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Ins Leere gebaut

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Ueber Architektur in Oesterreich sprechen heißt ins Leere sprechen. So faßte es Adolf Loos auf und tat es trotzdem. Sein Beispiel ist verpflichtend. So werden auch diese Zeilen trotzdem geschrieben.

Der Anlaß ist eine Ausstellung der Zentralvereini- gung der Architekten „50 Jahre Architektur“ im Museum für angewandte Kunst, Wien I, Weiskirchnerstraße 3. Sie zeigt Arbeiten von (ausländischen) Ehrenmitgliedern, im Ausland lebenden Mitgliedern und verstorbenen Mitgliedern der Zentralvereinigung der Architekten.

Wer die Ausstellung besucht, findet am Eingang einen hektographierten Text vor, in dem es heißt: „Es war ein stürmischer Geschichtsablauf... Er brachte den endgültigen Bruch mit der historischen Stilarchitektur zugunsten eines .NEUEN BAUENS“, welches der wahre Ausdruck unseres Jahrhunderts mit seinen grundlegenden Veränderungen und Neuerungen wurde. — Oesterreichs Beitrag zur Architektur des 20. Jahrhunderts wird bei uns selten gebührend gewürdigt oder verstanden. Die ausgestellten Arbeiten von Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos, von Strnad und Frank, Lichtblau, Plischke und Richard Neutra mögen daran erinnern, daß Wien einer der Kern- und Quellpunkte europäischen Architekturfortschrittes ist.“

Das ist wahr. Aber wem sagt man das? Wohl nicht dem Gros derjenigen, die für die heute entstehenden Wohnbauten und Kirchen, Verwaltungspaläste und Bürohochhäuser verantwortlich sind? Oder doch? Ob sie aber die Ausstellung überhaupt besuchen werden? 1st die Kluft zwischen der Leitung der Zentralvereinigung und den Modearchitekten heute schon so groß?

Wahrlich, es ist ein großes Erbe, das Erbe der Wagner, Olbrich, Hoffmann, Behrens, Loos und Frank, die in ihren Bestrebungen oft weit voneinander abwichen. Aber es ist ein verworfenes Erbe. Die 'großen- Bahnbrecher, die kühn in ihrer Architektur 'und fcüHn'Im Leben %äreni ¥atfei£ käüth Nachfolge? gefunden. Das „ist" im letzten Satz ist längst ein „war“ geworden: Wien war Weltstadt. Es ist beinahe gleichgültig, ob wir die Architekten, die die Ausstellung ehrt (nun, da fast alle tot sind), wirk lich auf diese Art ehren. Mut, der einem hinterher kommt, ist wertlos.

Das Tragische ist: sie haben ins Leere gebaut.

Wir meinen nicht, daß man heute so bauen soll, wie sie bauten. Sondern wir meinen, daß diese Architekten auf der Höhe ihrer Zeit waren und dem Zeitgeist Ausdruck gaben. Und daß man heute über sie hinausgehen muß, um weiter auf der Höhe der Zeit zu sein. Nicht hinter ihnen Zurückbleiben.

Die Ausnahmen, die heute unter uns wirken, sind bekannt. Ihr Wirken ist besonders anzuerkennen, da sie eben als Ausnahmen wirken. Wir haben oft auf sie hingewiesen und brauchen ihre Namen hier nicht zu wiederholen.

Man sehe sich die Wiener Postsparkasse von Otto Wagner an und dann irgendein neuerrichtetes Postamt. Die Kirche Am Steinhof von Otto Wagner und eine Kirche von Hruska. Das Haus am Michaeler- platz von Adolf Loos und den neuen Heinrichshof. Man gehe in die Ausstellung und sehe sich das Stadtmuseum am Karlsplatz an, wie es Otto Wagner geplant hatte. Und dann gehe man auf den Karlsplatz und sehe hin, wie es heute gebaut wird. Und man vergleiche, was besser ist. Man sehe sich die Photos vom Palais Stoclet an, das Josef Hoffmann in Brüssel baute (ein Haus, dessen Fassaden so kostbar gefaßt sind wie ein Bucheinband), und dann sehe man sich die Villen in Pötzleinsdorf an, die Lippert dort baute. Und man vergleiche. Man sehe sich einen Bau von Josef Frank an und dann das Mercedeshaus in der Operngasse mit seinen mißglückten Proportionen und seinem Marmor. Man lese die vielen Aussprüche großer Architekten, die in der Ausstellung wiedergegeben sind: von Wagner, Frank, Loos, von Le Corbusier, Neutra, Mies van der Rohe, Henry van de Velde (nicht: van der Velde). Und mari prüfe, was davon heute verwirklicht wird. Man lese ihre Bücher, durchdenke ihr Konzept. Und dann, sucĮię map nach .einem geisfjggn _Kojjz?p.t ię_ den. jfln rej -Bauten, .heute jüsWi?B:i r te& ?'' Nach der Bauidee und nach der Weitsicht,-von der sie bestimmt wird. Man wird vergeblich suchen.

Baugesinnung ist selten geworden in unserer Zeit. Das ist es, was uns so traurie macht.

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