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LE CORBUSIER / FAST EIN UNBEKANNTER

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Am späten Vormittag des 27. August erlitt Charles Edouard Jeanneret in seinem Ferienort bei Monako beim Schwimmen einen Herzschlag und ertrank fünfzig Meter von der Küste entfernt. Le Corbusier, wie er sich genannt hatte, war ein großer Architekt und eine Weltberühmt-heit. Ähnlich wie Picasso vereinigte er wirkliches Genie mit wirklicher Publizität.

1923 erschien sein Buch „Vers une Architecture“, das die neue Welt der Schiffe, Automobile und Flugzeuge den Denkmalen historischer Baukunst gegenüberstellte. In betdem fand er den Sinn für Klarheit und Präzision und schuf den mehrsinnigen Begriff „Standard“, der einerseits genau bestimmbare technische Leistungsfähigkeit („Würde das Problem des Wohnens und des Wohnraums so sorgfältig durchstudiert wie ein Autogesteil, so sähe man mit einem Schlag unsere Häuser sich verwandeln und besser werden“) und anderseits die darauf beruhende Höchstleistung des einzelnen, die künstlerische Vollendung bezeichnet („Parthenon — der Bruchteil eines Millimeters spricht mit. Die Krümmung des Echinus ist ebenso gesetzmäßig wie jene einer schweren Granate“). Alle diese Gedanken waren bereits längst vorbereitet, aber ihre polemische Zusammenfassung und Kombination mit wegweisenden Entwürfen schlug wie eine Bombe ein und begründete seinen Weltruhm. Die Grundtypen, die er mit seinen Entwürfen schuf, gehören zum Teil zu unserem architektonischen Grundwissen, zum anderen Teil sind sie noch gar nicht ausgeschöpft.

In Österreich war sein Einfluß zunächst gering; Hier war die eigene Tradition der Moderne noch nicht abgerissen, in der Le Corbusier selbst eine seiner Wurzeln hat. Adolf Loos, Josef Frank und deren Generation entwickelten sich in den zwanziger Jahren eher in der polemischen Auseinandersetzung mit dem „Internationalen Stil“, den für sie etwa das deutsche Bauhaus verkörperte. Nach dem Krieg war in Österreich freilich nicht die Verbindung zur eigenen Tradition, sondern auch jede Information von außen abgerissen. Le Corbusier hielt im Mai 1948 in Wien einen Vortrag, wurde aber von den Maßgeblichen der Bauwelt eher als Verrückter angesehen. (Die wiederholt kolportierte Behauptung, er hätte empfohlen, alles bis auf den Stephansdom und einige andere bedeutende Denkmäler abzureißen, ist nicht verbürgt; es scheint sich dabei um eine Übertragung seiner Pariser Pläne aus den zwanziger Jahren zu handeln. Allerdings wies er in einem Gespräch im Stadtbauamt, über die Zukunft Wiens befragt, auf der Karte über die Donau weit nach Nordosten.)

Erst in den fünfziger Jahren wurde die Beschäftigung mit Le Corbusier in Österreich gesellschaftsfähig; in einer Zeit, da eine verflachende Interpretation (an der Le Corbusiers eifrigster publizistischer Förderer, Siegfried Giedion, nicht unschuldig ist) und vor allem eine lächerliche Nachahmung seiner Formenwelt geradezu dazu zwangen, sich von diesem Einfluß zu distanzieren. Auch diese Welle ist jetzt vorüber, und man darf sagen, daß wir jetzt dem Werk dieses Mannes eher ratlos gegenüberstehen.

Während etwa Mies van der Rohe meist von anderen interpretiert worden ist, ist Le Corbusier immer sein eigener Interpret gewesen. Sein Werk liegt, nach seinen eigenen Wünschen ausgewählt und kommentiert, in bisher sechs Bänden vor, allerdings unter Weglassung seiner Anfänge. Es scheint, daß erst die nächsten Jahrzehnte wieder Nutzen von diesem Genie ziehen können, das unter denen der ersten Jahrhunderthälfte sicher das beweglichste und vielschichtigste gewesen ist. Einstweilen haben wir Le Corbusier so dicht vor Augen, daß wir nichts erkennen können.

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