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Los von Loos ?

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Adolf Loos, dessen 50. Todestag wir am 23. August dieses Jahres erleben, gehört zu den ganz wenigen Menschen, die lange nach ihrem Tode weit in das Leben späterer Generationen hineinleuchten, wobei diese Leuchtkraft mit dem zeitlich zunehmenden Abstand ständig an Intensität zunimmt.

Worin ist diese Leuchtkraft begründet wie auch die scharfen Schatten, die dadurch entstehen? Wie kann uns Loos heute als Vorbild für unsere Architektur und auch für unser Leben helfen?

Loos wurde am 10. Dezember 1870 als Sohn eines Steinmetzmeisters und Bildhauers in Brünn geboren. Hier lernter das Handwerk kennen. Im 12. Lebensjahr beginnt die Schwerhörigkeit, die gegen Ende seines Lebens zur völligen Taubheit führt. Auch hier könnte ein Grund für die unglaubliche Sensibilität liegen, die für Loos ein Leben lang kennzeichnend war.

Nach kurzem Studium an der Technischen Hochschule in Dresden folgen drei Jahre Aufenthalt in Amerika. Als Tellerwäscher, Gelegenheitsarbeiter und auch Zeichner lernt er die verschiedenen Aspekte einer von der Industriellen Revolution erfaßten Gesellschaft kennen. Was er mitbringt, ist nicht - wie fälschlicherweise oft vermerkt wird - der „Antiamerikanismus", sondern ein soziales Engagement für die Arbeiter. 1896 kehrt er nach Wien zurück, arbeitet kurzfristig bei einem Baumeister und schreibt in der „Neuen Freien Presse".

1904-1906 konnte er sein erstes Haus bauen: die Villa Karma. 1908 erschien der Aufsatz „Ornament und Verbrechen", der weltweit Aufsehen erregte. 1910-11 entstand sein wichtigster aber auch schwierigster Bau, das Loos-Haus am Michaelerplatz in Wien. 1912 gründet er eine eigene Bauschule. Es folgt der freiwillige Militärdienst. Infolge der ständigen Aufregungen stellt sich ein langwieriges Magenleiden ein.

1920-22 finden wir Loos als Chefarchitekt des Siedlungsamtes der Gemeinde Wien. 1922-27 lebt er in Paris und an der französischen Riviera. Vorträge an der Sorbonne, kleine Bauten. 1928 Rückkehr nach Wien, Reisen.

1931 wirft ihn ein schweres Nervenleiden niefder. Aufenthalte in der Nervenheilanstalt Rosenhügel Wien folgen. Trotzdem wieder Reisen: Paris, Riviera, Tschechoslowakei. Sein letztes Werk: Die Arbeitersiedlung Babi bei Nach-od in Nordböhmen. 1933 letzte Reise nach Prag. Uberführung in ein Sanatorium in Kalksburg, in dem er sein Leben beendete.

Die Tragik und Größe des Menschen Adolf Loos ist durch die nüchternen Fakten seiner Biographie hindurch nur ansatzweise ahnbar. Seine schon früh einsetzende Krankheit, seine Kompromißlosigkeit und seine Uberzeugung, an einem ganz entscheidenden Wendepunkt der Menschheitsgeschichte zu stehen, der zu Reaktionen zwingen muß, führten ihn automatisch in die eiskalten Regionen der Einsariikeit. Er wußte, daß nur dann neue Gedanken durchbrechen können, wenn sie mit kristalliner Klarheit und betonter Schärfe dargestellt werden und keine Umwege zulassen.

So bekämpfte er in zahlreichen Artikeln und Vorträgen alles, was dieser Klarheit im Wege stand: das Kunstgewerbe, die Wiener Werkstätten, die Wiener Küche, die falsche Bekleidung und jene Architekten, die das Bauen in die Kategorie „Kunst" einordneten. Er wurde für die Mitbürger ein „Unbequemer", einer, der die Ruhe störte, einer, der an der bestehenden Ordnung rüttelte-ein Außenseiter der noch im „Pomp" und falscher Pracht vergangener Zeiten schlafenden Gesellschaft.

Und außerdem: Er, der nie „wirklich" Architekt wurde, der sich immer bescheiden als „Handwerker" bezeichnete, der — trotz Verbot von selten der Akademien — sogar eine eigene von vielen Hörern besuchte Bauschule gründete, er, der nie ein eigenes Architektenbüro besaß, nie einen Bauplan zeichnete und zu seinem Freundeskreis lauter Menschen zählte, die genau wie er als „unbequem" galten (wie z. B. Karl Kraus, Peter Altenberg, Arnold Schönberg, Oskar Kokoschka), so einer mußte an der Phalanx der „Ordnungshüter" scheitern. Kein Wunder, daß er schließlich, ohne Aufträge und Anerkennung, resignierte.

Er war, wie Zeitgenossen erzählen, eine faszinierende Persönlichkeit, äußerst reserviert, immer höflich und zuvorkommend, mit den meisten Freunden zeitlebens per „Sie". Sein Auftreten war bescheiden, aber bestimmt. Sprichwörtlich war seine Hilfsbereitschaft und sein Interesse auch für die Armen und Hilflosen. Menschlichkeit war für ihn so etwas wie ein Gesetz.

Es gibt in den verschiedenen sehr umfassenden Publikationen lückenlose Werkverzeichnisse, auf die ich hier verweisen möchte. Von den 138 ausgeführten Bauten betreffen drei Großprojekte (Strukturpläne von Siedlungen, teilweise ausgeführt), 34 Wohnhäuser, meist Villen, 32 Lokale, 56 Wohnungen und drei Gedächtnisstätten. Von diesen sind 65 zerstört und 20 nur mehr fragmentarisch vorhanden. 15 sind fast unverändert bzw. saniert vorhanden und stehen unter Denkmalschutz. ^

Sein wichtigster Bau, das Loos-Haus am Michaelerplatz in Wien, dürfte gleichzeitig auch aufgrund der großen Schwierigkeiten, die mit diesem Bau verbunden waren, Hauptschuld an seinem so frühen Tod tragen.

Wer sich das Vergnügen bereiten sollte, die noch erhaltenen Bauten wirklich eingehend zu besichtigen, der wird verstehen lernen, was Loos mit dem Essay „Ornament und Verbrechen" wirklich meinte. Dieses Essay war und ist Ausgangspunkt vieler Mißverständnisse bis heute. Man hat endlich - und das ist ja eine beliebte Praktik unserer Gesellschaft - einen Sündenbock für das geist-, gesichtslose und stereotype Bauen unserer Gegenwart gefunden. Der Schlachtruf des Malers Hundertwasser „Los von Loos" klingt vielen Bürgern sehr wohltuend in den Ohren.

Ich weiß nicht, was hier stärker wirkt: Dummheit oder Mangel an Moral?

Loos ging es in erster Linie um das sinnlose und an Uberladung kaum mehr überbietbare Ornamentieren von Fassaden. Es ging ihm darum, unverstandene Symbolik abzulegen, Prunksucht einzudämmen, Klarheit zu schaffen. Ein Repertoire an Ornamenten, das unverständliche Symbole verwendet, kann nicht verstanden werden. Wozu also diese enormen Anstrengungen? Sind sie vertretbar, wenn hinter diesen Ornamenten Bass«nawohnungen liegen und Menschen primitiv wohnen müssen?

Im Geist von Adolf Loos weiterleben? Ja. Wir müssen versuchen, diesen Geist zu erfahren und zu begreifen lernen. Er betrifft ja nicht nur das Bauen, sondern das Leben in seiner Gesamtheit. Hilfe könnten einige aus seinem Werk gefilterte Gedanken leisten:

• Unversehrtheit der Individualität und größte Diskretion für die persönliche Sphäre;

• strengste Konsequenz in der Sache und uneingeschränkte Toleranz für den Menschen;

• Untrennbarkeit von Ethik und Ästhetik;

• auch bei kleinen Aufgaben nie auf die großen Zusammenhänge vergessen.

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