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Kriegssdiuldluge in zweiter Auflage

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Kategorien denken und rechten, die Lichnowsky, Eulenburg und wohl auch der Autor gebrauchen, dann muBte man nachtraglich sagen: lei­der bleib nichts anderes iibrig.

Im anderen Fall resiimiert der Leser nach 80 Seiten, die auch weni-ger Fachkundigen den Aspekt einer gewissen heutigen Geschichtsphilo-sophie in Deutschland offenbaren: ein Produkt jener Partisanenlitera-tur der Wissenschaft, die seit den Publikationen der russischen Kom-munisten iiber die zaristische Kriegspolitik und seit der Geschichts-schreibung des Hitlerismus gan-gig wurde.

In diesen Tagen verkaufte unser Buchverlag „Herold“ das letzte Exemplar des Werkes „Samtliche Schriften“ von Adolf Loos. Genau neun Jahre sind seit dem Erscheinen des Buches vergangen.

Am 25. Februar 1963 stellte unser Verlag in einer groBen Pressekonferenz im Palais Palffy am Josefsplatz das soeben er-schienene Buch der Offentlich-keit vor. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Es war ein nebliger Wintertag, aber mein Verleger-herz war voller Freude. Ein langgehegter persdnlicher Traum ging mit dem Erscheinen dieses Buches in Erfiillung.

Anfang 1940 brachte mein Bru-der, selbst Architekt — er war ein Schiiler und Assistent des be-riihmten Berliner Architekten Pdltzig und ist seit 1946 Ordina-rius fiir Architektur an der Technischen Hochschule Graz — zwei kleine, ' rot eingebundene Biicher nach Hause. Es waren die Biicher „Trotzdem“ und „Ins Leere gesprochen“ von Adolf Loos, die zu Beginn der dreiBiger Jahre in Paris erschienen waren. Anfang 1940 wurden die Waren

Rezensionen nieder. „Es wird kaum ein Buch geben“, schrieb einer der Rezensenten, „das so erwartet wurde wie dieses. Man hat damit nicht nur dreiBig Jahre nach dem Tod Adolf Loos' eine osterreichische Ehrenpflicht erfullt und ein bedeutendes hi-storisches Dokument wieder zu-ganglich gemacht, sondern man leistet damit einen Beitrag fiir die Zukunft.“ „Adolf Loos spricht wieder“, sagte ein anderer Jour­nalist. „Ob weiterhin ins Leere, hangt jetzt nur noch von uns ab. Denn es ist etwas Unglaubliches passiert: Die Biicher, die man lange Zeit nur in den Bucherlisten der Antiquariate gefunden, die man ausgeborgt und nie mehr zuruckbekommen hat, liegen wieder in der Auslage. Ein klei-nes osterreichisches Wunder.“ „Das Buch gehort in alle Schu-len“, schrieb ein weiterer Kri­tiker. „Besonders empfohlen sei es aber den Politikern, alien offentlichen und privaten Bau-herren, alien Bauleuten, den Sied-lungsgenossenschaften und den Besitzern von Loos-Hausern.“

Aber das osterreichische Wun­der, das ein Journalist prophezeit hatte, fand nicht statt und ein Traum zerrann:

Wir hatten „nur“ 4000 Exem­plare aufgelegt und ich traumte, daB diese bald vergriffen sein wurden und eine 2. Auflage folgen wiirde. Das groBe journalistische Echo, das das Erscheinen des ersten Bandes hervorgerufen hatte, lieB diesen Traum nicht als irreal erscheinen. Aber wieder einmal zeigte es sich, daB Jour-nalisten anders denken als die Offentlichkeit. Trotz einer enor-men Propaganda begegnete das Buch eigentlich keinem groBen Interesse in der Offentlichkeit. Wir bendtigten neun Jahre, um diese armseligen 4000 Exemplare zu verkaufen. Von einer zweiten Auflage ist natiirlich nicht mehr die Rede. Auch alle Versuche, diese beiden Biicher von Adolf Loos in einem Taschenbuchverlag unterzubringen, schlugen fehl. Nur Ubersetzungen ins Italienische und Spanische wurden verlegt. Nicht einmal die Feier des 100. Geburtstages des Architek­ten im Jahre 1970 forderte den Absatz in besonderer Weise. Auf meine Bitte, die Gemeinde Wien moge doch eine eritsprechende Anzahl von Exemplaren dieses Werkes ihres ehemaligen Chef-architekten ankaufen, erhielt ich die Antwort, daB hiezu leider keine Mittel vorhanden seien. Anscheinend waren nicht ein­mal Mittel vorhanden, um eine armselige Blechtafel am beriihmten Adolf-Loos-Haus am Michaelerplatz anzubringen, wie sie hunderte andere offentliche Bauten Wiens unter dem Motto „Eine Stadt stellt sich vor“ zdert. Nur eine — allerdings sehr schone — Marmortafel wurde dank der Intransigenz der Osterreichi­schen Architektenvereinigung am Wohnhaus von Loos in der B6-sendorferstraBe angebracht und eine StraBe in einem Wiener Vor-ort nach Adolf Loos benannt, in-mitten von Neubauten, die allem Hohn sprechen, was Adolf Loos gelehrt hat. Und der zweite Band der „Samtlichen Schriften“ er-schien infolge der Kranklichkeit des Herausgebers bis heute nicht. So ist der 25. Februar der Tag, an dem vor neun Jahren die bei­den Biicher von Adolf Loos in einem Band wieder erschienen, eigentlich ein Tag der traurigen Erinnerung. Denn das Wunder, von dem damals ein Journalist sprach, fand wieder nicht statt und der Verkauf von 4000 Exem­plaren in neun Jahren ist eigent­lich eine traurige Volksabstim-mung. Loos scheint weiterhin „Ins Leere zu sprechen“.

ZWEI DEUTSCHE FURSTEN ZUR KRIEGSSCHULDFRAGE, Lich­nowsky und Eulenburg und der Ausbruch des ersten Weltkriegs. Eine Dokumentation von John C. G. Riihl. Droste-Verlag, Dussel-dorf 1971, 80 Seiten.

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