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... und am Feiertag Soldat

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VORAN DER HERR HAUPTMANN. Drei goldene Sterne zieren den roten Stehkragen seines dunkelblauen Waffenrocks, um die Mitte trägt er die alte gelbe Feldbinde. (Originalstück aus der Zeit der Frühjahrsparaden auf der Schmelz!) Den blanken Säbel in der Rechten, so marschiert er durch Wiener Neustadt. Hinter ihm ein Zug Grenadiere mit hohen schwarzen Pelzmützen und gekreuztem Riemenzeug. Aus der gebauschten Seide der Fahne leuchten die Fittiche des kaiserlichen Doppeladlers. Vierzig Mann in historischen Uniformen mit weißberiemten Einzelladern, rückt das „privilegierte, uniformierte, bewaffnete Bürgerkorps zu Wiener Neustadt“ an Festtagen aus. Autofahrer, die die kleine Kolonne überholen, wundern sich, daß weit und breit kein Kamerateam zu sehen ist. („Ernst-Otto, kuck mal, da drehn se n' Film! Soldaten aus Sissys Zeiten!“) Der Verkehrsposten an der Kreuzung schaltet auf Grün, dankend salutiert der Hauptmann mit dem Säbel. Sie kennen einander ja recht gut, der Herr Inspektor und der Biirgergardeoffizier, der werktags in der Backstube steht und die Neustädter mit Semmeln, Salzstangerln und gestaubtem Bauernbrot versorgt.

„Unser Korps ist das älteste Bürgermilitär im ganzen deutschsprachigen Raum überhaupt“, erklärt der Kommandant nach der Ausrückung, während er sich im Korpsdepot wieder in den zivilen Bäckermeister verwandelt. 1231 zur Verteidigung der befestigten Stadt gegründet, bestand die Formation ohne wesentliche Unterbrechungen bis zum Jahre 1938. Dann wurde sie — als ostmärkisches Kuriosum — in den deutschen Soldatenbund „Kyffhäuser“ eingegliedert und versickerte allmählich. Ein Bombentreffer aufs alte Depot vernichtete Monturen und Waffen, soweit sie nicht von ehemaligen Mitgliedern privat geborgen worden waren. Der „Komman-dantura“ von Neustadt wäre natiirlijli sogar ein Säbel aus Radetzkvs Zeiten höchst suspekt gewesen, also wartete man bis zum Abzug der Besatzungsmacht. 1956 fanden sich alte Mitglieder wieder zusammen, um das Korps neu zu gründen. Kriegsteilnehmer füllten die Reihen. Puncto Stand ist man ja bescheiden und gibt sich, wie bereits erwähnt, mit vierzig Mann zufrieden. In der Adjustierung hielt man sich an das Vorbild der I. (Grenadier-) Kompanie des alten Korps.

Wenn die Wiener-Neustädter Bürgergrenadiere zu einer auswärtigen Feier eingeladen sind, dann startet vom Depot eine kleine Kolonne von Privatautos mit voll uniformierten Insassen. Der Korporal oder Zugsführer am Steuer seines VWs darf den Stehkragen öffnen — „Marscherleichterung“.

HEUTE GIBT ES IN ÖSTERREICH eine ganz beachtliche Anzahl solcher historischer Korporationen. Man kann sie in vier Gruppen zusammenfassen:

Die eigentlichen Bürgerkorps und Bürgergarden entwickelten sich aus den lokalen Verteidiguiigsorgani-sationen befestigter Städte und Märkte, die Mitgliedschaft war in früheren Zeiten, bis zum Ende der Monarchie, an bestimmte Voraussetzungen gebunden. (Das Achtundvierzigerjahr brachte als kurzes Zwischenspiel den Nationalgardestatus.) Handwerker und Gewerbetreibende betrachteten es als Ehrensache, beim Korps zu sein, und wenn es galt, bei einer festlichen Fahnenweihe oder beim Umgang auszurücken, mußte die bunte Uniform schon frühmorgens sorgsam gebürstet und gebügelt auf dem Kleiderschrank hängen, und der Pepi oder Ferdl putzte die Stiefeletten und Schnallen des „Herrn Vattern“ blitzblank.

Die hundertvierzig Tiroler Schützenkompanien, orts- und talweise organisiert, stellen eine Sonderfonn alter Wehrverfassung dar. wie sie in Eurooa einzigartig ist. Bei der Tiroler Landesregierung gibt es sogar einen eigenen Referenten für .das Schützenwesen.

Eine Salzburger Spezialität auf dem Gebiet der Volkskunde sind die „Prangschützen“ im Flachgau und im Pongau. Die „Prang“, das ist das kirchliche Gepränge der großen Feste im' Jahreslauf. Da lassen die Prangschützen ihre großkalibrigen, kurzläufigen Stutzen krachen. Sie haben einen eigenen „Obristen“, er sitzt auf seinem Hof in Oberalm bei Hallein. Ein trumm Lackel, wie man auf salz-burgerisch sagt, im braunen, langen Rock der Oberalmer Prangschützen, mit dem goldenen Portepee am Säbelgriff. Die Prangschützen von Henndorf am Wallersee sind sogar mit einem Dichter gut Freund: Carl Zuckmayer schrieb über sie in seiner köstlichen Erzählung „Fahnenweihe in Henndorf“.

Und schließlich bleiben noch die „Sakramentswachen“ des Tiroler Unterinntales zu erwähnen. „Lanzenträger“ oder „Partisaner“ werden sie genannt, weil sie bei Prozessionen mit kostbaren Hellebarden und Partisanen das Allerheiligste flankieren. Die Hellebarden der Volderer Sakramentswache zum Beispiel wurden vor einigen Jahren in Wien restauriert. Sie stammen aus dem 16. Jahrhundert und gehörten damals zur Bewaffnung habsburgischer Trabanten.

ETWA FÜNFUNDZWANZIG UNIFORMIERTE BÜRGERGARDEN gibt es zur Zeit in den Bundesländern. Oberösterreich stellt die stärkste Gruppe, während Niederösterreich und Vorarlberg nur mit je einem Korps vertreten sind. Das Vereinsreferat des Innenministeriums ist für diese Korporationen zuständig, die ordnungsgemäß als Vereine angemeldet sind, mit Obmann, Schriftführer, Kassier und Mitgliedsbeiträgen. Ehe das erste Kommando über den ländlichen Marktplatz ertönen kann, müssen genaue Statuten ausgearbeitet, überprüft und genehmigt worden sein. Paragraph I gibt Auskunft über den Zweck der Vereinigung. Prominentester Punkt: „Die Teilnahme an kirchlichen und vaterländischen Feiern.“

In der „Krakau“ allerdings, dem Gebiet nordwestlich von Murau, dem Land des Riesen Samson, bestehen die Garden von Ranten und Krakaudorf mit ihren phantasievollen Uniformen und Steinschloßgewehren seit altersher als freie Gruppen ohne Vereinsstatus. Wenn der Samson tanzt, dann marschieren sie stramm als Eskorte mit, und Oahoamische wie Zuagraste haben ihre Freude dran. (Schlag nach in stei-rischen Fremdenverkehrsprospekten!)

In Oberösterreich wurde sogar ein eigener Dachverband der Bürgergarden geschaffen, während die mehrmals erörterte Frage der korporativen Eingliederung in den Österreichischen Kameradschaftsbund auf geringes Interesse stieß. Wie's im Land schon so geht, ist man sowieso Mitglied mehrerer Verbände, da kann sich's der einzelne aussuchen, in welcher Kleidung er ausrücken will: in der Bürgerkorpsuniform, im Trachtenanzug oder in der braunen Bluse der Freiwilligen Feuerwehr.

Welche Stärken erreichen historische Korporationen in unseren Tagen? Nun, das Bürgermilitär war zu keiner Zeit eine Massenorganisation, immerhin brachte es Wien vor 1848 auf zwei Infanterieregimenter, drei Grenadierabteilungen, ein Scharfschützenkorps, ein Kavalleriekorps, eine Abteilung Artillerie und ein eigenes Korps der Akademie der bildenden Künste. Auch Graz und Wiener Neustadt hatten verhältnismäßig hohe Stände. Bei den heutigen Bürgergarden ergeben sich deutliche Unterschiede. In der alten steirischen Stadt Murau zum Beispiel, wo ein Apotheker unermüdlich für die Wahrung alter Traditionen wirkt, kommandiert er als Hauptmann nur fünfundzwanzig Feiertagssoldaten, meist alte Getreue, während im benachbarten Lungau, in Tamsweg, ohne Schwierigkeiten achtzig Bürgerschützen auf die Beine gebracht werden können, die uniformierte Musik in der Stärke von vierzig Mann nicht gerechnet. Auch in Öberösterreich ist die Aufstellung einer friedensstarken Kompanie nicht schwer, so zum Beispiel in Regan bei Vöcklabruck und in Haslach an der Mühl.

DIE UNIFORM ist das augenfälligste Merkmal der Bürgergarden, jedem Korps natürlich seine eigene, in Farbe und Schnitt getreulich nach der lokalen Überlieferung. Originalstücke sind selten in größerer Anzahl erhalten, der kleine Ort Friedburg an der oberösterreichisch-salzburgischen Grenze bildet eine Ausnahme. Dort gibt es weiße Fracks mit roten Abzeichen. Die meisten davon sind sechzig, siebzig und mehr Jahre alt und haben Spinnstoffsammlung und Mottenfraß überdauert. Die Friedburger Grenadiermützen vollends sind ein Kapitel für sich, wahrscheinlich stammen sie von einem Rheinbundkontingent. (Wie ja überhaupt der napoleonische Einfluß bei der Adjustierung der westösterreichischen Bürgergarden deutlich erkennbar blieb.)

Ansonsten müssen neue Garnituren nach altem Vorbild angeschafft werden. Ländliche Schneidermeister machen schwarze, blaue, dunkelgrüne und rote Waffenröcke. Die Kopfbedeckungen sollen natürlich dazupassen! Woher nehmen? Nun. eine bekannte Wiener Kappenfabrik liefert über Auftrag originalgetreue altösterreichische Infanterietschakos in beliebiger Zahl, auf Wunsch auch mit grünem Federbusch, der allerdings pro Stück zirka hundertfünfzig Schilling kostet. Das geht ins Geld! Die Wiener-Neustädter ließen sich bei einer Großkürschnerei neue Grenadiermützen machen (veredeltes geschwärztes Schaffell, Ia)„ und ein Hutmacher in Freistadt, Oberösterreich, fertigte für das neuaufgestellte Korps „Korsikanerhüte“, wie sie während der Biedermeierzeit bei der Jägertruppe getragen wurde. Eine Posamen-teriefirma auf dem Neubau ist auf Fransenepauletten und Feldbinden spezialisiert. (Bei Film und Theater ist so etwas auch immer wieder gefragt!) Neue Messingkoppelschlösser mit aufgeprägtem Doppeladler, Tschako-Roßhaarbüsche für die Artilleristen von Haslach im Mühlviertel und Mattig-hofen bei Braunau — der Korpskassier muß pro Mann mindestens eintausendfünfhundert Schilling für die Adjustierung veranschlagen.

Nun heißt es aber noch Waffen beschaffen, die der staatlichen Obrigkeit unbedenklich erscheinen! Die meisten Bürgergarden sind mit den alten Infanteriegewehren System Werndl ausgerüstet. Es ist erstaunlich, wie viele dieser Einzellader noch vorhanden sind. Und sie funktionieren einwandfrei, bei dem „watscheneinfachen“ Mechanismus allerdings kein Wunder. Vielfach wird der Lauf gekürzt, das kracht nämlich lauter bei der Salve. In Radstadt sieht man sogar die wohlbekannten deutschen Karabiner 98 k. Die Amerikaner gaben sie frei, allerdings dachten sie: sicher ist sicher und drückten die Mündungen zu, damit man garantiert nur Platzpatronen verschießen kann. Auch passende Seitenwaffen finden sich, französische und bayrische Mannschaftssäbel der Napoleon-Zeit wirken noch immer recht martialisch, wenn man sie blank putzt.

DER LÄNDLICHE JAHRESLAUF bietet zahlreiche Gelegenheiten zum Ausrücken, außerdem feiert man auch hin und wieder spezielle Bürgergardenfeste mit Musik, Begrüßungen, Feldmesse, strammer Defilierung und anschließender Verleihung von Fahnenbändern. Das erste große Treffen dieser Art fand 1959 in Murau statt, und im Sommer 1961 lud das Bürgerkorps des alten Mühlviertier Webermarktes Haslach zu seinem Neugründungsfest ein. Sechzehn Korporationen kamen, die Sonne meinte es sakrisch gut, und die Fernsehkamera-leute hatten Hochbetrieb.

Man stellt sich ja gern in den Dienst des Fremdenverkehrs, als pittoresker „Aufputz“, man weiß, die ausländischen Gäste lieben an uns Österreichern die gewisse historische Note. Als ein Kamerateam Walt Disneys vor einiger Zeit im Lungau filmte, wurden auch die Bürgerschützen von Tamsweg und die rotröckige Lessacher Bürgergarde für Aufnahmen engagiert. Doch die Stars unter den Feiertagssoldaten sind zweifellos die Schifferschütien von Oberndorf, oft gefilmt und noch öfter photographiert. In ihrer berühmten „Piratenschlacht“ auf der Salzach verbinden sich die Traditionen des wehrhaften Bürgers mit den lebendigen Überlieferungen volkstümlichen Theaters. Es ist ein Spiel und eine Mordshetz obendrein: Von Schifferschützen in scharlachfarbenen Waffenröcken eskortiert, blecken gefangene grimme Räuber die Zähne, daß die Umhängebärte nur so wackeln.

Ein schöner Brauch ist der Erwähnung wert: Alljährlich am 24. Dezember bezieht die Halleiner Bürgergarde die Ehrenwache am Grab des Komponisten Franz Xaver Gruber, der ein Schulmeister von Gottes Gnaden war, wie Schubert und Bruckner ...

ACHTZIGJÄHRIGE „EHRENMAJORE“ sind gar nicht so selten und marschieren noch rüstig an der Spitze ihres Korps. Wenn ein Mitglied stirbt, begleitet die Garde seinen Sarg und feuert die Salve über dem Grab. An der Außenseite der Radstädter Pfarrkirche ist ein Grabstein aus den neunziger Jahren zu sehen. Er mahnt zum christlichen Gedenken an einen „Schustermeister und Corporal des Bürger-Corps“. Das emaillierte Photo zeigt den Verewigten in voller Uniform, habtacht, Gewehr bei Fuß.

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