die kleine Truppe der Schweizergardisten, die den Papst diskret bei seinen Spaziergängen im Vatikan folgt, trägt allerdings nicht diese bunte Uniform, sondern eine hellbraune und ist statt mit Hellebarden mit Maschinenpistolen bewaffnet. Die Schweizergarde ist die einzige päpstliche Truppe, die nicht der Auflösung verfällt.

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Die Armee des Papstes ist aufgelöst. Sie war eine Armee, die niemandem Schrecken einjagte und die durch ihre Uniform die Freunde der Geschichte und die Freunde der Farben erfreute. Sie war eine Armee, die größtenteils nicht den Vatikan etwas kostete, sondern nur denjenigen, der in ihr diente. Denn nur die Schweizergardisten und die päpstliche Gendarmerie erhielten einen Sold. Die Mitglieder der Nobelgarde und der Palastehrengarde erhielten keinerlei Entlohnung und mußten sich ihre prächtigen Uniformen, die sehr teuer waren, selbst bezahlen. Es war eine Armee, die großteils überflüssig geworden war, mit Ausnahme eben der Schweizergarde, die ja bestehen bleibt, und der Gendarmerie, die auch aufgelöst wird. An die Stelle der letzteren tritt ein Sicherheitskorps, das sicherlich keine so schönen Uniformen tragen wird, aber dafür viel kostspieliger sein dürfte. Alle jene in der Kirche, die seit langem gegen den Bestand dieser Garden wetterten, werden über deren Auflösung natürlich jubeln. Sie werden in dieser Auflösung ein Fortschreiten der Reformen sehen. Aber Auflösung von schönen und harmlosen Garden ist noch kein Zeichen für Reform. Diese päpstlichen Truppen wurden ja aufgelöst, weil die Zeit für sie vorbei war und nicht, weil sie irgendwelchen Reformen im Wege standen.

Noch gibt es schöne und prächtige Garden auf der Welt: zum Beispiel in England, Frankreich, Italien. Auch Österreich besitzt eine Garde, die allerdings nur schlichtes Feldgrau trägt. Niemand wird die Auflösung all dieser Garden verlangen, ebenso wie auch niemand die Auflösung der Tiroler Standschützen mit ihren schönen Uniformen, die das Land allerdings sehr viel kosten, fordert. Im Gegenteil: jedermann freut sich der bunten Kleidung, die Farbe in den Alltag bringt. Nur unter Katholiken scheint manchmal die Meinung vertreten zu sein, daß Freude sich nicht zeigen soll. Sonst wäre der jahrzehntelange Angriff der aufgeregten Gleichschalter auf die päpstliche Armee unverständlich.

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