6811430-1972_36_12.jpg
Digital In Arbeit

Nie wieder ein Denkmal für Wien

19451960198020002020

Ist Anton Hanak (1875—1934) heute noch ein „Höhepunkt der Kunst Österreichs in unserem Jahrhundert überhaupt“, als den ihn R. Waissenberger auf dem Höhepunkt seines Schaffens angesehen haben will? Vielleicht stellt sich der Besucher des seit Juni 1970 bestehenden Hanak-Museums in Langenzersdorf vor dem fast gesamten Werk dieses Künstlers die Frage und findet, das einfache geräumige Haus und den Garten durchschreitend, selbst darauf eine Antwort. Zur Nachhilfe für jüngste Jahrgänge: Die Viktor-Adler-Büste am Republikdenkmal ist von ihm, das Kriegerdenkmal im Zentralfriedhof (einer der wenigen würdigen Gedenksteine, die es bei uns gibt) und anderes mehr. Sein Hauptwerk, „Der brennende Mensch“, hat in der Kunstgeschichte seinen festen Platz. 1922 entstanden, bewies es den Malern, daß der Expressionismus nicht ihr Monopol war, und den Musikern, daß die Plastik etwas ihren Schöpfungen Gleichwertiges zu schaffen vermochte. Es wurde denn auch ebensowenig verstanden wie drei Jahre später der „Wozzeck“, sosehr beide Werke im Ausdruck den Empfindungen einer Weltkriegsgeneration zu entsprechen schienen.

19451960198020002020

Ist Anton Hanak (1875—1934) heute noch ein „Höhepunkt der Kunst Österreichs in unserem Jahrhundert überhaupt“, als den ihn R. Waissenberger auf dem Höhepunkt seines Schaffens angesehen haben will? Vielleicht stellt sich der Besucher des seit Juni 1970 bestehenden Hanak-Museums in Langenzersdorf vor dem fast gesamten Werk dieses Künstlers die Frage und findet, das einfache geräumige Haus und den Garten durchschreitend, selbst darauf eine Antwort. Zur Nachhilfe für jüngste Jahrgänge: Die Viktor-Adler-Büste am Republikdenkmal ist von ihm, das Kriegerdenkmal im Zentralfriedhof (einer der wenigen würdigen Gedenksteine, die es bei uns gibt) und anderes mehr. Sein Hauptwerk, „Der brennende Mensch“, hat in der Kunstgeschichte seinen festen Platz. 1922 entstanden, bewies es den Malern, daß der Expressionismus nicht ihr Monopol war, und den Musikern, daß die Plastik etwas ihren Schöpfungen Gleichwertiges zu schaffen vermochte. Es wurde denn auch ebensowenig verstanden wie drei Jahre später der „Wozzeck“, sosehr beide Werke im Ausdruck den Empfindungen einer Weltkriegsgeneration zu entsprechen schienen.

Werbung
Werbung
Werbung

Beim ersten flüchtigen Blick auf die großen weißen Gipsfiguren fragt man sich, warum man sich wohl „distanziert“ fühlt? Ähnliches empfindet man heute vor einem expressionistischen Drama. Warum sind wir der Pathetik der zwanziger Jahre so abhold?

Es stehen diese „atmenden Leiber“, diese Plastiken nicht mehr stellvertretend für unser Leben hier. Da kann Hanak nichts dafür. Er konnte nicht ahnen, daß „der letzte Mensch“ (seine andere große Arbeit von 1917) bei weitem nicht wirklich der letzte war, der erst kommen sollte. Er konnte nicht voraussehen, daß durch das Übermaß der Greuel der Mensch und damit auch die Plastik das Gesicht verlieren würden, auch das Gesicht des Leibes. Und daß schön zu leiden vertan, vorbei sein würde noch für Kind und Kindeskind.

Wir nähern uns zögernd dem „brennenden Menschen“. Doch sogleich erwärmt der in den erregten Muskeln gleichsam aufwallende Leib das Auge. Nichts Manieriertes und Gewolltes hat diese Gestalt, die keine Idee verwirklichen will, in der die Wirklichkeit selbst ihren Ausdruck fand. Er ist ein Meisterwerk geblieben.

Nun sieht man sich vertrauensvoll um, und will gerne glauben, daß alles Ausgestellte von Bedeutung sei, wenn diese auch dem zweiten Blick sich noch nicht erschließt. Sezessionistisches scheint weniger gelungen zu sein, war vielleicht nur Durchgang. Wurde nicht Vieles von anderen nachgeahmt? Erblickt man den „Schöpfer“, um 1913 entstanden, fallen einem die „Kunst dem Volk“-Hefte ein mit den Bildberichten von jenen unseligen Ausstellungen, die unsere Eltern nicht zuletzt wegen der dort heimischen Heldenplastiken erschrecken mußten. Vielleicht denkt man auch zu unrecht, daß dort Hanaks „Schöpfer“-Kraft mißverstanden worden sein könnte. Sein zweifellos begabter Schüler Josef Thorak verstand es jedenfalls, mit einer bei dem Meister erlernten Rodin-Version gewaltig zu wirken. — Wie anders die „Pieta“, die fassungslose Maria, die den totenstar-ren Christus hält, der Arme und Beine wie Windmühlenflügel ausstreckt. Porträtbüsten. Die beste: „Karl Seitz.“ Der Kopf erinnert an den des Rodinschen „Balzac“'. Der österreichische Rodin zu sein, war Hanaks Wunsch und Ehrgeiz gewesen.

Vorbei an einem Fries aus riesig vergrößerten Handzeichnungen des Bildhauers führt eine Treppe zur Galerie hinauf, wo die Exponate der Sonderausstellung „Anton Hanak und Gustav Mahler“ mehrere Schautische füllen. Der blühende Baumgarten schaut durch die offene Tür herein: das Freilichtmuseum inmitten der Weinberge. Die leuchtenden Marmorstatuen scheinen ideale Gestalten zu sein, sind es aber nicht: Fast naturalistisch sind die Leiber von menschlichen Individuen aus dem Stein geschlagen, dem die Kunst ideale Bedeutung verleiht. Der Garten ist nicht überladen, aber man muß doch denken: jede einzelne Plastik sollte ihn für sich allein haben. Wie der Schöpfer, als er noch wirkte, keine Persönlichkeit neben sich dulden wollte, die sich seinem Willen nicht fügte (mit Wotruba als Schüler ging es nicht viel länger als ein Jahr) — so scheinen auch dessen Geschöpfe einander ausschließen zu wollen.

Offenbar hatte man im Jahre 1925 genügend Abstand vom Weltkrieg einerseits und anderseits auch von Gustav Mahler gewonnen, da man dem Gedanken, ; der längst gefaßt war, dem großen Musiker für sein wahres Schuften im Dienste der Oper und der Kunst überhaupt in Wien ein Denkmal zu setzen, in der konkreten Form eines Denkmalkomitees näher kam. Hanak wurde, wie denn auch anders, veranlaßt, Entwürfe zu liefern, und begann nun seinerseits für Gustav Mahler zu schuften, Entwurf um Entwurf zu liefern, bis er 1933 aufgab. Ein Jahr vor seinem Tod begrub man endgültig dieses ganze Projekt. Liest man, was der Plastiker neben seine Entwürfe niederschrieb, hat man den Eindruck, daß es dieser war, der das Projekt mit seinen grübelnden ringenden Gedanken zerrieben, aufgerieben hatte. Die Dokumente und Erinnerungsstücke zu dieser traurigtragischen (oder auch tragisch-komischen Geschichte) füllen, wie gesagt, die Schaukästen der 1. Sonderausstellung, die zur Zeit der gegenwärtigen

Mahler-Renaissance nicht aktueller sein könnte. Übrigens teilten auch Haydn, Beethoven, Wagner und Wolf mit Mahler das Schicksal, von Hanak kein Denkmal zu bekommen, das er für sie plante. Von dem Musikwissenschaftler Friedrich Heller wird mit bemerkenswerter Einfühlsamkeit das langsame Sterben und endgültige Scheitern des Denkmalunternehmens wie folgt geschildert:

„Tragisch zu sehen, wie dieser Künstler, der sich selbst als einen .ewigen Musikanten' bezeichnet, ,der nur von der Musik getragen wird', keines der von ihm in Angriff genommenen Musikerdenkmäler ausführen durfte. ,In Angriff genommen', im wahren Sinn des Wortes: hier rang einer, dem werdendes Gestalten — nach eigenem Bekenntnis — sich in Melodien vorverkündete, mit der Idee einer Kunst, die seine und doch auch wieder nicht die seine war. Betrachtet man die zeichnerischen Entwürfe zum Mahler-Denkmal, so liegt ein Vergleich mit Beethoven nahe. Dieser komponierte auf dem Papier: Mehr als 7000 erhaltene Skizzenblätter zeugen von der ringenden Geistesleistung, die sich in oft jahrelangem Bemühen mit einzelnen Töne befaßte. Hanak komponierte seine plastischen Ideen in immer wieder neuen Skizzen, er formte auf dem Papier, und auch hier gilt die Bemühung oft den winzigsten Einzelheiten. Dem Komponisten Beethoven war die Möglichkeit gegeben, als ihm der Instrumentenklang zum Ausdruck seiner sinfonischen Idee nicht mehr zu genügen schien, das Wort in die Musik ein-zubeziehen — der Bildhauer Hanak greift über den traditionellen Bereich der Gestaltfixierung hinaus und spricht von der .kinetischen Plastik'.“

Was Hanak mit der „Schwebenden“ und der „Träumenden“ erreicht hatte, was ihm bisher in seinem Bemühen, die Schwere des Stoffes zu überwinden, gelungen war, wollte ihm für sein Denkmal, das, wie er selbst schreibt, nicht Mahler, sondern der Musik selber gelten sollte, nicht genügen. Das Phänomen ist bekannt:

Hofmannsthal zerfielen die Worte wie Pilze im Mund; Thomas Mann bezeichnet jeden als Schriftsteller, der sich der Sprache verweigert. Wotruba will kein Bildhauer, nur Steinmetz sein. Hanak, hätte er in Blech gearbeitet, hätte vielleicht damals schon Calders „Mobiles“ entdeckt. Er war zu weit vorgedrungen: „Am liebsten möchte ich, daß das Gesicht den Ausdruck ständig wechselt.“ Auch Picasso bekennt, daß es ihn gelüste, seine Bilder umzumalen. Mit den letzten Quartetten entschwand Beethoven den Blicken. Aber Tolstoi fand schon die „Neunte“ nicht geheuer. Sie war es auch für Mahler nicht, dem sie die „Symphonie der Tausend“ eingab, was die Ursache dafür sein mochte, daß auch Mahler Hanak nicht ganz geheuer war.

Und so haben wir kein Mahler-Denkmal. Dort, wo es hätte stehen sollen, vor dem Schwarzenbergpalais, steht die geschweißte Bronzefigur des „Russendenkmals“. Die Mahler-Büste aber im Foyer der Staatsoper ist von Rodin. Müssen wir unglücklich sein darüber? Das Wirkliche, sagt Hegel, ist vernünftig. Wahrhaftig! Hanaks Name stand dafür, daß Wien kein weiteres engelumschwebtes, steinbanksitzendes Genie ä la Raimund und Brahms bekommen werde. Aber welcher Grad des Unterspielens der eigenen Gegenwart hätte auch noch für unsere Zeit gereicht? Wer kann wissen, ob ein ungnädiges oder gnädiges Schicksal das Gustav-Mahler-Denkmal von Hanak verhindert hat? Ob es Unglück war, daß Hanak schwor: Nie wieder ein Denkmal für Wien!“ ...

Das Hanak-Museum in Langenzersdorf ist bis 15. November an Dienstagen von 9 bis 12 Uhr, Samstag von 9 bis 12 Uhr, von 13.30 bis 18.30 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 9 bis 12 und von 13.30 bis 18.30 Uhr geöffnet.

Kulturnotizen

• „Umwelt — 72“ heißt eine Ausstellung, die gegenwärtig in Stuttgart gezeigt wird und die erstmals in der Bundesrepublik Deutschland eine umfassende Dokumentation aller Umweltprobleme sowie ihrer Lösungsmöglichkeiten bietet.

• Mit dem Grillparzer-Ring wurden in diesem Jahr drei Persönlichkeiten ausgezeichnet: Univ.-Prof. Dr. Roger Bauer für seine Publikation über Grillparzer, die eine bedeutende Bereicherung der Forschung darstellen; Prof. Bauer war lange Jahre in Straßburg tätig und wirkt gegenwärtig in München. Weiter wurde der Ring an Univ.-Prof. Dr. Heinz Politzer, Berkely, Kalifornien, verliehen, dessen aufsehenerregendes Grillparzer-Buch in diesem Jahr erschienen ist. Schließlich ging der Ring an Kammerschauspielerin Liselotte Schreiner für ihre überragende Darstellung zahlreicher Grill-parzerscher Frauengestalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung