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HEINRICH KULKA / ÜBERLIEFERER EINER ARCHITEKTURTRADITION

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Wer das Werk von Adolf Loos kennt, kennt auch den Namen Heinrich Kulka. Er ist der Autor des ersten und bis heute unersetzlichen Buches über den Architekten (1931, Schroll-Verlag). Über die Person Kulkas wußte man jedoch kaum mehr, als daß er in der Emigration lebt. Nach 28 Jahren ist Kulka nun mit seiner Frau auf einen kurzen privaten Besuch in seihe Heimat zurückgekehrt.

1900 in Mähren (in Litovel bei Olmütz) geboren, wurde Kulka

1938 vertrieben und ließ sich — wie Ernst Plischke — in Neuseeland nieder. 1919 — also als ganz junger Mann — hatte er Adolf Loos kennengelernt und blieb ihm bis zu seinem Tode, 1933, als Schüler, Mitarbeiter und Freund eng verbunden. Verschiedene Arbeiten, darunter der Entwurf für das Haus Josephine Bakers, das Doppelhaus auf der Wiener Werkbundsiedlung, das Pariser Knize-Geschäft und vor allem das Landhaus Khuner in Payerbach müßte man als Gemeinschaftsarbeiten von Loos und Kulka ansprechen, wenn Kulka nicht in ehrlicher Bescheidenheit vor dem Genie, das seine Ansichten geprägt hat, in den Hintergrund getreten wäre.

Nach Loos’ Tod entwarf Kulka einige Häuser und Einrichtungen in Wien, Gablonz, Pilsen und im Böhmerwald, schließlich 1945 sein eigenes Haus und ab 1958 Häuser für zahlreiche Klienten in Neuseeland, wo nicht nur die Sonne vom Norden scheint, sondern sich auch viele andere Gesichtspunkte umkehren. „Wenn Loos in Wien gesagt hat: ,Seid um Gottes willen praktisch", so muß man in Neuseeland sagen: ,Seid um Gottes willen nicht nur praktisch!" "

In einem informellen Gesprächsabend, den die österreichische Gesellschaft für Archi tektur veranstaltete, kam Kulka — fast verwundert, Interesse für das kulturelle Wien seiner Jugendzeit vorzufinden — auf verschiedenste Themen zu sprechen. Befragt, welche Fassung er dem „Loos-Gedanken" heute geben würde, antwortete er, Loos hätte zweifellos alle technischen Errungenschaften des Nachkriegsbauens akzeptiert, aber er hätte „nie etwas Totes“ gemacht, es wäre ihm beispielsweise nie passiert, daß eine Vorhangfassade sich so verselbständigt, daß man vermuten müßte, in dem betreffenden Gebäude würden Eiswürfel erzeugt. Loos hätte immer danach getrachtet, auszudrücken, was in einem Gebäude vargeht, und es auf die liebenswürdigste Weise auszudrücken.

Loos habe danach gestrebt, mit einem Minimum an Aufwand — der schmälsten, steilsten Stiege, dem kleinsten Raum — ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Dieser Gedanke hat Kulka weiterhin beschäftigt; der Begriff „Raumplan“ für Loos’ Entwurfsdenken in mehreren Ebenen ist von ihm geprägt worden. In einem eigenen Entwurf hat Kulka den Raumplan des Hauses Rufer (1922) von zehn mal zehn Meter unterboten und ein räumlich differenziertes Haus auf sieben mal sieben Meter untergebracht.

Der Mensch, dem diese Ökonomie gelte, sei nach Loos der „Mensch mit den modernen Nerven“. Die „Nerven“ sind ein wenig beachteter, aber höchst bedeutsamer Begriff jener Zeit, der sowohl den Instinkt, das Triebhafte, das Unbewußte als auch das Zivilisierte, die Veredelung durch Kultur, den empfindsamen Geist einschließt. Auch bei Karl Kraus kommen die „Nerven“ vor; Oskar Kokoschka hat sie sogar auf Bildern dargestellt. Die „modernen Nerven“ sind noch nicht unmodern geworden; deshalb ist Kulka mit Recht der Meinung, daß der technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte die Fragen des Wohnhauses nur am Rande beeinflußt hat.

Von den vielen Gesprächen, die Kulka mit Loos geführt, oder bei denen er ihm vielmehr zugehört hat, wußte er noch vor einigen Jahren wichtige Partien auswendig — heute beginnt, wie er sagt, die Erinnerung nachzulassen. Man kann nur hoffen, daß sein kurzer Wiener Aufenthalt Kulka in der Absicht bestärkt, seine Erinnerungen schriftlich niederzulegen. Es wären die Zeugnisse eines Mannes, der die Welt und die Zeit Adolf Loos’ in sich auf genommen hat, ohne in seiner Perspektive in ihr stehenzubleiben.

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