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Welt in mondäner Verpackung

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Stromlinienform ist Trumpf: Derrans Cola-Fabrik in Los Angeles, 1937 erbaut, nimmt die schnittige Fasson eines U-Boots an, die New Yorker Zeitung „Tribüne” plant, in einen Wolkenkratzer in Säulenform zu übersiedeln, Wiener Gemeindebauten wachsen sich zu bizarren Zwingburgen mit Zackendekors, pseudogotischen Spitzbögen und Schiffsbug-Erkern aus, Wolkenkratzer in New York schießen mit Raketendynamik gen Himmel und in Paris plant Le Corbusier, die gesamte Millionenbevölkerung in ein paar Monstertürmen unterzubringen …

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Stromlinienform ist Trumpf: Derrans Cola-Fabrik in Los Angeles, 1937 erbaut, nimmt die schnittige Fasson eines U-Boots an, die New Yorker Zeitung „Tribüne” plant, in einen Wolkenkratzer in Säulenform zu übersiedeln, Wiener Gemeindebauten wachsen sich zu bizarren Zwingburgen mit Zackendekors, pseudogotischen Spitzbögen und Schiffsbug-Erkern aus, Wolkenkratzer in New York schießen mit Raketendynamik gen Himmel und in Paris plant Le Corbusier, die gesamte Millionenbevölkerung in ein paar Monstertürmen unterzubringen …

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Triumph der modernen Technik: Radio, Eisschränke, elektrische Orgeln, Traktoren, Flugzeuge, Schnellzüge sind die Sensationen dieses Zeitalters, die Grammophone gellen… Und alles wird einbezogen in diesen neuen Verpaokungsstil, in dieses „Stildng” der ausgehenden zwanziger und dreißiger Jahre: Fabrikhallen, zum Beispiel die von Erich Mendelsohn gebauten, werden in die Form von Riesenmaschinen eingebaut Filmtheater als Superillusions- „Fabriken” ausgestattet; Damenunterwäsche und Parfümerieartikel erobern sich die Schaufenster, man pilgert zu den großen Autosalons. Und man entdeokt neue Materialien, die zwar nicht nach funktionellen Grundsätzen, wohl aber nach ihrem „mondänen Touch” eingesetzt werden: schillernde Glasziegel, bunte Bakelite, Vitaglas, Alpaca, Chrom und Nickel… Und New York, Paris, London, Berlin, und mit gewisser Einschränkung sogar Wien mit seinen beispielhaft modernen „Wiener Werkstätten”, also die Metropolen, machen diesen Taumel des „Designs” mit: Zackenstil und Art dėco sind die Losungswörter… „roaring twen- ties” und „tolle 30er” das Ergebnis!

Nun zeigen die Eternit-Werke in ihren Büroräumen, Prinz-Eugen- Straße 8, eine wichtige Ausstellung der Architektur dieser aufregenden zwanziger Jahre; eine Schau, die für Wien als Information um so wichtiger ist, als man hierzulande eigentlich bisher verschlafen hat, was in Westeuropa und den USA passiert ist; Seit der denkwürdigen Ausstellung des Minneapolis Institute of Arts (1970) und großen Ausstellungen in New York und Paris ist Art dėco einer der großen Trümpfe des internationalen Kunstmarkts. Gebrauchsgegenstände, Silber, Schmuck, Bilder, Möbel, Plastiken dieser Jahre sind gefragte Raritäten, die auf den großen Auktionen oft Sensationspreise erzielen. Londons „Studio Vista”, der Thames & Hudson-Verlag, die Academy Editions, der New- Yorker Walker Verlag und St. Mar- tins’s Press, im deutschen Sprach- raum bisher vor allem Du Mont haben eine Reihe der wichtigsten Schriften und Kunstwerke dieser Zeit in anthologischen Werken vermittelt; die Architektur dieser Zeit, bislang ebenso geschmäht wie das Kunstgewerbe, erfährt endlich ihre längst fällige Würdigung; nicht zuletzt wohl, weil wir entdecken, daß wir mit dem streng-rationalistischen Konstruktivismus, mit Materialgerechtigkeit und Loos’ erstem Satz vom „Ornament als Verbrechen” allmählich doch auch in eine „verbrauchte Atmosphäre” geschlittert sind und nun überall nach emotioneller Belebung suchen: ln den weiterlebenden Bizarrerien des Jugendstils— man sehe sich nur New Yorks berühmtes TWA-Flugliniengebäude an —, in der Groteske des Art dėco, in der Entdeckung des Historismus, in gewissen romantisch-dekorativen Elementen, die der modernen Architektur neue Akzente geben.

Natürlich, in Wien hört man noch immer den erschreckten Aufschrei: und das soll Kunst, soll schön sein?” wenn man länger vor einer Auslage steht, in der Art-dėco-Ob- jekte liegen. Noch immer wirkt dieser Stil wie ein Schock, noch immer fühlt sich das Publikum von der gewagten Extravaganz der Formen, Linien, Farben, dieser bewußten Vermengung und Überschneidung von Erlesenem und Trivialem, von der Neigung zum pretiösen Kitsch „überfahren”: „Das Zeug hab’ ich vor ein paar Jahren weggeworfen”, hörte ich sogar eine staunende Dame sagen, als sie vor einer Bakelit- Rauchgamitur stand. Und jeder Juwelier wird bestätigen, daß in Wien noch immer die Schmuckstücke dieser Zeit zertrümmert, die Edelsteine herausgebrochen und das Gold eingeschmolzen wird, weil diese Zackenstilbroschen und Armreifen sonst kein Mensch kauft

Keine Frage: an der Aversion des Publikums ist natürlich nicht zuletzt der Mangel an Information schuld. Man hat es hierzulande nie unternommen, auf die Bedeutung dieses Stils in Europa hinzuweisen, man hat ihn nie in seinem ganzen verschwenderischen Reichtum, in seiner luxuriösen Pracht in einer Ausstellung gezeigt; und man hat, sofern Art dėco in Wien in größeren Ensembles vorhanden war, diese kaum bewahrt, ja die herrlichen Interieurs in Geschäften und Wohnungen demoliert, weggeworfen.

Spät, zu spät kommt die Erkenntnis: Und wir müssen eigentlich schon in die Museen Westeuropas und der USA gehen, um bestaunen zu können, was das gerade damals ungemein kreative Wien hervorgebracht hat.

Immerhin wir haben allerdings architektonische Werke, die wert sind, an den Hauptleistungen der Architektur Europas und den USA gemessen zu werden: darunter einige Gemeindebauten, den Rabenhof, die Sandleiten-Straßenbauten, den Ha- nuschhof in der Laxenburgerstraße, den Marx-Hof, einige „Werkstätten”- Villen, Fabrikbauten… Einiges davon ist in der Ausstellung in der Prinz-Eugen-Straße zu bestaunen: Bauten, die an Originalität etwa den Villen eines Mallet-Stevens durchaus ebenbürtig sind. Man muß in Wien nur endlich auf sie aufmerksam machen und demonstrieren, in welchem internationalen Zusammenhang diese Werke zu sehen sind.

Stilistische Überlegungen waren bei dieser Schau allerdings nicht aussohl aggebend: Konstruktivisti sche Projekte wie die ,,Leninrostra”, Tatlins Projekte, das berühmte Strasbourger Cabaret „Aubette” des dadaistischen Architekten-Malers Theo van Doesburg von 1927, Gro- pius’ „Totales Theater”, das man in einem Zusammenhang mit Schlemmers Bauhaus-Theaterversuchen sehen sollte, kubistische Filmarchitekturen, technische Konstruktionen wie Freyssinets Hanger von Orly … Das alles steht nebeneinander, wo man eigentlich Entwicklung stärker aufzeigen und die Herkunft so mancher Ideen, vor allem den Einfluß Mendelsohns, Corbusiers, Frank Lloyd Wrights usw. zeigen müßte. Man kann jedenfalls hoffen, daß diese Schau ein Auftakt ist, endlich zu einer großen Demonstration inspiriert, was Wien in den zwanziger und dreißiger Jahren künstlerisch geleistet hat. Am internationalen Erfolg würde es dieser Schau sicher nicht mangeln

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