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Ein fast echter Tiffany

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Bs gab In den letzten zehn, ja man kann sagen zwanzig Jahren, in allen Bereichen des Kunsthandels keine einzige Epoche, deren Objekte so spektakulär in Wertschätzung und Wert gestiegen wären wie die des Jugendstils, und hier in allererster Linie das Glas. Was noch vor zehn Jahren durchaus in Reichweite eines Normalverdieners lag, etwa der Aufbau einer kleinen, aber nur aus hervorragenden Stücken zusammengesetzten Sammlung von Loetz-Glä-sern, ist heute nur noch einer sehr schmalen Schichte von Sammlern möglich, genau gesagt, einer Schichte, die so schmal ist (man spricht von einem knappen Dutzend potenter Jugendstil-Sammler in Wien), daß bereits der Eintritt eines weiteren zahlungskräftigen Mitgliedes in diese vornehme Gruppe genügt, die ohnehin nach wie vor steigenden Preise noch etwas schneller steigen zu lassen.

Auch die große Ausstellung des im österreichischen Museum für angewandte Kunst vorhandenen Bestandes an Jugendstil-Glas, die kürzlich geschlossen wurde, aber während der Festwochen erneut zugänglich gemacht werden soll, hatte erheblichen Einfluß auf die Preise im Wiener Kunsthandel, wo ja vorwiegend österreichisches Jugendstil-Glas gesucht und angeboten wird. Mögen Gallo und Tiffany anderenorts auch noch höhere Durchschnittspreise erzielen, so ändert das nichts daran, daß Österreich mit seiner in Wien konzentrierten künstlerischen Potenz und seinen böhmischen Glasraffinerien, die wiederum über ein außerordentliches Potential an handwerklichem Können verfügten, als Herkunftsland erstklassiger Glasschöpfungen des Jugendstils einen hervorragenden Platz einnahm.

Das Glas des Jugendstils bedeutet keineswegs — wie etwa alles das, was man unter Secession, Wiener Werkstätte, neuer Sachlichkeit subsumiert — eine Herausforderung des Zeitgeschmackes, sondern der Jugendstil ging organisch aus dem Historismus hervor und vermittelte in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts jenen, die es sich leisten konnten, das Gefühl, auf der Höhe der Zeit zu stehen. Das Glas des Jugendstils war in der Zeit, in der es en vogue war, ein alles andere als billiges Produkt höchster künstlerischer Verfeinerung und handwerklicher Perfektion. Jugendstil-Vasen, die heute Tausende Schilling kosten, hatten, als sie neu waren, einen dem heutigen durchaus vergleichbaren Preis. Was damals schon billig war, ist es — im Vergleich zu erstklassigen Sücken — auch heute.

Erstklassige Jugendstil-Gläser repräsentieren ein so hohes künstlerisches und handwerkliches Können, daß so mancher Sammler lange Zeit Fälschungen schon deshalb für unwahrscheinlich hielt, weil der damit verbundene Aufwand unverhältnismäßig groß schien. Gläser von Galle und Tiffany sind im Preis früher gestiegen als der österreichische Jugendstil, ein Werk über Galle-Fälschungen erschien bereits vor mehr als zehn Jahren in London. Fälschungen des österreichischen Jugendstils sind seit einigen Monaten im Gespräch.

Unter den führenden Händlern gehen die Meinungen dabei etwas auseinander. Während etwa die' Frage, ob das Glas des Jugendstils in nennenswertem Umfang gefälscht wird, bei Asenbaum mit „Selbstverständlich!“ beantwortet wird, hält Gerhard Strauch die Fälschung erstklassiger Stücke für so schwierig, daß ihm die Verfälschung an sich echter Gläser, um ihren Wert zu erhöhen, viel wahrscheinlicher erscheint.

Beim Glas heißt Verfälschung: Anbringung einer nicht vorhandenen Signatur, heiße sie Tiffany, Galle oder Loetz. Es gibt gefälschte Signaturen, die auf den ersten Blick verraten, daß der Urheber den Schriftzug „Loetz“ oder „Lötz“ (beide Versionen sind verbürgt) zwar in einem Buch, aber nie auf einem Glas gesehen hat, etwa zügig „geschrieben“, sprich graviert, statt mit dem hin- und herfahrenden Rädchen angebracht, aber auch Signaturen, die sich nur dadurch verraten, daß die „Handschrift“ des Fälschers von jener absticht, die als „Fabriks-Handschrift“ allen signierenden Arbeitern einer Manufaktur geläufig war.

Rein technisch ist die Anbringung einer Signatur kein Problem — sie ist auch dann kein großes Problem, wenn sie in den Uberfang eingeätzt ist, was unerfahrenen Käufern oft „vertrauenserweckender“ erscheint als eine „lediglich gravierte“ Signatur.

Hingegen ist es natürlich unmöglich, einen im Glas des Überfanges ausgeführten, von der darunterliegenden Glasschicht abstechenden Schriftzug nachträglich anzubringen.

Wozu allerdings zu sagen ist: Unter den auf Jugendstil spezialisierten Kunst- und Antiquitätenhändlern Wiens, die allesamt einen hart erarbeiteten Ruf zu verlieren haben, wird keiner wissentlich ein falsches Stück verkaufen. Eine Fälschung muß also so gut sein, daß sie auch den Händler irreführen kann.

Wobei vor allem die Totalfälschung, wenn sie glaubwürdig sein soll, hohes handwerkliches Können und sicheres Stilgefühl erfordert. Zu viel Aufwand verursachen in den Augen von Gerhard Strauch vor allem die nach dem Reduktionsverfahren hergestellten irisierenden und lüstrierten Farben, während der billigere und weniger schöne PseudoLüster einfach hergestellt, aber ebenso leicht erkannt werden kann und stets nur für billigere Stücke in Frage kam — Ware also, die ohnehin eher im Preis stagniert.

Das Interesse der Fachleute gilt demnach in erster Linie den Fälschungen wertvoller, erstrangiger Schöpfungen, die einen hohen Aufwand erfordern und hohen Gewinn versprechen, und geglückt ist dann eine Fälschung, so meint Dr. Waltraud Neuwirth, im Museum für angewandte Kunst für Glas zuständig, die mit Hilfe der Thyssen-Stiftung den Gesamtbestand des Museums an Jugendstil-Glas von 1895 bis 1914 publizierte (,JJas Glas des Jugendstils“, Sammlung des österreichischen Museums für angewandte Kunst, Prestel-Verlag, München), wenn sie entweder überhaupt keinen Zweifel erweckt, also niemals erkannt wird, oder aber die Meinungen der Fachleute polarisiert.

Wiener Sammler sollen in London, vor allem aber in Prag in Kaufhäusern funkelnagelneues Jugendstil-Glas gesehen haben, das zwar als neu verkauft (und entsprechend preiswert angeboten wurde), aber beim Weiterverkauf leicht den einen oder anderen weniger erfahrenen Sammler täuschen und da und dort als echt in den Handel geraten könnte. Viele Kenner der Materie wollen Japan als Herkunftsland geschickt gefälschter, zwar einfacherer, dafür aber mit der Signatur Galle versehener Gläser agnosziert, andere wiederum die Spur verfälschter, „auf Loetz signierter“ Gläser von europäischen Auktionsmärkten in die USA verfolgt haben: Auch für das Glas des Jugendstils gilt, daß die besten Stücke den besten Preis dort erzielen, wo sie zu Hause sind — Gallo in Westeuropa, Tiffany in den USA, Loetz, Lobmeyr usw. in Wien. Allerdings werden jeweils auch die Fälschungen an diesen Orten am leichtesten erkannt. Ein gefälschter Tiffany ist in Wien schon deshalb leichter an den Mann zu bringen als etwa in New York, weil hier zu geringes gesichertes Vergleichsmaterial vorliegt.So kann man sagen, daß etwa eine Ausstellung wie die des Museums für angewandte Kunst die Kennerschaft unter den Sammlern gefördert hat, da damit ein umfangreiches, den Augen der Öffentlichkeit bislang weitgehend verborgenes Material allgemein zugänglich wurde (und zumindest in Form von Abbildungen weitgehend zugänglich bleibt). Das österredcMsche Museum für angewandte Kunst ist dabei in einer besonders glücklichen Lage, da der gesamte Bestand gesichert ist. Alle

Stücke kamen in ihrer Entstehungszeit durch Ankauf oder Schenkung ins Museum, so daß nicht nur ihre Herkunft über jeden Zweifel erhaben ist, sondern die Sammlung auch in ihrem gesamten Aufbau den Geschmack einer Zeit spiegelt.

Dabei wurden der Öffentlichkeit (und den Sammlern) erstmals die letzten zwölf bekannten Dekor-Mu-srterplättchen der Firma Loetz Witwe (die freilich bereits in den siebziger Jahren in den Besitz von Max Ritter von Spaun sen. übergegangen war) bekannt — der Rest eines zweifellos einst viel umfangreicheren Bestandes.

Die jahrzehntelange Diskreditierung des Jugendstils hat auch zum Verlust vieler für die Erhellung historischer Details wichtiger Informationen geführt. So ist heute — abgesehen von mehr oder weniger haltlosen Theorien — nioht bekannt, nach welchen Gesichtspunkten etwa in der Loetzsohen Glasmanufaktur ein Teil der Produktion signiert, ein anderer Teil unsigniert abgesetzt wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß — wie häufig kolportiert — die Exportware signiert worden wäre, das Museum für angewandte Kunst hat seinerzeit im Inland sowohl signierte wie unsignierte Stücke erworben. Aber auch ein Zusammenhang etwa mit der Qualität — erstrangige Ware signiert, der Rest unsigniert —, ist nirgends nachweisbar. Ebenso, wie auch auf den Loetz-Gläsern sowohl die Schriftzüge „Loetz“ und „Lötz“ als auch die dem Spaunschen Wappen entlohnten, gekreuzten Pfeile in mannigfachen Kombinationen auftauchen.

Ausstellung und Publikation trugen dazu bei, daß das Qualitätsbewußtsein der österreichischen Sammler, vor allem Jugendstil-Glas österreichischer Provenienz betreffend, noch stärker geschärft und die Nachfrage nach Stücken höchster Vollendung, aber auch selteneren Formen, angeheizt wurde. Das Ergebnis ist ein gewisser Wettlauf unter den potenten Sammlern, in dem es darum geht, die letzten auf dem Markt noch erhältlichen Stücke musealen Ranges in Besitz zu bringen.

Das damit verbundene Mehr an Information bedeutet einerseits erhöhten Schutz vor Fälschungen, freilich auch neue Herausforderungen an Kunstfertigkeit und Stilgefühl der Spitzenkönner unter den Falschem, denen gewisse plumpe Schnitzer kaum mehr unterlaufen sollten.

Ein bekannter Fachmann, der nicht genannt werden will: „Denken Sie an den unnachahmlichen Tif-fany-Lüster, den Wiedmann in Württemberg seinen auf höchstem handwerklichem Niveau hergestellten Gläsern noch in den frühen dreißiger Jahren verleihen konnte! Da ist doch die ganze Tradition dieser Kunst noch intakt, und wenn nicht gerade jemand die Tiffany-Slgnatur dazufälscht, kann man von einem echten Jugendstil-Glas sprechen. Es hat eine Zeit gegeben, wo man in Wien Wiedmann als Loetz verkaufen konnte. Sollte es heute noch jemanden mit dem Können der alten Loetz-und Wiedmann-Leute geben — kann man einen solchen Mann wirklich als Fälscher bezeichnen? Jede Kunstepoche hat Fälscher von einem solchen Rang gefunden, daß man, wenn sie aufflogen, ruhig .Verarmung' statt .Entlarvung* sagen konnte. Soll man sich solche Verunsicherungen wünschen?“

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