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Eine notwendige Bilanz

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Die usstellung

Die „Zentralvereinigung der Architekten Österreichs” zeigte im „Museum für angewandte Kunst” eine umfangreiche Ausstellung, die in einer milden Auswahl das Bauschaffen der Nachkriegszeit vorstellte. In einer gesonderten Gruppe wurden bedeutende (Josef Frank, Richard Neutra und Rudolph M. Schindler), mittlere, aber auch unbedeutende Leistungen im Ausland schaffender, österreichischer Architekten gezeigt, die, nicht auf den gleichen Zeitraum beschränkt, den übrigen Arbeiten eine ungünstige Vergleichsebene boten. Man hatte eher das Gefühl, als seien die „Ausländer” (die naturgemäß unvollständig sein mußten) nur als „Aufputz” verwendet worden. Ebenso brachten die acht Tafeln mit Bauwerken von Otto Wagner, Joseph Olbrich, Josef Hoffmann und Adolf Loos, die den Besucher empfingen, einen Anspruch iy die Ausstellung, der von den heutigen Architekten nicht mehr (oder noch nicht) gestellt werden kann.

Ein Buch

Vor einigen Wochen brachte G. E. Kidder Smith (der Autor von Sweden Builds, Italy Builds und Switzerland Builds) das Buch „The New Architecture Of Europe” heraus, das einen kritischen Führer durch die europäische Nachkriegsarchitektur darstellt. ln diesem Band wurden von der österreichischen Produktion nur vier Beispiele aufgenommen.

Somit scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein (es sind immerhin sechzehn Jahre seit Kriegsschluß vergangen), die nicht nur eine kritische Bilanz möglich macht, sondern fast darnach verlangt. Dabei drängt sich der Vergleich mit zwei früheren Perioden auf, die ähnliche Zeiträume umfaßten: zuerst die sogenannte Pionierzeit,.dig nzig Jah;ft fli;, įe rstflp Weltkrieg , und, zwischen den.beiden Kriegen. ‘diė klassische) fönt der modernen Architektur. Es sei vorweggenommen, daß die Rolle, die Österreich in diesen drei Zeitabschnitten spielte, von Periode zu Periode kleiner wurde, wenn man die gegenwärtige überhaupt noch eine „Rolle” nennen will.

Wagner, Loos, Hoffmann …

Das „Goldene Zeitalter” der modernen österreichischen Baukunst war gleich zur Zeit ihrer Geburt. Es wird heute fast keine Eröffnungsrede gehalten und kein Architekturartikel geschrieben, worin man nicht Wagner erwähnt oder Loos zitiert. Es besteht die ernste Gefahr, daß die Erhaltung des Bildes einer ruhmreichen österreichischen Baukunst nur dazu beiträgt, das Gefühl zu verbreiten, als sei „eh” alles in bester Ordnung. Vielleicht sollte man einmal die Frage stellen, ob nicht heute andere Länder mehr recht auf Wagner, Loos und Hoffmann haben als wir. Vielleicht sind die Geister, die man immer wieder beschwört, schon lange ausgewandert und haben anderswo weitergewirkt.

Man sollte mehr darauf hinweisen, unter welchen Umständen diese großen Werke geschaffen wurden: daß Otto Wagner gegen eine Flut von Intrigen und Verleumdungen zu kämpfen hatte und mit den größten Anstrengungen und mehrmals wiederholten Neuprojektierungen seine besten Entwürfe nicht verwirklichen konnte. Vielleicht sollte man mehr daran erinnern, daß Loos den ärgsten Verspottungen ausgesetzt war und Josef Hoffmann noch in unseren Tagen die größten Demütigungen erfahren mußte. Es soll, besonders unter den Studenten, immer wieder gesagt werden, daß wir diese Bauwerke nicht nur ihrem Genie, sondern ihrer großen Opferbereitschaft, ihrer kompromißlosen Haltung zu verdanken haben.

Österreich gehörte neben Amerika (durch Louis Sullivan und Frank Lloyd Wright) und Belgien (durch Henry van de Velde) mit Otto Wagner und Adolf Loos zu den großen Pionierländern der modernen Architektur. Wir besitzen nahezu dreißig Bauwerke, die für die internationale Architekturgeschichte bedeutend sind. Wir sind aber nicht einmal imstande, den Wert dieses Besitzes zu erkennen, noch bereit, ihn zu erhalten. Heute sind diese Werke noch vom Abbruch bedroht (wenn sie nicht schon demoliert oder entstellt sind); einige werden gegenwärtig abgebrochen.

Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stand unter dem Druck großer wirtschaftlicher und politischer Spannungen. Das Baugeschehen bestimmte vor allem die Gemeinde Wien, die im September 1923 den bedeutsamen Entschluß für den Bau von 25.000 Wohnungen faßte.

Unter dem Eindruck des sozialen Aufschwungs traten die besten Architekten in den Dienst der Gemeinschaft, und es entstanden jene Wohnhausanlagen, die Wien noch einmal bekannt machen sollten. Wenn man den ge ringeren Wohnkomfort (der zeitbedingt war und im wesentlichen nur die sanitären Einrichtungen betraf) beiseite läßt, so sind diese Anlagen durch ihre Konzentration und Großzügigkeit, durch den gestalterischen Schwung ihrer eindeutigen Geisteshaltung, der lebendige und bleibende Ausdruck ihrer Zeit. Die Verbürokratisierung dieses fast unüberblickbaren Bauapparates setzte jedoch bald ein, und Adolf Loos zum Beispiel war es nicht mehr gegönnt, seine weiterdrängenden Ideen zu verwirklichen. Heute scheint die Maschinerie so eingerostet zu sein, daß es nicht einmal mehr durch „Sonderbauten” möglich ist, wirkliche Impulse zu geben.

Für dieses erste Programm stand der Gemeinde Wien allerdings eine Architektengeneration zur Verfügung, die auf der Basis einer umfangreichen historischen Bildung noch selbst mithalf, den großen Umbruch zu vollziehen. Es seien nur einige Wagner- Schiiler genannt: neben Josef Hoffmann arbeiteten Oerley, Schönthal, Hoppe, Deininger und die Brüder Gess- ner, aber auch die hervorragenden Architekten Oskar Strnad, Josef Frank, Oskar Wlach, Hugo Gorge, Ernst Lichtblau, Ernst Plischke, Franz Schuster und Anton Brenner. Neben wenigen Privathäusern (größere Aufträge hatte diese Zeit nicht zu vergeben) entstand noch die „Wiener Werkbundsiedlung” als letzte geschlossene Manifestation modernen Bauens.

Spitzenleistungen von heute

Die vier Bauwerke, die Kidder Smith in seinem Buch aufgenommen hat, sind:

1. Die Wiener Stadthalle von Roland Rainer,

2. die Badeanlage „Gänsehäufel von Max Feilerer und Eugen Wörle,

3. das Volksheim Kapfenberg von Wolfgang und Traude Windbrechtin die Kirche in Farsdh von der

„Arbeitsgruppe 4”.

Böhler-Haus (Roland Rainer), der Weltausstellungspavillon (Karl Schwänzer) und die Rohrbrücken über die Donau (Firma Waagner-Biro) zur Seite gestellt werden.

Über die genannten Bauwerke wurde schon viel geschrieben, und es ist hier nicht Raum genug, sie einer eingehenden, kritischen Betrachtung zu unterziehen. Interessant ist die Tatsache, daß am Stubenring zum erstenmal ein reines Ingenieurwerk in einer Architekturausstellung erschien. Die erste Rohrbrücke (1957) hat nicht nur in Österreich großes Aufsehen erregt, sondern auf der ganzen Welt.

Wenn nun dieses Werk, mit gutem Grund, als schöpferische Leistung (die noch dazu die eines Teams ist) heute akzeptiert wird, so ist das ein wichtiger Schritt, der auch eine Gefahr birgt, allerdings nicht für die Technik (soweit sie nicht ihre Gesetze verläßt oder verleugnet), sondern für die Architektur. Diese ist nämlich heute daran (nachdem man schon lange den ästhetischen Reiz technischer Produkte erkannt hat), die Technik oder, besser, die Konstruktion als dekoratives Element zu verwenden, wodurch es zu den schlimmsten Entgleisungen kommt.

In Wien ist eine solche Entgleisung an einem repräsentativen Bauwerk zu finden, und zwar am Hauptgebäude des Schwechater Flugplatzes, wo die außen dramatisch sichtbaren Spannseile überhaupt keine statische Funktion haben, sondern lediglich als effektvolle Dekoration Verwendung fanden. Obendrein ist das Ganze eine verantwortungslose Verschwendung öffentlicher Mittel.

Das gute Niveau

Versucht man aus den weiteren ausgestellten Bauwerken eine Auswahl zu treffen, so wird man sich für das Dampfkraftwerk von Hoppemberger, die Kirche von Josef Lackner, die Dampferanlegestelle von Eugen Wachberger, die Messehalle von Oratsch und Haidvogel und das Mädchenheim von Carl Auböck entschließen. Der Börseumbau von Boltenstern, das Festspielhaus von Holzmeister und das Salzburger Haus von Oswald Haerdtl nehmen eine Sonderstellung ei t und sind in einem anderen (historischen) Zusammenhang zu sehen.

An diese Gruppe schließen Franz Schuster (Wohnhausanlage Interbau, Berlin, und Einfamilienhaus Darmstadt), Wilhelm Schütte (Schule Wien), Ernst Mühlberg (Raffinerieheizkraftwerk, Schwechat), Ferdinand Schuster (Stadion und Siedlung Kapfenberg), Ferdinand Kitt (Haus Kritzendorf), Garstenauer und Freund (Tankstelle Bad-Ischl), Emmerich Donau (Verwaltungsgebäude Zeltweg, Wohn- und Bürohaus, Berg- und Hüttenschuie, beide Leoben) und Artur Perotti, Ernst Hiesmayer und Willi Stiegler mit ihren Arbeiten an.

Bisher wurden ungefähr ein Drittel der ausgestellten Architekten aufgezählt. Für die Ausstellung wäre es vorteilhaft, wenn der Rest wegfallen würde. Wie man hört, soll sie durch mehrere europäische Länder, aber auch nach Südamerika gehen.

Das tiefe Niveau

Woraus erklärt sich aber das tiefe Niveau Österreichs, die große Summe von schlechten Bauwerken, die, seit 1945 entstanden, unserem Land ein neues, häßliches Gesicht geben?

Im vorigen Kapitel wurden ungefähr dreißig Architekten aufgezählt, aber nur ihre besten Bauwerke erwähnt Mit skandinavischen oder Schweizer Maßstäben verglichen, müßten aber dreihundert Architekten vorhanden sein, die mit ihrer ganzen Produktion dieses Niveau halten. Damit berühren wir aber einen heiklen Punkt: Wieviel Prozent seiner Planungen würde ein gutgehendes Architekturbüro nicht in einer Ausstellung zeigen? Wie groß ist der Anteil der Arbeit, für die sich früher oder später der Architekt schämt?

Trifft dafür nur den Architekten die Schuld, oder auch den Bauherrn, die Behörde oder das Baugewerbe? Welchen Kampf führt aber der Architekt in dieser nun schon lange anhaltenden Situation? Wie viele Aufträge werden jährlich aus Gewissensgründen abgelehnt? Die Gemeinde Wien, als großer Bauherr, könnte eine Liste an- legen. Oder kann man die Fälle, die ui den letzten 16 Jahren vorkamen, an einer Hand abzählen?

Man spricht viel von einer neuen Gründerzeit. Und damit kämen wir wieder zu Wagner, Loos und Hoffmann. Kommen wir?

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