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„Kunst“ der Maschine

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Plastik wirkt eigentlich nur auf ihrer höchsten Stufe; alles Mittlere kann wohl aus mehr als einer Ursache imponieren; aber alle mittleren Kunstwerke dieser Art machen mehr irre, als daß sie erfreuen. Die Bildhauerkunst muß sich daher noch ein stoffartiges Interesse suchen, und das findet sie in den Bildnissen bedeutender Menschen. Aber hier muß sie schon einen hohen Grad erreichen, wenn sie zugleich wahr und würdig sein will.

J. W. Goethe, .Aus Maximen und Reflexionen“

Als der „Kunstwart“ des biederen Avenarius sich vor einem Menschenalter des Problems der ästhetischen Massenerziehung annahm, wer hätte vorausgesagt, daß er bei den Massen nicht das allergeringste durchsetzt, bei den Bürgern aber das „Reizvolle“ — ja das „ßeizsüchtige“ einleitet? Avenarius wollte das Gesunde, dem ganzen Volke Eigne, das sich gegen L'art pour l'art mit vollkommener Deutlichkeit abhebt. Sein und seiner Nachfolger Ziel wäre heute wünschbarer denn je. Aber er erreichte in Jahrzehnten der Kunsterziehung nur eine sehr geringe Änderung des Verhältnisses von Öldruck und Holzschnitt, von aufgedonnerter Kommerzware und schlichten Qualitätsmöbeln. Die Berichte der Leipziger Möbelmesse gaben jährlich über diesen Mißerfolg eindeutig Aufschluß. Wer heute im Börsengebäude die am Kaufen interessierten zahlreichen Laien und im Kunstgewerbemuseum die hochgezüchteten Kenner- (und Konkurrenten-) eindrücke abreagieren hörte, wird bestätigen, daß unter dem Begriff Möbel jede der Gruppen etwas Grundverschiedenes meint: die einen meinen das Photographiertwerden in den teuren Bildzeitschriften, die Chance, von einer exklusiven Persönlichkeit gelobt und gekauft zu werden. Die andern, die große Masse, kümmern sich keinen Pfifferling um dieses als hohlwangig und zum

„Fürchten fein“ Empfundene. Sie wollen Kaukasischnuß mit abgerundeten Ecken und als Erfüllung höchster Sehnsucht eine Bauernstube aus Zirbel mit geschnitzten Auerhähnen.

Man mag der Ansicht sein, daß das Vulgäre und das Feine zu jeder Zeit und in jedem Volk gleichzeitig anwesend sei und daß man die Geduld nicht verlieren und durch nimmermüde Propaganda mählich den Massengeschmack heben könne. Aber dies ist doch vielleicht ein Irrtum, vielleicht doch eine Fehlleitung der Erziehung, die durch Überspitzung des Qualitätsbegriffs den Kontakt mit den Massen verliert und hohe Begabungen dem Elend ausliefert.

Wer erklärt zum Beispiel das Faktum des „Rundbaumöbels“, also die Schränke, Schreibtische, Bettstellen mit abgerundeten Kanten, die — von den Bauernstuben abgesehen — ausnahmslos die Kojen der Möbelausstellung im Börsengebäude beherrschten und ohne Zweifel den eigentlichen heutigen Möbelstil ausdrücken? Die Rundung hat mit der zünftigen Ästhetik avantgardistischer Bildzeitungen nicht das allergeringste zu tum. Sie kommt für billige Möbel nur deshalb in Betracht, weil man sie in großen Metragen maschinenmäßig erzeugt und ohne Rücksicht auf das Zusammenstammen der Fladerung mit den glatten Flächen zusammendübelt. Hätten die Bildzeitschriften Einfluß, würden die Absolventen der Kunstschulen bis in die Werkstätten dringen, so käme es niemals zu diesen häßlichen und verschwommenen Möbelgebilden. Aber sie haben ebensowenig Einfluß, als der „Kunstwart“ hatte. In Deutschland ist es nicht anders. Die Hellerauer, Münchner, Bremer, norddeutschen usw. Werkstätten ringen schwer um den Absatz hochwertigen Hausrats. Nicht einmal die Geschmacksrichtung, die Hitler erzwang — der „handwerksgerechte“ Stollenbau, das auf Rahmen und Füllung gearbeitete Möbel aus heimischem hellem Holz —?, findet Anklang bei den herangewachsenen HJ-Erzogenen. Sie nennen Möbel solcher Art merkwürdigerweise „Flücht-lingsmöbel“ — vielleicht in seelischer Abwehr der auf Rahmen und Füllung gearbeiteten „Spinde“. Was sie wollen, ist dasselbe, was die Wiener Tischler tun, was die Exportmöbelindustrie der Sudeten seit 20 Jahren machte: eben das „Rund- oder Vollbaumöbel“, den schweren steifen Polsterstuhl und die Couch, die tagsüber ein Sofa ist. Wie fern, wie unendlich fern ist solch handfestem Geschmack selbst das handwerksgerechte Zusammenbaumöbel, welches sich des sozialen Aspekts jeder echten Kunstübung bewußt ist, welches verdienstvoll und dennoch erfolglos ist.

Mit der maschinenmäßig hergestellten Rundung ist das Kernproblem angerührt: Die Auseinandersetzung mit dem Maschinenmäßigen überhaupt, welches die einzige Aussicht bietet, das „Erschwingliche“ zu liefern und welches von den Künstlern über die Achsel angesehen wird. Das preziöse und das Vollbaumöbel begrenzen ein sittliches Problem, welches man am Preise mißt und welches ähnliche Kategorien aufrührt, wie es Champagner und Dörrgemüse, Konfektions- und Reizwäsche im Flüchtlingslager tun würden.

Die individuellen, auf höchsten Reiz für die verfeinerte Lebenshaltung oder für die Eitelkeit der Zeitschriften entworfenen Möbel sind sehr teuer. Sie ziehen zwischen sich und den in Dumpfheit lebenden Massen einen lieblosen dicken Strich: Odi profanum vulgus. Das Volk spürt dieses l'art pour l'art und läßt die unvergleichlichen Zeichner und Tischler — fast ist es nicht zu kraß ausgedrückt — verhungern. Es kauft den Kitsch, der ihm behagt. Unfähig, den Reiz der eigenwilligen Form (die sich alle zehn Jahre entscheidend ändert) zu begreifen, verärgert über den alle Möglichkeiten übersteigenden Preis, kauft es den „Ersatz“: der „Rundbau“ surrogiert ihm Modernität, das Maserholz Noblesse. Der Kopf und der Körper des Volkes machen sich selbständig. In dem Augenblick, da die in Deutschland unglaublich verfeinerten Holzbearbeitungsmaschinen die „große Serie“ zulassen, werden wir ebenso wie dort, ebenso wie in Amerika, dis wüsteste Barock, die monumentale Renaissance mit Löwenfüßen und Akan-thuskonsolen haben. Heute schon wird dergleichen zu unfaßbar niedrigen Preisen angeboten, weil man selbst die Schnitzerei maschinenmäßig herstellt. Wofür Avenarius kämpfte, dies ist hinweggeschwemmt. Die Handwerksgerechtigkeit ist gegen die Maschinengerechtigkeit ohnmächtig.

Eine bedenkliche Erscheinung, von der man nicht sagen kann, daß die Schuld allein auf Seite „des Volkes“ liegt. Man wird uns einst mit den Spätrömern in Vergleich setzen, die das Substilste verstanden, aber vor dem, was der Tag braucht, Jämmerlinge waren. Auch wir ziselieren Kandelaber, schneiden Gemmen, setzen Statuen Onyxaugen und Golddrahtbrauen ein. Wir erzeugen Spitzenleistungen, aber es regnet in unser Bett. Der Unterbau des Mittleren oder des Gewöhnlichen steht gegen das Geputzt-Polierte und das Blankgemachte erheblich zurück. In unserer kulturellen Lenkung stimmt etwas nicht. Die Barbarei ist schuld, gewiß. Aber auch der intellektuelle Hochmut. Ist Kultur dort, wo man sie erfindet, oder dort, wo man sie schätzt? Die Stuttgarter Bildzeitschriften gaben Wien, gaben München oder dem Rheinland alle Ehre. Sie nahmen die originalen Einfälle wie attisches Salz auf. Aber die schwäbischen Tischlerschulen milderten dieses herab, oder, wenn man will, herauf. Sie ermöglichten nicht nur das Exportgeschäft, sondern verwirklichten auch den überlegenen heimischen, kulturellen Durchschnitt.

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