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EIN BRIEF ZVM FALL LE CORBUSIER

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In der „Furche“ vom 9. Februar erschien ein Aufsatz über Le Corbusier, verfaßt von Dr. Wieland Schmied, unter dem Titel „Der Architekt als Fußgänger“. So sehr das Interesse des Verfassers an der Persönlichkeit des berühmten Mannes lobenswert erscheint, so verwirrend können seine Aeußerungen über die komplizierte Erscheinung Le Corbusiers wirken. Es ist einmal das Schicksal der Architektur, daß sie durch ihre Sinnfälligkeit es scheinbar so leicht macht, über ihre Erscheinungen zu urteilen. Erlauben Sie mir, nun meine persönliche Ansicht zu dem Thema des Aufsatzes zu äußern:

Der letzte Absatz gipfelt in dem Wunsch, daß öffentliche oder private Stellen möglichst mehrere Aufträge an Le Corbusier vergeben möchten und heißt wörtlich: „Wird es nur die Bevölkerung bleiben, die Le Corbusier als einen der großen Architekten unseres Jahrhunderts entdeckt oder werden auch die öffentlichen oder privaten Stellen oder Persönlichkeiten, die über die Vergebung von Bauaufträgen zu entscheiden haben, in ihm den genialen Architekten unserer Epoche erkennen? Nur wenige Architekten, von Roland Rainer bis zur Arbeitsgruppe 4, bemühen sich bei uns, eine Situation der Stagnation, in der das Mittelmaß Triumphe feiert, zu überwinden. Es wäre der schönste Erfolg dieser Ausstellung, die von Innsbruck aus nach Salzburg, Linz, Graz und Wien gehen soll — in manchen Städten bemühen sich sogar mehrere Stellen um sie —, wenn sie Oesterreich zu einem Bauwerk von Le Corbusier verhelfen würde. Oder zu mehreren.“

Für die Architektengeneration unserer Zeit, die das Werk Pierre Jeannerets seit mehr als dreißig Jahren kennt und daher vorsichtiger urteilt, ist Le Corbusier der rede- und schreibgewaltige Erreger neuer und oft fruchttragender Ideen geworden, der vielleicht stärker eben durch Wort und Schrift, als durch seine Bauten überzeugt hat. Aber das ist ja weitgehend bekannt. Ich führe deshalb nur ein Beispiel an: V/enn Dr. W. Schmied vom „berühmtesten Werk“ Le Corbusiers schreibt, der Wohnhausanlage in Marseille, „daß alle seine Einrichtungen zu einer neuen Gemeinschaftsbildung beigetragen haben“, so muß leider festgestellt werden, daß gerade in diesem Haus bis vor kurzem viele Wohnungen unbewohnt waren, obwohl es seit Jahren fertiggestellt ist. Trotz Herabsetzung der Mieten gelang es nicht, die Wohnungen anzubringen! Von einer „Gemeinschaftsbildung“ kann wahrlich nicht die Rede sein. Die Kosten je Quadratmeter Wohn fläche waren sechsmal so groß, wie es bei einem normalen Wohnbau sein darf, und der Bericht des Rechnungshofes darüber umfaßt kritische 60 Seiten. Derartige Experimente sind verständlicherweise in Oesterreich gänzlich ausgeschlossen.

Ich führe dieses Beispiel nicht an, um über das schillernde Werk Le Corbusier zu urteilen — es gibt unzählige umfassende Schriftsätze darüber —, sondern nur um aufzuzeigen, wie müßig es ist, über Probleme zu schreiben, die in ihrem ganzen Umfang entweder unbekannt sind oder nicht erfaßt werden.

Es würde mich aufrichtig freuen, wenn in Hinkunft über Probleme der Architektur wirkliche Fachleute — und deren haben wir keinen Mangel — in Ihrer Wochenschrift schreiben würden und wir würden uns eines verwirrenden Eindruckes auf Laien entheben.

Gerade wer mit jungen Architekten viel zu tun hat — und jedes größere Atelier ist heute beinahe „Seminar“ —, weiß, wie groß die Gefahr gerade für die Jungen ist, von den bedeutenden Erscheinungen des neuen Bauens zu leben und aus den ausgezeichneten Architekturzeitschriften zu kopieren. Aber geht unsere Aufgabe nicht weiter und tiefer? Müssen wir nicht trotz oder gerade wegen aller äußeren Eindrücke und Anregungen, selbst schaffen, und zwar auf unsere Art? 1st es nicht auch unsere Aufgabe, hier in Oesterreich über alle Schlagwörter hinauszuwachsen?

Im Darmstädter Gespräch, 1951, hat Professor Bonatz uns einmal folgendes zugerufen: „Die Gefahr des Gespräches ist die Einengung durch Parolen und die Ueberschätzung der Schlagwörter. So warte ich darauf, bis spezielle Einengungen kommen, etwa: weil nun Skelettbau und Glas erfunden sind, daß in Zukunft alle Bauten von oben bis unten und von rechts nach links nur noch Glas zeigen dürften — oder: daß Mauern verpönt seien, vor allem aber die Symmetrie, und daß man, nachdem ganz neuerdings die ,Organik' erfunden sei, nun organisch bauen müsse. Macht aus solchen Dingen nicht immer gleich eine Weltanschauung und Kampfparole. Der liebe Gott hat so viele verschiedenartige Tiere in seiner Menagerie, sie wollen alle leben, sie haben alle recht, also laßt jedem seine Freiheit und glaubt vor allem nicht, daß das Parteiabzeichen oder das Rezept genüge. Das, worauf es ankommt, liegt dahinter, es muß Herz und Drang und Wärme da sein, vom leeren Schema haben wir nichts.“

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