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Pose und Gebärde

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Die Ausstellung von Werken des österreichischen Bildhauers Hanak in der Sezession bildet ein Ruhmeskapitel in der neueren Geschachte dieser Künstlervereinigung, deren Architekten im wahrsten Sinne des Wortes aus der Not des zerstörten Gebäudes eine Tugend gemacht haben: als das Geld nicht mehr reichte, um die große Mittelhalle zu bedecken, nahm man sie einfach als offenen Hof hin, der seitlings von einer Loggia, einer geschlossenen kleineren Halle, im Osten von der Pylonenwand des Kuppelbau eingerahmt wird und nach Westen den Blick auf die Akademie freigibt. Besser kann man sich eine Pastikausstellung nicht mehr wünschen; jede Statue steht im Freien und hat, was sie braucht — Licht, Schatten und einen Raum, in dem sie sich entfalten kann. Und so darf man insgesamt sagen, daß diese Ausstellung der Wiener Sezession wirklich eine sezessioni- stische Tat ist.

Anton Hanak (1875—1934) galt seinerzeit als unumstrittene Größe, die von Traditionalisten und Avantgardisten der zeitgenössischen Kunst widerspruchslos akzeptiert wurde. Heute, da man die Dinge wieder überlegender und kühler zu betrachten beginnt, werden freilich an dem immer noch bewunderungswürdigen Werk dieses Mannes auch manche Schwächen sichtbar, manche Stellen, die zum Zweifel verleiten. Sicherlich besaß er das Berufslaster so vieler Bildhauer, die Liebe zur Pose, in besonderem Maß. Das wird einem klar vor den Tagebüchern und Briefen, die zwar in schlechtem Deutsch, dafür aber in kunstvoll stilisierten Lettern ge- schrieben sind und in denen selbst die flüchtigste Skizze noch mit dem Namenzug des Künstlers versehen ist — Tagebücher, die wohl von vornherein auf eine spätere Faksimilierung zurechtgeschnitten wurden. Pose, barocke Thea- tralik sind die Titel einer Anzahl von Plastiken: „Das große Leid“, „Stimme von oben“ oder „Irdische Grenzen“. Und manche von den Arbeiten Hanaks, „Der brennende Mensch“ zum Beispiel, erscheinen uns heute als bronzene oder gipserne Attitüden, die weiter nichts besagen, als daß in ihnen der Stil Rodins. zur Spitze und zum Manierismus getrieben wurde.

Aber das ist glücklicherweise nicht alles. Hanak war nicht nur Poseur, er war auch Vollblutkünstler. Es gibt in seinem Schaffen Fälle, in denen sich die Pose plötzlich, dank eines wahrhaft barock-kraftvollen Temperaments, mit Leben zu füllen beginnt und zur echten, weit ausholenden Gebärde wird: die „Pieta“ oder „Die Verklärte“ mögen es beweisen. Hier versteht man die Verehrung, die man Hanak immer gezollt hat, und begreift, daß er auch als Bahnbrecher gelten konnte.

Und doch ist das Schönste von ihm unter jener Gruppe von Plastiken zu finden, bei denen Hanak Gefühl und Temperament in Zaum gehalten hat, die unpathetisch sind und weniger um jeden Preis etwas ausdrücken, als einfach schön sein wollen. Es sind das meist Arbeiten aus der mittleren Zeit; verglichen mit dem Rodin-Manierismus der letzten Jahre, mit dem sie gar nichts zu tun haben, muten sie eher klassizistisch an. Die Linie und der schöne Umriß, wohl Erbe der Sezessionszeit, spielen bei ihnen eine große Rolle. Die „Mutter , die „Erhebung“, das Mädchen aus Siebenbürger Marmor, das „Goldene Antlitz“ und einige andere sind so, haben geschlossene, wenig ausladende Formen, zurückhaltende Gebärden — reine Plastik, die auch dann monumental wirkt, wenn sie nicht überlebensgroß ist.

Somit könnte man in dieser Ausstellung ein Paradox prägen, zu dem Hanak allerdings auch herausfordert: daß man nämlich 25 Jahr nach seinem Tod den barocken und expressionistischen Plastiker Hanak vergessen und einen sehr bedeutenden Plastiker der Wiener Sezession, der gleichfalls Hanak hieß, neu entdeckt hat.

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