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Jugendstil als Geheimtip

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Vor wenigen Monaten war es nur eine einen Meter hohe weibliche Figur aus Keramik, glasiert, mit einer Fülle im einzelnen schwer deutbarer religiöser Symbole bedeckt. Sie ging als Arbeit eines Unbekannten aus der Hand eines Kunsthändlers in die eines anderen. Signatur war keine zu entdecken — lediglich Fragmente einer in den Ton gegrabenen Inschrift, bruchstückweise zu entziffern, zum Teil unter abgeflossener Glasurmasse begraben.

Heute ist Wien um ein bislang unbekanntes Werk von Anton Hanak reicher. Die Geschichte seiner Identifizierung illustriert die allzu häufig und allzu gerne unterschätzte, ebenso schöpferische wie wertschöpfende Funktion eines Wirtschaftszweiges namens Kunst- und Antiquitätenhandel, wobei die Grenze zwischen den beiden oft schwer zu ziehen ist.

Die Plastik von Anton Hanak ist alles andere als ein unbedeutendes Werk. Nicht nur ihre künstlerische Qualität, sondern auch ihre thematische Stellung innerhalb des Hanak-Gesamtwerkes sichert ihr Beachtung und Bedeutung. Es scheint wahrscheinlich, daß Hanak unter dem Eindruck der Ausgrabungen von Ephesos stand, als er sie schuf.

Ohne jene Mischung aus innerem Engagement und ökonomischem Interesse aber, die den Kunsthändler treibt, wäre die Figur möglicherweise nie als Werk von Hanak erkannt (und sogleich auch anerkannt, etwa von Direktor Mrazek vom Museum für Angewandte Kunst) worden. Es war eine jener Entdeckungen mit „Aha-Erlebnis“, die, sobald publik, infolge ihrer Plausibilität die Frage aufwerfen, warum sie nicht früher gemacht wurden.

Anton Hanaks Entdecker Gerhard („Dondo“) Strauch ließ die von Glasur überdeckte Inschrift auf einem Röntgenphoto festhalten, so daß der Text entziffert werden konnte: „Ehre die Helden und zeige dich der neuen Zeit würdiger, man wird dich verantwortlich machen für die schlechten Werke, die du geschaffen.“ Duktus und Details der Handschrift sind typisch für den frühen Hanak.

Der Hanak-Entdecker ist ein Neuling der Wiener Galerie- und Antiquitätenszenerie, sein kleines Geschäft in der Köllnerhofgasse 3 wurde in den wenigen Monaten seines Bestehens jedoch zu einem Treffpunkt aller, die sich in Wien für den Jugendstil, verwandte gleichzeitige Strömungen und die logischen Folgen jener Bewegung bis herauf zu den Wiener Werkstätten interessieren, wobei sich Strauch vorwiegend auf keramische Kunst konzentriert, auf Grund von Vorkenntnissen (Studium der Silikatchemie an der Akademie für Angewandte Kunst) und Neigung: „Es gibt zwar mehr Glas- als Keramiksammler, trotzdem scheint mir die Keramik auf längere i Sicht interessanter. Die Vielfalt und'Unwiederholbarkeit der von den bedeutenden Keramikern in langen Versuchsreihen auf ihren jeweiligen Scherben abgestimmten Glasuren macht dieses Gebiet besonders reizvoll, außerdem sind, einstweilen noch, keramische Arbeiten um rund ein Drittel billiger als vergleichbare Gläser. Keramik war immer aktuell, abgesehen von ganz wenigen historischen Epochen wie der des Biedermeier, das nur Porzellan zu würdigen verstand.“

Dem Biedermeier folgte der Historismus, aus dem der Jugendstil hervorging — dieses Hervorgehen des Jugendstils aus dem Historismus wird in der gegenwärtigen Ausstellung bei Strauch, „Keramik um 1900“, besonders deutlich. Während sich die Architektur des Jugendstils deutlich und bewußt von der historisierenden Konvention der Epoche abkehrt, geht das Kunsthandwerk des Jugendstils fast nahtlos aus einem weitgefaßten, fernöstliche Vorbilder ebenso wie orientalische, aber auch Motive der Volkskunst zunächst nachahmenden, später mehr und mehr integrierenden Historismus hervor.

Um 1890 schafft Massier, der „Tif-fany der Keramik“ genannt wird, ein Gefäß, das nicht nur maurische Formgebung und maurischen Dekor bis zur Identität nachempfindet, sondern auch in den klassischen Techniken des maurischen Kunsthandwerkes hergestellt ist — es geht demnächst von Wien aus als Teil einer großen internationalen Kunstausstellung auf Reisen. Noch Historismus, schon Jugendstil? Jedenfalls Kenntnisnahme außereuropäischer Kunst, der die geistige Verarbeitung auf dem Fuße folgen wird.

Gerhard Strauch, der in früheren Jahren nicht nur Wien, sondern auch, zwei Jahre lang, Afrika unsicher gemacht und einen mittlerweile legendären einwöchigen Gewaltmarsch zwischen zwei Saharaoasen absolviert hat, zeigt in seiner Ausstellung neben dem Glanzstück von Massier nicht weniger als acht Objekte der Wiener Kunstgewerbeschule, ferner wesentliche Objekte der „Wiener Keramik“ (Powolny), der „Wiener Keramischen Werkstätten“, von Mutz (Altona), Ruskin, Arbeiten der Fachschule Znaim, Keramische Arbeiten von Josef Olbrich und so weiter: Ein großer Teil dieser Dinge wurde von Strauch ursprünglich nicht zum Wiederverkauf erworben, sondern echt gesammelt — bis aus dem Hobby des Graphikers ein neuer Beruf wurde.

Gerade jetzt beginnen In Wien nicht wenige junge Leute Jugendstil zu sammeln, gemäß dem Motto, daß jede Generation die Kunst ihrer Väter ablehnt und die ihrer Großväter wiederentdeckt. Jetzt ist der Jugendstil dran. Durchschnittsware und Minderwertiges, manchenorts unvernünftig gehortet, wird heute freilich nicht mehr so hoch bewertet wie noch vor ein paar Jahren. Auch auf diesem Gebiet setzt sich der Trend zur Qualität durch.

Erstklassige Stücke, aus welcher Epoche und welchem Kulturkreis immer, können, meint die gesamte Branche übereinstimmend, auf lange Sicht nur noch an Wert gewinnen, denn es werden ihrer immer weniger, aber der Sammler werden immer mehr. Spitzenwerte (die sich aber keineswegs immer in fünfstelligen Preisen ausdrücken) erzielen die Spitzenwerke renommierter Künstler.

Denn die Preise des Kunst- und Antiquitätenhandels entstehen nicht durch Kalkulation, sondern durch einen schöpferischen Bewertungsakt, der sich aber freilich stets an der Kaufkraft des Sammlerpublikums orientieren muß. Wobei Strauch, auf das gemeinsame Interesse der Händler und Sammler pochend, Wert auf die Feststellung legt, daß Preissteigerungen auf diesem Gebiet nicht nur Schmerzen, sondern auch Freuden bereiten, denn: „Jedes Mal, wenn der Wert eines Stückes steigt, jedes Mal, wenn eine Epoche oder Stilrichtung in der Bewertung steigt, steigt damit auch der Wert aller anderen verwandten Stücke, aller anderen Werke dieser Epoche, egal, ™ ob sie sich jetzt in der Hand von Kunsthändlern oder bei privaten Sammlern befinden. Jede Preissteigerung bedeutet eine Wertsteigerung — nicht zuletzt für die Sammler.“

„Geheimtip“ des Spezialisten für Jugendstil, Secessionismus, Wiener Werkstätten: Afrika. Denn: „Diese Kunst ist tot, da kommt nichts mehr nach. Das ist zu Ende.“

Hanak-Entdecker Strauch (oben), entdeckter Hanak, Gefäß von Massier (darunter), Arbeiten des Jugendstils: „Keramik auf längere Sicht interessanter“

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