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Ein Kompromißloser

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Die Galerie „Kunstkabinett” in der Riemergasse, der man bereits eine ganze Reihe von Wiederentdek-kungen österreichischer Künstlerpersönlichkeiten aus der Zeit zwischen den Kriegen und nach der Jahrhundertwende verdankt, stellt diesmal eine besonders bedeutende und faszinierende Erscheinung in dem 1894 in Wien geborenen Uriel Birnbaum vor.

Birnbaum, der einem uralten Rabbinergeschlecht entstammte, wuchs in Wien, Czernowitz und Berlin auf und begann bereits mit elf Jahren Karikaturen zu zeichnen, die von den Arbeiten Th. Th. Heines und Olaf Gulbranssons im „Simplizissi-mus” beeinflußt waren. Mit dreizehn Jahren schrieb er phantastische Erzählungen in der Art E. A. Poes und entwarf den Plan zu einem umfassenden Epos „Das Sternenschiff”, an dem er dann sein ganzes Leben arbeitet. In Berlin, wo ihn in den staatlichen Museen die ägyptische Kunst besonders stark beeindruckte, erhielt er seinen einzigen Kunstunterricht, der nur einen Monat dauerte.

Nachdem sich Birnbaum jahrelang mit der materialistisch-monistischen Naturwissenschaft und der deutschen Philosophie beschäftigt hatte, traf den Agnostiker im Jahre 1913 ein Erlebnis, das sein Leben schlagartig veränderte. Durch die „fremdartige Vision” einer Nacht wurde er gläubig und glaubte von nun an nach dem Buchstaben des jüdischen Gesetzes an Gott. Seinen Gottesglauben hat er dann mit seltener Unbe-dingtheit gelebt und ihm in allem was er schuf, seinen Bildern, Zeichnungen, Gedichten und Essays, in einem als Gottesdienst verstandenen Leben, Ausdruck zu geben versucht. Er wurde zum glühend liebenden, aber auch streitbaren, Zeugen Gottes im Kampf gegen die Lüge der Zeit, zum Propheten und Künder, der ohne Rücksicht auf sich kompromißlos Stellung bezog. Im ersten Weltkrieg sah er die Strafe für den Mißbrauch, den die weiße Rasse mit ihrer Weltherrschaft betrieb, rückte aber als Student nach Brünn zur Ausbildung ein. Nachdem er den blutigen Rückzug nach der Brussi-low-Offensive mitgemacht hatte, und ausgezeichnet worden war, wurde er 1917 an der Isonzofront schwer ver-' wundet und verlor ein Bein. In der Zwischenkriegszeit lebte er dann, der inzwischen geheiratet hatte, mit Frau und Kind karg von künsüerisehen Gelegenheitsarbeiten, obwohl die Kritik anfangs seinen 1921 erschienenen Gedichtband „In Gottes Krieg” begeistert feierte und er 1923 den durch die Inflation wertlos gemachten Bauernfeldpreis erhielt.

Die kompromißlose Haltung Birnbaums, die auf seinem theozentri-schen Denken, Fühlen und Erleben fußte, seine damit verbundene scheinbaren Intoleranz, setzte ihn mehr und mehr Angriffen von allen Seiten, regelrechtem Terror aus, da er im Bolschewismus das gleiche Menetekel erblickte wie im Nazismus und die Gleichmacherei des Sozialismus ebenso ablehnte wie den säkularen Zionismus.

Seine Zeichnungen und Bilder wurden expressive allegorische und symbolische Darstellungen, die ebenso seinen religiösen, geistigen und menschlichen Erkenntnissen Ausdruck geben wie sein schriftstellerisches Werk. Formal stehen sie in ihrer eigenartigen Technik die farbige Tuschen und starke Konturen verwendet, dem Umkreis der Wiener

Aus der Serie „Biblische Köpfe” (Tusche) von Uriel Birnbaum

Werkstätte und dem Jugendstil nahe oder Illustratoren wie Kubin, Charles Lipka und Paul Scheurich. Von Hitler aus seiner Heimat vertrieben, überlebte Uriel Birnbaum das Wüten der Barbarei und des Krieges wie durch ein Wunder, starb aber 1956 in Amersfoort in Holland zermürbt und zerrieben von Entbehrungen, Zusammenbrüchen und enttäuschten Hoffnungen.

Er hinterließ ein bedeutendes Werk von etwa 6000 Gedichten, 35 Kurzdramen, 13 Märchen, 10 phantastischen Novellen, 700 Sprüchen, die Teile eines Romans und zahlreiche Essays politischen, religiösen oder moralphilosophischen Inhalts, in dem die reine Flamme seines Glaubens ebenso lodert wie in seinen Bildern. Daß das „Kunstkabinett”, nicht nur durch die Ausstellung, sondern auch durch eine Literaturbeilage zur gleichnamigen Galeriezeitschrift, auf die heute mehr denn je aktuelle Stimme Uriel Birnbaums als die Stimme unseres Gewissens hinweist, auf seine lautere Persönlichkeit, ist ein Verdienst, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

• Das Fremdenverkehrsbüro der Handelskammer Niederösterreich veranstaltete eine kulturelle Pressefahrt zum neuen Anton-Hanak-Mu-seum, zur Pfarrkirche Schöngrabern, mit einzigartigen romanischen Skulpturen, und nach Retz zur Besichtigung der Ausstellung des dort geborenen Tiermalers Gustav Ranzoni. Das Hanak-Museum in Langenzersdorf kann bis zum 15. November den ganzen Sommer und Herbst über am Dienstag von 9 bis 12, an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 9 bis 12 und von 13.30 bis 18 Uhr besucht werden. Die große Ranzoni-Ausstellung in Retz ist bis 29. Oktober von 9 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Ausführliche Berichte über beide Expositionen bringen wir in den nächsten Wochen auf Sonderseiten der „Furche”.

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